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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Mai 2004; 17:38
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Geschichte/Gedenken:

> Die Sehnsucht nach dem starken Demokrator

Proteste gegen Dollfuss-Gedenkveranstaltung in Hietzing

Fuer Unverstaendnis bei DemokratInnen nicht nur aus dem linken Lager sorgte
eine Veranstaltung, die per Aussendung ueber die Hietzinger
Bezirksvorstehung angekuendigt und mit folgenden Worten angepriesen wurde:

"Die Exulanten des oeffentlichen Stiftsgymnasiums Seitenstetten (1938) laden
ein zur Hietzinger Gedenkstunde fuer Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuss

7. Mai 2004, 17.00 Uhr grosser Festsaal im Amtshaus Hietzing (...)

Anlaesslich des bevorstehenden 70. Todestages des Bundeskanzlers wird
Regierungsrat Dr. Franz Trischler auf Grundlage seiner Jugenderinnerungen
und an Hand zahlreicher grossformatiger Fotos das Leben, Wirken und Sterben
des Bundeskanzlers schildern und versuchen, die Bedeutung des Kanzlers fuer
die Gegenwart darzustellen. (...)"

Fuer Unmut sorgte die Tatsache, dass OeVP-Bezirksvorsteher Gerstbach den
Grossen Festsaals des Amtshauses gratis zur Verfuegung gestellt hat. Diese
Subvention aus Steuergeldern muss als politische Unterstuetzung gewertet
werden, da der Festsaal im Hietzinger Amtshaus nur dann Initiativen zur
Verfuegung gestellt wird, wenn der Bezirksvorsteher genau ueber die geplante
Veranstaltung Bescheid weiss und persoenlich sein Einverstaendnis erklaert!
Dass BV Gerstbach ansonsten Aktivitaeten in seinem Wirkungsbereich sehr wohl
politisch bewertet, zeigt etwa die Tatsache, dass er sich im Gegensatz zu
SP-Bezirksvorsteherin Kalchbrenner (Penzing) oder zum gruenen BV Blimlinger
(Neubau) weigert, die Regenbogenfahne anlaesslich der alljaehrlichen
Regenbogenparade aushaengen zu lassen.

Am 6. Mai forderten die Hietzinger Gruenen, Gemeinderat David Ellensohn und
die Alternativen und Gruenen GewerkschafterInnen (AUGE), wie zuvor auch
schon die SPOe, von Bezirksvorsteher Gerstbach, die Zusage des Saals im
Amtshaus rueckgaengig zu machen und sich klar und eindeutig von der Politik
und Geisteshaltung des austrofaschistischen Staendestaats distanzieren. Doch
wie erwartet und befuerchtet fand die Dollfuss-Veranstaltung trotzdem
statt - doch nicht ohne Gegentoene.

Vor dem Amtshaus demonstrierten am Freitag, den 7. Mai AktivistInnen von SJ,
SPOe, Gruenen, AUGE und anderen linker Gruppen sowie Parteilose gegen die
Provokation. Der Schauspieler Hubsi Kramar rezitierte aus der beruechtigten
Trabrennplatzrede, die Dollfuss am 11. September 1933 gehalten hatte. Fuer
Schmunzeln sorgten Passagen ueber die Konzeption des Staendestaats, in dem
alle sozialen Gegensaetze beim gemeinsamen Arbeiten und Rosenkranz-Beten
verschwinden sollten. Die "Bedeutung des Bundeskanzlers fuer die Gegenwart"
draengte sich bei einigen Zitaten, zieht man/frau den Vergleich mit einigen
Aspekten der Politik der Regierung Schuessel heran, foermlich auf. Plakate
und Verkleidungen der SJ-AktivistInnen brachten dies pointiert zum Ausdruck.

Wieso ausgerechnet im oeffentlichen Amtshaus Hietzing dem einstigen
christlichsozialen Bundeskanzler und nachmaligen austrofaschistischen
Diktator Dollfuss gedacht wird, bleibt ein Raetsel. Immerhin wurde z.B. am
14. Februar 1934 ein Hietzinger Arbeiter, Karl Muenichreiter,
Kompaniekommandant des sozialdemokratischen Schutzbundes, obwohl schwer
verwundet, aufgehaengt - eine der "Heldentaten" des (spaeter bei einem
Nazi-Putsch ermordeten) Engelbert Dollfuss.

Noch provokanter ist allerdings eine Parlaments-Fuehrung zum Andenken an
Dollfuss, war doch genau dieser durch das gewaltsame Verhindern des
Zusammentretens des Parlaments im Jahr 1933 zum Totengraeber der Demokratie
in Oesterreich geworden! Aus der Einladung: "Fuehrung durch das Parlament.
Mag. Walter Tancsits, Abg. z. Nationalrat, ist der Gatte der Enkelin des
Bundeskanzlers Dr. Dollfuss. Er wird am 8. Mai 2004 um 10.00 Uhr durch das
Parlamentsgebaeude fuehren. Hierbei gibt es Gelegenheit zu einer allgemeinen
Diskussion."

Peter Pilz forderte denn auch vom 1.Nationalratspraesidenten (und Hietzinger
OeVP-Politiker) Andreas Khol eine Absage des Rundgangs und griff zur
Aktionsform eines "alternativen Rundgangs" mit Aufklaerung ueber die Rolle
von Dollfuss.

Liberal denkende und aufgeklaerte OeVP-Mitglieder werden sich wohl ueber den
zunehmenden Rechtsruck ihrer Partei Gedanken machen und hoffentlich auch
entsprechende Konsequenzen ziehen.

*Gerhard Jordan*, GA-Bezirksrat




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