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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Mai 2004; 17:27
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Medien/Krieg/Glosse:
> Die Macht der Bilder
Gedanken zu Abu Ghraib
Seit eineinhalb Jahren geht das Wort um, der Irak koennte zu Bushs Vietnam
werden. Dann kam der rasche Sieg der US- Armee ueber die regulaeren
irakischen Truppen und die Stimmen wurden leiser. Jetzt, nach gut einem Jahr
guerrilla-aehnlichen Auseinandersetzungen und schliesslich diesen Photos
wird die Mahnung "VIETNAM!" so unuebersehbar, dass die US-Presse das Wort
kaum mehr wagt auszusprechen.
Denn die erste Assoziation nach den Auftauchen der Bilder der nackten
Gefangenen war bei vielen Menschen jenes beruehmte Photo von 1972, das eine
Gruppe Kinder auf der Flucht vor einem Napalmbombardement in Vietnam zeigt,
in der Mitte des Bildes ein nacktes Maedchen mit vor Todesangst verzerrtem
Gesicht.
Der Vergleich passt -- denn wie im Irak waren die Greuel des Krieges laengst
bekannt. Aber erst die Bilder davon machten sie vorstellbar und damit einer
breiten Bevoelkerung bewusst. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heisst
es, ein Bild eines gequaelten, aber vor allem auch nackten Menschen in aller
seiner Hilflosigkeit erschuettert uns noch mehr und ruft auch viel mehr
Worte hervor: Selten noch erschienen binnen so kurzer Zeit derart viele
Kommentare zu einem einzigen Thema -- die Dichte an veroeffentlichter
Meinung war diesseits und jenseits des Atlantiks wohl nur bei dem -- an
Bildern auch nicht armen -- "9/11" hoeher.
Vor diesen Bildern gab es amnesty-Berichte noch und noch. Guantanamo als
Folterzentrale war allgemein bekannt und die US- Regierung machte gar kein
Hehl daraus, dass man die Menschen dort gefangen haelt, weil es eben nicht
US-amerikanischer Boden ist und dort deswegen auch die Justiz keinen Zugriff
hat. Und auch die Berichte von der Luftwaffenbasis Bagram in Afghanistan, wo
bei Folterungen zwei Menschen umgekommen sind, lagen der Oeffentlichkeit
vor. Aber kaum jemand hat es interessiert, obwohl diese Berichte nicht
zweifelhaft waren, sondern vor einem Gericht mindestens dieselbe Beweiskraft
gehabt haetten wie die Bilder aus dem Folterkeller von Abu Ghraib. Dennoch
waren es erst die Bilder, die einer breiten Bevoelkerung klar machten, dass
der saubere, gerechte Krieg fuer "Freedom and Democracy" eben jene Chimaere
war, als die sie die Kritiker des Irak-Angriffes schon vor Beginn der ersten
Kampfhandlungen bezeichnet hatten.
Der Vergleich mit den Bildern aus Vietnam hinkt aber auch -- denn die Bilder
aus Vietnam wurden von Journalisten aufgenommen, die die Kriegsverbrechen
dokumentieren oder sogar anprangern wollten. Die Bilder waren mit
professioneller Contenance oder mit Empathie gemacht worden. Die Bilder aus
Abu Ghraib wurden von den Taetern gemacht. Nicht einmal zum Zwecke einer wie
auch immer begruendeten Dokumentation, sondern als Urlaubsphotos unter
anderen Urlaubsphotos. Sie schickten sie nach Hause, per eMail oder selbst
gebrannter CD. Darauf sieht man: Einen grinsenden Soldaten vor einer
Moschee, einen grinsenden Soldaten auf einem Kamel reitend, ein grinsendes
Soldatenpaerchen Arm in Arm hinter einem Haufen nackter Gefangener.
Nicht nur die drastische Darstellung der sexuellen Demuetigung erschreckt,
es ist vor allem eben dieses Grinsen, diese Sicherheit der absoluten eigenen
Unantastbarkeit in den Gesichtern, das uns erschaudern laesst.
Und diese Gesichter sagen eines: Man hat es uns nicht nur angeordnet oder
zumindest erlaubt, es macht uns auch noch wirklich Spass. Hier ist die
Idealkombination von Pflicht und Neigung gegeben. Daher eben auch die
Sicherheit, sich gegenseitig zu knipsen, und der Stolz, sich in
Grosswildjaegerpose zu zeigen.
Das alles mit den Folterern des Mittelalters zu vergleichen ist eine
Verharmlosung. Denn meist waren damals der Henker und der Folterknecht keine
geachteten Mitmenschen. Sie maskierten sich - - zum Teil, um anonym gegen
ihre Umgebung zu bleiben, zum Teil aber auch, um gegen sich selbst anonym zu
bleiben. Sie entmenschten sich selbst und erfuellten eine Pflicht als
willenloses Werkzeug der Macht, das persoenlich damit nichts zu tun hat.
Sicher, auch damals werden viele Spass daran gehabt haben, aber zumindest
war es der gesellschaftliche Konsens, dass die Sache nicht ehrenvoll ist,
sondern der Folterknecht und der Henker Scham zu empfinden haetten -- selbst
dann, wenn man ihr Tun als eigentlich noetig und richtig erachtete.
Der Stolz auf diese Berufe ist eher neuzeitlich. Zumindest die Henker der
spaeten Neuzeit waren nicht mehr anonym. Die Folter allerdings wurde
offiziell geaechtet -- die Folterer operierten nur mehr illegal, als
Polizisten, Soldaten oder Regierungsagenten. Sie waren geachtete Leute,
durften sich wegen des illegalen Teil ihrer Arbeit aber nur im engsten Kreis
ruehmen. Auf die Idee, sich dabei photographieren zu lassen, um mit diesen
Photos anzugeben, kam wohl kaum einer.
Und jetzt das: Folterer die sich nicht selbst maskieren, sondern
siegessicher in die Kamera blicken, und Opfer, die sie entkleidet und
maskiert haben, quasi gesichtsloses Vieh, das sie erlegt haben: Menschen,
die von einer Besatzungsarmee in ihrem eigenen Heimat zu Nichtmenschen
deklariert werden, wie dies einstmals die europaeischen Kolonisatoren mit
den Afrikanern machten, um sie mit gutem Gewissen willkuerlich umzubringen
oder zu versklaven.
Dies trifft die US-Nation im Mark. Denn anders als die meisten anderen
Nationen definieren sich die USA in ihrem Selbstverstaendnis nicht so sehr
territorial oder religioes und schon gar nicht ethnisch, sondern vor allem
eben als das Heimatland von Freiheit und Demokratie. Ihren ganzen
Imperialismus verstehen sie -- nicht unaehnlich ihrem verblichenen Erzfeind
Sowjetunion -- als legitime Verbreitung ihres politischen Systems. Wenn man
dann aber durch die Macht der Bilder sie derart brutal aus ihrer Lebensluege
gerissen wird, wird verstaendlich, warum Bush und Rumsfeld jetzt versuchen,
sich mit dem Wort "unamerikanisch" von den Folterern zu distanzieren.
Die USA sind ein Volk von TV-Konsumenten, wahrscheinlich noch schlimmer als
die meisten europaeischen Nationen. Die Bilder mussten einfach einfahren.
Und sie mussten einfach gesendet werden. Zwei Tage lang konnte die Regierung
das TV-Network CBS an der Ausstrahlung hindern, dann brach der Damm. Und
wenn es auch nicht wegen der Liebe zur Wahrheit, sondern nur wegen der
Einschaltquoten war, so laesst das immerhin hoffen, dass diese Sache Bush
das Amt kosten und seinem demokratischen Nachfolger eine stete Warnung sein
wird.
Dennoch: Es ist auch diese mediale Logik, die erschreckt: Verbale Berichte
koennen genauso wie Bilder gefaelscht sein -- die Suggestivitaet der Bilder
koennen sie aber niemals erreichen. Und so musste man diese Demuetigungen
noch einmal aufblaehen, sie millionenfach erneuern, in dem man sie weltweit
zeigte, um sie endlich anklagen zu koennen.
*Bernhard Redl*
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