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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. Maerz 2004; 16:54
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Initiativen/Venzuela/Aufruf:
> Zwei Jahre nach dem rechten Putschversuch
Solidaritaet mit Basisorganisationen und Regierung in Venezuela
In Venezuela findet seit einigen Jahren ein tiefgreifender Reformprozess
statt. Die Bewohner von Armenvierteln organisieren sich in
Stadtteilversammlungen und koennen, dank eines neuen Mitbestimmungsgesetzes,
ueber die Vergabe von oeffentlichen Haushaltsmitteln mitentscheiden. Auf dem
Land besetzen Sin Tierras brachliegende Laendereien von Grossgrundbesitzern
und erhalten bei der Gruendung von Kooperativen staatliche Unterstuetzung.
Ein neues Mediengesetz erleichtert die Gruendung von alternativen Radio- und
Fernsehstationen; staatliche Kultureinrichtungen stellen fuer solche
Buergerradios bisweilen Geraete zur Verfuegung. Mit Alphabetisierungs- und
Gesundheitskampagnen werden die Lebensbedingungen gerade in den Slums
verbessert. Die Regierung hat die Tobin-Steuer eingefuehrt, die
lateinamerikanische Wirtschaftskooperation vertieft, sich kritisch zu den
von EU und USA vorgeschlagenen Freihandelsmodellen geaeussert und
Mitbestimmungsgesetze in der Elektrizitaets- und Erdoelindustrie erlassen.
Ueber die Verwendung der Einnahmen des staatlichen Oelkonzerns PDVSA wird
erstmals seit 30 Jahren oeffentlich debattiert. Arme Staaten des Suedens
beziehen venezolanisches Erdoel zum Vorzugspreis. Zudem sind die Rechte von
Indigenen und Afro-Venezolanern in der neuen Verfassung von 1999 ausgebaut
worden.
Das sind die Veraenderungen, die in den Medien als "linkspopulistisch" und
"autoritaer" bezeichnet werden. Man muss die venezolanische Regierung Chávez
nicht verherrlichen - auch unter ihr gibt es Korruption, Borniertheit und
Machtkonzentration. Doch eines laesst sich nicht leugnen: Venezuela ist
heute eines der wenigen Laender der Welt, in denen Alternativen zu
Neoliberalismus und Medienkonzentration angegangen werden. Und dieser
Prozess wird - anders als in den buergerlichen Medien dargestellt - nicht
nur von der Regierung, sondern von einer breiten Basisbewegung getragen: vom
linken Gewerkschaftsverband UNT, von selbstorganisierten Stadtteilkomitees,
Bauernorganisationen, alternativen Medienprojekten ...
Die Regierung Chávez und ihre Politik sind seit 1998 sechs Wahlen und
landesweiten Referenden unterworfen worfen, sie hat alle gewonnen. Ihr
entscheidendes Manko: Im Gegensatz zur buergerlichen Opposition verfuegen
die Anhaenger der Regierung ueber keine Finanzmittel und kaum eigene Medien.
Das venezolanische Experiment steht wie das Chile Salvador Allendes 1973
unter massivem auslaendischem Druck. Im April und im Dezember 2002 hat die
buergerliche Opposition mit Hilfe Madrids und Washingtons versucht, Chávez
mit Gewalt zu stuerzen. In beiden Faellen scheiterten die Putsche an der
Mobilisierung der Bevoelkerung und am Verhalten einer Armee, die selbst von
den gesellschaftlichen Veraenderungen erfasst worden ist.
Ende 2003 hat die Rechtsopposition, die auch aus Deutschland u.a. von der
Konrad-Adenauer-Stiftung finanzielle Unterstuetzung erhaelt, nun ein
Abwahlreferendum gegen Praesident Chávez gestartet. Die Oberste
Wahlaufsichtsbehoerde hat jedoch 400.000 (von 3,4 Millionen eingereichten
Unterschriften) als ungueltig gewertet (weil von Toten, Kindern oder
nicht-wahlberechtigten Auslaendern unterzeichnet) und eine weitere Million
Unterschriften als problematisch bezeichnet. Entgegen der von der
Wahlaufsichtsbehoerde im Vorfeld aufgestellten Richtlinien wurden eine
Million Eintragungen offensichtlich von Wahlhelfern gemacht - ganze
Frageboegen sind in der gleichen Handschrift ausgefuellt. Weil
Unterschriften und Fingerabdruecke auch aus elektronischen Datenbanken
kopiert worden sein koennen (und die Unterschriftenlisten von der Opposition
vor der Uebergabe an die Wahlaufsichtsbehoerde fast einen Monat lang
zurueckgehalten wurden), ist nicht ersichtlich, ob die Unterschriften von
den betreffenden BuergerInnen geleistet oder von den Organisatoren des
Buergerbegehrens gefaelscht worden sind. Ende Maerz muessen eine Million
Menschen nun in einem neuerlichen Verfahren bestaetigen oder dementieren, ob
die Unterschriften von ihnen stammen.
Medien wie CNN und El País haben diese Entscheidung als Beleg fuer den
Autoritarismus in Venezuela bezeichnet. Die Opposition hat gewalttaetige
Strassenschlachten provoziert. Als die Guardia Nacional dagegen vorgegangen
ist, wurde dies als besondere Brutalitaet bezeichnet. Keine Rede davon, dass
die Guardia Nacional im Unterschied zu frueher keine Schusswaffen eingesetzt
hat und der Angriff eindeutig von den Rechten ausging. (Spitzenpolitiker von
Christ- und Sozialdemokratie sind auf Fotos neben Vermummten und an
Barrikaden zu sehen).
Offensichtlich herrscht nur dann Demokratie, wenn diejenigen regieren, die
immer regieren, und mit ihrer Medienkontrolle oder offenem Wahlbetrug dafuer
sorgen, dass sie alle vier Jahre an der Macht bestaetigt werden.
Wir rufen dazu auf, den venezolanischen Reformprozess gegen den Druck von
Medienkonzernen, EU und USA zu verteidigen. In dem suedamerikanischen Land
werden heute zwei Dinge verhandelt, die weltweit von Bedeutung sind:
- In Venezuela gibt es Basisbewegungen und eine Regierung, die damit
begonnen haben, Vorstellungen der Anti-Globalisierungsbewegung in die Praxis
umzusetzen und Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus wieder konkret zu
machen.
- In Venezuela entscheidet sich, ob parlamentarische Wahlen von den
Herrschenden einfach zur Farce gemacht werden koennen. Immer wieder haben
v.a. US-Regierungen (aber auch ihre europaeischen Verbuende-ten) dafuer
gesorgt, dass demokratisch gewaehlte Reformregierungen per Putsch, Mord und
Entfuehrung beseitigt wurden. Der wohl bekannteste Fall war der Sturz
Salvador Allendes 1973.
Das darf sich nicht wiederholen! Der Reformprozess in Venezuela ist ein
wichtiges und von der Bevoelkerung getragenes Experiment.
Am 11. April jaehrt sich der rechte, von Madrid und Washington unterstuetzte
Putschversuch in Venezuela zum zweiten Mal. Zu diesem Anlass rufen wir zu
Solidaritaetsaktionen mit Venezuela auf.
ErstunterzeichnerInnen: Kolumbienkampagne Berlin, Beatrix Sassermann
(Betriebsrat Bayer-Wuppertal), Raul Zelik (Autor), Bildungsoffensive
Brandenburg, Hermann Dierkes (stellv. Betriebsratsvorsitzender IG METALL),
Guenter Pohl (Lateinamerikakorrespondent), Dietrich Hoeper (Vorsitzender -
Verband fuer Entwicklungspolitik Niedersachsen VEN), Christine Klissenbauer
(Pax Christi Solidaritaetsfonds Eine Welt), Prof. Erhard Scholz (GHS
Wuppertal), Dr. Inno Rapthel (Chemiker, Halle), Internationales
Solidaritaetsnetzwerk (ISNRSI), Forschungs- und Dokumentationszentrum
Chile-Lateinamerika (FDCL), Willy Eberle (Gewerkschaft GBI-Schweiz), Stefan
Freudenberg (Student), Simón Ramírez Voltaire (Journalist), Ulrich Franz
(Chemiekreis), Gerd-Peter Zielezinski, (Betriebsrat und Stadtverordneter
Wuppertal), Elmar Altvater (FU Berlin), Thomas Guthmann (Berlin), Dario
Azzellini (Autor), Peter Kranz (Pfarrer), Heinz Stehr (DKP), Marco Tullney
(Uni Marburg), Franz Segbers (Uni Marburg), Uwe Nischwitz (EineWelthaus
Muenchen), Angela Hidding (Betriebsraetin und IGMetall), Fritz Stahl
(Rentner und IG Metall), Ulf Rassmann (Netzwerk Cuba), Zeitschrift Arranca,
Frank Schwitalla (Netzwerk Cuba), Prof. Heinz Dieterich (Universitaet Mexiko
D.F.), Barbara Koehler (Netzwerk Cuba), Organisierte Autonomie Nuernberg,
Dr. Heiner Koehnen (TIE), 3.Welt-Forum Hannover, Arbeitskreis Lateinamerika
Hannover, Almut Pape (Retnerin), Gottfried Heil (IG Metall Oberschwaben),
Angela Klein (ISL), Hans-Guenter Mull (Redaktion SoZ), Dieter Boris (Uni
Marburg), Ralph Guariguata (Betriebsrat und Mitglied des Chemiekreises),
Frank Deppe (Uni Marburg), Martin Glasenapp (Medico International),
Bundesweite Initiative Libertad, Johannes M.Becker (Uni Marburg), ATTAC
Hamburg - AG Frieden, AK Internationalismus IG Metall, Gruppe FelS (Berlin)
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