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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Mai 2004; 17:08
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Buecher:

> Globalisierung (militaerisch)

Oesterreichisches Studienzentrum fuer Frieden und Konfliktforschung (Hg.):
Schurkenstaat und Staatsterrorismus. Die Konturen einer militaerischen
Globalisierung.
agenda Verlag, Muenster, 2004
ISBN 3-89688-205-8; 239 Seiten; Preis 24 EUR


Spaetestens seit dem Krieg der USA und ihrer kuenftig wohl variierenden
"Allianz der Willigen" gegen den Irak sind die Umrisse einer militaerischen
Globalisierung sichtbar. Der Sammelband "Schurkenstaat und
Staatsterrorismus", der auf den Beitraegen der ReferentInnen der 20.
Internationalen Sommerakademie des Oesterreichischen Studienzentrums fuer
Frieden und Konfliktforschung basiert, zieht diese Konturen nach.

Das US-amerikanische Konzept der "Schurkenstaaten" ist integraler
Bestandteil des Uebergangs der Vereinigten Staaten von einer hegemonialen zu
einer neoimperialen Aussenpolitik. So beschaeftigt sich der erste von den
insgesamt fuenf Abschnitten des Bandes mit den "Schurkenstaaten in der
kuenftigen neuen Weltordnung".

Hans Graf von Sponeck, ehemaliger Leiter des UN-Hilfsprogramms in Bagdad,
beschaeftigt sich mit der "Tragoedie eines gewonnenen Krieges, aber
verlorenen Friedens". Seine Vorschlaege fuer eine Ordnung im Irak
praesentiert er vor dem Hintergrund der politischen Versaeumnisse und
Fehler, die in der Zeitspanne zwischen dem zweiten und dritten Irak-Krieg
begangen wurden. Er verurteilt scharf die Sanktionspolitik der
internationalen Gemeinschaft, die seiner Ansicht nach einer
"Massenvernichtungswaffe" gleichkam und katastrophale humanitaere Folgen in
dem einstigen Schwellenland Irak zeitigte. In seinem Ausblick hinsichtlich
den Chancen einer stabilen Entwicklung des Iraks nach Diktatur und Krieg
zeigt er sich wenig optimistisch. Eine Reform der UNO sei unumgaenglich,
damit sie mit "wirklicher Autoritaet" in den Nachkriegsprozess eingebunden
werden kann. Dabei will er vor allem ein Europa in die Pflicht nehmen, das
die unilaterale Haltung der USA mit "weicher Macht", mit "Investitionen in
die menschliche Sicherheit" ausgleicht.

Der Kasseler Friedensforscher Peter Strutynski vertritt die Auffassung, dass
fuer die Regierenden in Washington Bagdad nur ein "Zwischenaufenthalt" ist,
eine Station, wenn auch eine wichtige, im Rahmen einer allgemeinen
"Weltbeherrschungsstrategie" der USA. Diese geopolitische Strategie, zum
Zweck der Ausbreitung des US-amerikanischen Modells eines marktradikalen
Neoimperialismus greift auf eine Konzeption zurueck, die bereits im Zweiten
Weltkrieg unter dem Namen "Grand Area Planning" entworfen wurde. Mit Grand
Area sind jene strategischen Zentren gemeint, die beherrscht werden muessen,
um die Welt zu kontrollieren. Dass die USA dieses Ziel verstaerkt mit
militaerischen Mitteln verfolgt, resultiert aus den veraenderten
Voraussetzungen des Imperialismus im Zeitalter der neoliberalen
Globalisierung. Unter Rueckgriff auf den marxistischen Autor David Harvey
beschreibt Strutynski das gegenwaertige Akkumulationsregime als einen
Prozess gigantischer Enteignung: da fuer die Aneignung fossiler und
mineralischer Rohstoffe die territoriale Kontrolle vonnoeten ist, wird es
vermehrt zu selektiven "Eroberungen" kommen.

Militaerische Aspekte der Kriegsfuehrung im Dritten Golfkrieg thematisiert
Lutz Unterseher in seinem Beitrag "Schurken unter sich: die USA im Kampf mit
dem Boesen". Die Einreihung der Vereinigten Staaten in die Kategorie
"Schurkenstaat" erscheint ihm zwar vollkommen korrekt, aber nicht sonderlich
originell. In seiner Analyse kommt der Autor zu einem bemerkenswerten
Resultat, das mit der Politik des permanenten Krieges korrespondiert: er
wurde "von vornherein im Lichte seiner Wiederholbarkeit gefuehrt". In der
Vergangenheit waren fuer die USA materialintensive, systematische
Militaereinsaetze typisch. Der Angriff auf den Irak dagegen zaehlt zu den
wenigen Ausnahmen eines improvisierten Blitzkrieges in der Geschichte der
USA. Der geringe zeitliche Abstand von Luft- und Bodenoffensive und ein
Truppenkontingent, das aeusserst bescheiden dimensioniert war, sind Indizien
dafuer, dass eine Form der Invasion erprobt wurde, deren Mitteleinsatz
Kriegsfuehrung in kuerzeren Abstaenden ermoeglicht.

Fuer eine Friedensforschung, die sich mit Gegenentwuerfen zur Gewaltpolitik
der Bush-Administration in die europaeische Debatte einbringt, plaediert der
OeSFK-Praesident Gerald Mader in seiner in den Sammelband aufgenommenen
Eroeffnungsrede der 20. Sommerakademie. Europa soll eine "Machtpolitik durch
den Rechtsstaat" und keine militaerische Machtpolitik praktizieren, es soll
sich fuer Kant und gegen Hobbes entscheiden.

Thomas Roithner vom OeSFK, der den Band redaktionell betreute, diskutiert
die transatlantischen Beziehungen und die moeglichen Entwicklungen der
Europaeischen Union angesichts des Vorgehens der USA im Bereich der Aussen-
und Militaerpolitik nach dem 11.9.2001. eine "global destabilisierende
Machtkonzentration zwischen den USA und der EU". Dabei schaetzt er trotz der
Konflikte um die Militaerhegemonie nicht zuletzt aufgrund der "gemeinsamen
Werte" die Gefahr einer Auseinandersetzung als wenig realistisch ein,
vielmehr erwartet er "eine Aufteilung von Einflusszonen (...) unter
Beruecksichtigung regionaler Hegemoniestaaten".

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Der zweite Abschnitt behandelt den Militaerschlag gegen den Irak, der als
Krieg der Postmoderne charakterisiert wird, in seinen Folgen auf
Voelkerrecht, Medien und Oekologie.

Der Voelkerrechtsexperte Franz Leidenmuehler konstatiert, dass mit dem
"Krieg gegen den Terror" und der damit verbundenen "praeventiven
Selbstverteidigung" der "Kern der Verfassung der Staatengemeinschaft, das
Gewaltverbot der UN-Charta, in Frage gestellt" wird. Fuer die ignorante
Haltung der USA gegenueber der Voelkerrechtsordnung sei die veraenderte
weltpolitische Machtverteilung nach Ende der Bipolaritaet verantwortlich.
Notwendig sei das Ausbalancieren der Vereinigten Staaten durch ein Europa
"als Friedensmacht, die im Rahmen der Herrschaft des Rechts agiert".
Andernfalls werde dem internationalen Rechtssystem durch die rechtswidrige
Sicherheitsdoktrin der USA die Basis entzogen.

Heinz Loquai belegt vorwiegend anhand der Berichterstattung in Deutschland
im Vorfeld des Kosovo-Konflikts, dass Medien in Kriegen die Funktion einer
"Teilstreitkraft im Rahmen der Gesamtkriegfuehrung" einnehmen,
Staatspropaganda betreiben, als vierte Gewalt versagen. Er konzentriert er
sich auf den Medienkrieg als Vorkrieg, der "die Korrumpierung der Sprache
und des Denkens" zum Ziel hat. Damit das uebliche mediale Propagandamenue
(Dramatisierung der Gefahr, Bestialisierung des Feindes usw.) bei den
Kriegen des dritten Jahrtausends noch einfacher aufgetischt werden kann, hat
die US-Regierung das Konzept der "Einbettung" entwickelt, d.h. die
Integration von JournalistInnen in Truppenteile vorgenommen.

Die Umweltfolgen, die durch die Faehigkeit und den Willen entstehen,
jederzeit Krieg fuehren zu koennen, bezeichnet Knut Krusewitz als
"militaeroekologische Zyklen". Dieser Begriff umfasst nicht nur die
Umweltkriegsfuehrung und deren Folgen im engeren Sinn (Einsatz von
umweltveraendernden Techniken), sondern auch weitere umweltrelevante
Militaerdaten wie die oekologischen Begleiterscheinungen der Planung und
Uebung von Kriegen, der Militaerforschung usw. In der "Militarisierung des
globalen Umweltwandels" sieht Krusewitz den Versuch des kapitalistischen
Westens, nicht sich, also die "Umwelttaeter", sondern die Umweltschaeden
ihrer Politik im Sueden zum Risiko zu stilisieren. Anstelle der aus
oekologischer Sicht notwendigen "Entmilitarisierung der globalen Umwelt"
erfolgt so im Interesse permanenter Kriegsbereitschaft die "Ausdehnung
militaerischer Sicherheits- und Einsatzgebiete". Es folgt eine knappe
Einfuehrung in das umweltbezogene Kriegsvoelkerrecht.

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Die religioese Aufladung des Konflikts zwischen dem transnationalen
Terrornetzwerk Al Qaida und der USA ist Thema des Beitraege des dritten
Abschnittes. Sie beschaeftigen sich mit dem ambivalenten Verhaeltnis des
Religioesen zur Gewalt und stellen dem "Kampf der Kulturen" aus christlicher
Perspektive eine Kultur der Gewaltfreiheit entgegen.

Hildegard Goss-Mayr hebt hervor, dass die grossen Weltreligionen Antworten
auf Gewaltregime waren, und dass im Christentum trotz der augustinischen
Lehre vom Bellum iustum pazifistische, an der Bergpredigt orientierte
Stroemungen immer Einfluss hatten. Dies belegt sie durch eine Reihe von
Beispielen, nicht zuletzt durch die Taetigkeit des Internationalen
Versoehnungsbundes, deren Ehrenpraesidentin sie ist.

Religioese Gewaltbereitschaft sinkt, so der evangelische Oberkirchenrat
Michael Buenker, wenn der dualistischen Auffassung von einem finalen Kampf
zwischen Gut und Boese widerstanden wird und stattdessen Feindesliebe als
Ausdruck der Faehigkeit zum Pluralismus praktiziert wird. Um Religionen von
ihrem Gewaltpotential zu befreien, sei "der kritische Umgang mit den eigenen
Grundlagen" wichtig, d.h. mit den heiligen Schriften.

*

Der Zusammenhang von Krieg und Globalisierung wird im vierten Teil des
Sammelbandes von Joerg Huffschmid und Elmar Altvater beleuchtet.

Internationale Expansion ist eine Grundtendenz kapitalistischer
Produktionsverhaeltnisse. Die Ursache, die hinter dem Expansionsstreben
steht, ist aber nicht der Drang nach optimaler internationaler
Arbeitsteilung, sondern der Druck, Krisenerscheinungen aufgrund fehlender
Nachfrage abzuschwaechen. Dass die oekonomische Expansion zum Beginn des 21.
Jahrhunderts zunehmend militaerisch abgesichert und verfolgt wird, fuehrt
der Wirtschaftswissenschaftler Huffschmid auf die Probleme der
Weltwirtschaft zurueck (z.B das Platzen der Spekulationsblase). Der
aggressive Export, das kuenstliche Aufblaehen der Finanzmaerkte soll daher
durch eine binnenmarktorientierte Strategie abgeloest werden. Dazu bedarf es
allerdings einer Korrektur der Verteilungsverhaeltnisse in den
kapitalistischen Zentren.

Elmar Altvater argumentiert, dass die Absicherung der Dollardominanz fuer
die USA ein gewichtiger Grund gewesen sei, gegen Afghanistan und den Irak
Krieg zu fuehren. Die Entwicklung hin zu einem bipolaren Waehrungssystem,
konkret: die Konkurrenz durch den Euro, wirft die Frage auf: "Was passiert,
wenn der Oelpreis nicht mehr in US-Dollar fakturiert wird?" Da die USA ein
chronisches Leistungsbilanzdefizit aufweist, waeren die Auswirkungen auf
ihre Volkswirtschaft verheerend, wenn sie Oel nicht mehr in der eigenen
Waehrung bezahlen koennten. Um den Zugang zu den Oelressourcen zu sichern,
bedarf es eben nicht nur der strategischen Kontrolle der Regionen, der
Foerdermengen, der Transportrouten, sondern auch der Bestimmung der
Waehrung, in der der Preis abgerechnet wird. Vor diesem Hintergrund wurde
die "Waehrungspolitik (...) mit Apache-Hubschraubern und Cruise Missiles"
notwendig. Altvater plaediert dafuer, dass die Eurozone den Fehdehandschuh
nicht aufhebt und riskiert, dass sich die Waehrungskonkurrenz zu einem
Waehrungskrieg steigert, "zumal es eine Alternative gibt. Diese heisst:
Entwicklung der solaren Energie", die nunmehr auch friedenspolitisch Sinn
macht.

Im abschliessenden Kapitel, das mit dem Slogan der globalisierungskritischen
Bewegung "Eine andere Welt ist moeglich" betitelt ist, beleuchten sodann
drei Autoren die Rolle und die Strukturen des zivilgesellschaftlichen
Widerstands gegen den globalen Krieg.

Die unter neoliberalen Vorzeichen stehende Globalisierung "hat ihre eigene
Kritik und Opposition globalisiert, schreibt Wolfgang Greif, der
internationaler Sekretaer der Gewerkschaft der Privatangestellten ist. Im
Widerstand gegen die "zunehmende politische Kalkulation mit militaerischer
Intervention und Krieg" kommen den nationalen, kontinentalen und globalen
Sozialforen eine besondere Bedeutung zu. Sie fordern das neoliberale
Deutungsmonopol heraus ohne jedoch einen ultimativen "Masterplan fuer den
Weg in die neue Gesellschaft" vorzulegen. Ein Hauptaugenmerk legt Greif in
seinem Beitrag auf das Verhaeltnis von neuer Sozial- und Protestbewegung und
den Gewerkschaften. Spannungsreiche Differenzen ergeben sich nach
Einschaetzung des Gewerkschaftlers aufgrund des unterschiedlichen
Organisationsverstaendnisses und aufgrund der unterschiedlichen Naehe zum
politischen Establishment.

Waren die Proteste gegen den Irak-Krieg, die im globalen Protesttag vom 15.
Februar 2003 ihren Hoehepunkt fanden, Auftakt zu einer Revitalisierung der
in den 90er Jahren weitgehend brach gelegenen Friedensbewegung? Oder
handelte es sich bei ihnen um eine punktuelle Mobilisierung durch die
globalisierungskritische Bewegung, die entstand, weil verschiedenste
Faktoren - u.a. gemeinsame Problemanalyse mit der Friedensbewegung,
Provokation durch die arrogante "Kaltschaeuzigkeit" der
Bush-Administration - eine optimale Gelegenheit schufen? Mit dieser Frage
setzt sich Lutz Schrader in seinem Beitrag auseinander. Gestuetzt auf
bewegungssoziologische Forschungsergebnisse lotet er drei Dimensionen
sozialer Bewegungen aus: Leitbild und Ziele, Organisations- und
Aktionsformen, Durchsetzungsfaehigkeit und Gelegenheitsstrukturen.

Eine Grundentscheidung, die von jeder Bewegung getroffen werden muss, ist,
ob sie gewaltfrei handeln moechte oder nicht. Fuer den Vorsitzenden der
Oesterreichischen Friedensdienste, Pete Haemmerle, ist diese Entscheidung
allerdings keine taktische, denn aktive Gewaltfreiheit ist im Unterschied zu
Gewaltlosigkeit moralischen Ursprungs. Ehe die Erfahrungen mit den Methoden
der Gewaltfreiheit in unterschiedlichen Anwendungsbereichen dargestellt
werden, wird der typische Eskalationsverlauf gewaltfreier Aktionen
nachgezeichnet, die den Dialog immer als Ausgangspunkt haben muessen.
Waehrend im Widerstand gegen autoritaere Regime und im Befreiungskampf gegen
Kolonialismus und Besatzung viele positive Beispiele zu nennen sind, haben
gewaltfreie Aktionen gegen Kriege und Militarismus im groesseren Ausmass
bislang wenig ausrichten koennen.

Resuemierend kann festgehalten werden, dass der Sammelband ein breites
Themenspektrum abdeckt, auch wenn er nicht die Konturen aller Aspekte der
militaerischen Globalisierung nachzeichnet (so bleibt zum Beispiel ein
feministischer Zugang aussen vor). Das Meinungsspektrum der Beitraege ist
hingegen weniger breit. Kontroverse Vorschlaege, Alternativentwuerfe fuer
die Position, welche die EU einnehmen, die Entwicklung, die sie favorisieren
soll, sind in diesem Band nicht anzutreffen. Europa soll, so der
einheitliche Tenor, eine zivile Gegenmacht zu der von der USA gepraegten
militaerischen Globalisierung werden.
*Roman Gutsch*


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