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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. April 2004; 15:24
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Schoene neue Arbeitswelt

> Stressjob Telefonbelaestigung

Geringfuegig Beschaeftigte beim Institut fuer empirische Sozialforschung
(IFES)

Das IFES stellt fuer telefonischen Umfragen -- meist im Auftrag der SPOe,
der AK und der Gewerkschaft -- "geringfuegig" Beschaeftigte ein. Hier
arbeiten StudentInnen, Erwerbsarbeitslose, AkademikerInnen, Hausfrauen und
PensionistInnen,... deren sonstigen Einkuenfte nicht zum Leben ausreichen.
Auffallend ist die grosse Zahl von jungen Frauen mit Kopftuch und Frauen ab
50. Alle zeichnet ein hohes Bildungsniveau aus. Die Beschaeftigten kommen
nicht nur aus Wien. Es gibt auch sehr viele NiederoesterreicherInnen und
BurgenlaenderInnen.

Das IFES zahlt 7 Euro und 30 Cent pro Stunde Die Hoehe des Verdiensts haengt
auch von der jeweiligen Auftragslage, d.h. der Zahl der Arbeitsstunden ab.
In Vorwahlzeiten werden massenweise Leute eingestellt, ca. 50-60 Menschen
pro Schicht arbeiten dann 5 bis 6 Stunden, einige sogar 2 Schichten, also
10-12 Stunden taeglich. Die Arbeitszeit in Spitzenzeiten ist von 9 Uhr bis
14 bzw.15 Uhr und von 15 bzw.16 Uhr bis 21 Uhr. Auch Samstag, Sonn- und
Feiertag wird durchgearbeitet. Ist die Auftragslage schlecht, gibt's halt
keine Arbeit, das Personal wird bei diesen Gelegenheiten ausgesiebt. Nur die
Besten und Untertaenigsten und Puenktlichsten werden nicht gekuendigt. Falls
es dann Arbeit gibt, beschraenkt sich die Arbeitszeit, neben den
Wochenenddiensten, wenn ueberhaupt, nur noch auf 16-21 Uhr.

Die Einteilung, wer wann und wie oft kommen darf, verwaltet Frau H. Es gibt
Listen, in welche die Arbeitsbereitschaft eingetragen werden kann. Es muss
dann aber immer vormittags bei Frau H. angerufen werden, ob der Dienst am
Nachmittag angetreten werden darf oder nicht. Dies ist aeusserst kosten- und
zeitaufwaendig, weil sich oft nur die Telefonzentrale meldet, oder die
Leitung besetzt ist. Manchmal ist es notwendig, 3x anzurufen, weil nicht
sicher ist, ob eine Studie telefonierfertig wird. Es kommt vor, dass frau,
trotzdem sie staendig abrufbereit ist, wochenlang keine Arbeit zugeteilt
bekommt. Muss umgekehrt etwa wegen Erkrankung der Termin abgesagt werden,
schnauzt einen Frau H. an, weil dies schon am Vortag zu melden gewesen
waere, auch wenn das nicht vorhersehbar war. Auf jeden Fall gibt das
Minuspunkte, die bis zum gaenzlichen Ausschluss fuehren koennen.

Grundsaetzlich muessen die Interviewerinnen mindestens 10 Minuten vor
Arbeitsbeginn die Plaetze vor den Bildschirmen und Telefonen eingenommen
haben. In letzter Zeit ist der Disziplinierungsdruck massiv verstaerkt
worden. Um 10 Minuten vor Arbeitsbeginn wird die Tuere aus
"Erziehungsgruenden" zugesperrt. Alle, die auch nur 1 Sekunde "zu spaet"
dran sind, werden erst -- wenn sie nicht schon wuetend weggegangen sind --
um 16 Uhr eingelassen, und es wird mindestens eine Viertelstunde vom Lohn
abgezogen. Diese Situation ist fuer diejenigen besonders schlimm, die mit 1
bis 2 Stunden Anfahrtsweg eine Verspaetung nicht vermeiden koennen. Die
hohen Fahrtkosten werden selbstverstaendlich vom IFES nicht uebernommen.
Sonderleistungen gibt es in keiner Form.

Die 10 Minuten vor Arbeitsbeginn werden als Arbeitszeit gewertet. In dieser
Zeit muessen Testprogramme angeschaut werden und die Supervisor geben ihre
Anweisungen. DAFUeR duerfen in den kommenden 5 Stunden 2 x 5 Minuten Pause
gemacht werden. Diese "Pausenzeiten" werden elektronisch ueberwacht. So ist
es nicht ungewoehnlich, nach 5 Minuten und 2 Sekunden auf das Ende der Pause
aufmerksam gemacht zu werden. Fuer diese Pausen steht ein winziges
RaucherInnenzimmer zur Verfuegung, die anderen muessen sich im winzigen
Ueberwachungsbuero aufhalten und duerfen sich, falls vorhanden, einen Kaffee
kaufen.

Zusammenzwicken beim Telefonieren

Auch die Zeiten des Klobesuchs gelten als Pausenzeit. Leider muss beim fast
ununterbrochnem Sprechen viel getrunken werden, sodass es unvermeidbar ist,
auch ausserhalb der Pausen aufs Klo zu gehen. Das macht eh kein Mensch gern,
denn es gibt nur 2 Klos in einem engen Raum, der von Maennern und Frauen
gleichermassen benutzt werden muss, unhygienisch ist und stinkt. Wenn jemand
dazu einige Minuten braucht, wird darauf hingewiesen, dass dieses
"Geschaeft" gefaelligst zu Hause zu erledigen sei. Zur Strafe wird eine
Viertelstunde abgezogen.

Auch der Arbeitsplatz selbst ist unhygienisch und dreckig. Viele kommen oft
krank und verschnupft zur Arbeit. Die wenigsten koennen sich unbezahlte
Krankenstaende leisten, und die Gefahr, sich anzustecken ist gross. Die
Tastaturen von Computer und Telefon sowie Kopfhoerer und Mikrofon sind
einfach grauslich. Auch Putzkosten werden eingespart.

Die Telefongespraeche werden fast staendig ueberwacht. 2-5 "Supervisor"
ueberpruefen nicht nur im Buero die Zahl der Interviews, Verweigerungen,
Terminvereinbarungen, Waehlgeschwindigkeit und Quoten, sondern hoeren bei
den Gespraechen mit, geben massregelnde Kommentare ab, unterbinden
Gespraeche mit den SitznachbarInnen und erzeugen zum Ziel der
Leistungsmaximierung enormen Druck!

Fuer Viele sind die konzentrierten Interviews, das Koedern der Leute und die
Bildschirmarbeit 5 Stunden lang kaum durchzuhalten. Mehr als 2 Tage
hintereinander zu telefonieren ist sicher viel anstrengender als ein
normaler 40-Stunden Job im Buero. Besonders muehsam sind Interviews, die bis
zu einer Stunde dauern oder jene, die eindeutiger Propaganda dienen.

Datenschnueffeln

In letzter Zeit muss auch bei jedem Interview gefragt werden, ob die
Bereitschaft dazu besteht, Befragungen auch via Internet durchfuehren zu
koennen. Unzaehlige E-Mail Adressen werden auf diese Weise gesammelt.
Abgesehen vom bedenklichen Datenschutz -- bei jeder Befragung wird nach
Alter, Geschlecht, Schulbildung, Berufstaetigkeit, Einkommen, Wohn- und
Arbeitsadresse, Anzahl der Kinder, Familienstand, politischen Interessen,
Wahlverhalten usw. usw. gefragt -- wird hier von den Beschaeftigten dafuer
gearbeiten, dass ihre Arbeit in absehbarer Zeit ueberfluessig wird. Damit
alles so richtig gut ausbeuterisch funktioniert, werden auch sehr haeufig
die Supervisor ausgetauscht. Wenn jemand nett ist, gibt's den oder die nicht
sehr lange.

Immer wieder gibt es von Einzelnen Aufrufe zum Widerstand, der eigentlich
von allen Betroffenen fuer notwendig befunden wird. Doch ist dies in der
Praxis kaum durchfuehrbar. "Wir werden wie SklavInnen gehalten" ist der
einmuetige Tenor. Protestaktionen fuehren hoechstens zum Rausschmiss. Und
wer will schon den Kopf hinhalten, wo die Austauschbarkeit kein Problem ist
und prekaer Beschaeftigte -- genau so wie Erwerbslose -- keine Vertretung
haben...
(aus dem Widerst@ndsMUND)

Kontakt: Angela.Mores@chello.at



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