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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Maerz 2004; 12:15
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Arbeit/Glosse:

> Je mehr Magenschmerzen, desto suesser laecheln sie"*

Positives Denken - vom Esoterik-Ideologem zum klassischen Gleitmittel

In seinem Roman "Herrn Kukas Empfehlungen" schildert Radek Knapp hoechst
treffend die anstandslose Unterordnung unter den Guru Verwertbarkeit. Sein
junger polnischer Held, zum ersten Mal nach Wien gereist, ist bass erstaunt
ueber die Sitten im goldenen Westen. Die Menschen "sitzen vierzehn Stunden
am Tag ueber ihren Computern. Ihre ganze Abwechslung liegt darin, dreimal am
Tag auf die Toilette zu gehen, und das Essen holen sie aus einem Automaten,
der auf dem Flur steht. Sie verzehren es ueber ihren Computertastaturen. Die
Haelfte davon landet zwischen den Tasten, und sie merken nicht mal was
davon. In ihren Armani-Sakkos tragen sie eine ganze Apotheke gegen
Kopfschmerzen und Gastritis. Nach Bueroschluss sehen sie wie Zombies aus.
Aber glauben Sie, dass sich jemals einer deswegen beschwert haette? Im
Gegenteil. Je mehr Magenschmerzen, desto suesser laecheln sie."

War Positives Denken, einst Esoterik-Ideologem, ist es nunmehr zum
selbstverordneten Gleitmittel fuer die bedingungslose Anpassung an die
herrschenden sinnlosen, wahnsinnigen Verhaeltnisse geworden.

Volkshochschulen - gespenstische Staetten der Staehlung des "automatischen
Subjekts"

Volkshochschulen (VHS), einst gesellschaftskritischer Hort, sind im Laufe
der vergangenen beiden Jahrzehnte immer mehr zu einer wahrlich
gespenstischen Staette der Staehlung des "automatischen Subjekts" (Marx)
mutiert.

Aus dem Kursprogramm zweier Wiener Volkshochschulen vor ein paar Jahren:

* "Kraft und Wirkung von Gedanken: Unsere Gewohnheiten kreieren unsere
eigene Welt. Es gibt kaum eine groessere Kraft als die Kraft unserer
Gedanken, und koerperliche sowie seelische Gesundheit haengen davon ab. Erst
wenn wir anfangen, die Verknuepfung von Gedanken, Gefuehlen und Handlungen
zu verstehen, koennen wir Eigenverantwortung uebernehmen und die Qualitaet
unseres Lebens bestimmen. Unser Schicksal liegt in unserer Hand."

Die Esoterik predigt seit Jahrzehnten: Das Bewusstsein schafft die
Realitaet, durch dein Bewusstsein schaffst du dir deine eigene Realitaet.
Jeder ist seines Glueckes Schmied. Alles, was dir passiert, ist notwendig
und gut, weil es dein Karma ist.

Im VHS-Programm klingt's fast genauso, aber nicht etwa in Ankuendigungen
esoteriknaher Kurse, sondern in jenen der unzaehligen
Selbstmanagement-Kurse.

* "Stressbewaeltigung: Der Stresspegel ist rapide angewachsen. Das Leben
befindet sich auf der Ueberholspur, um den beiden Verfolgern, naemlich dem
chronischen Erschoepfungssyndrom und dem Erleben eigener Unfaehigkeit, zu
entkommen. Bauen Sie sich wieder auf und werden Sie belastbarer!"

",Krieg` am Arbeitsplatz - Den Kampf gewinnen: Die Luft am Arbeitsmarkt ist
duenn, das Raumklima dementsprechend: Ungerechtes Gehalt, aufreibende
Arbeitszeiten, schlechte Stimmung unter den Kollegen, Arbeitsdruck,
Konkurrenz, Neid, Mobbing, despotische Chefs und schlechte Aufstiegschancen
machen vielen Menschen den Berufsalltag zur Hoelle. Harmonie ist nicht immer
erreichbar, einen Kampf zu gewinnen aber allemal besser als ihn verlieren."

* "Ohne Wollen geht nichts! Key Mind - der neue Weg zur Selbstmotivation:
Koennen Sie nur das tun, was Sie wollen? Schoen waer's! Wir haben
tagtaeglich auch jede Menge Aufgaben zu erledigen, die wir uns nicht
ausgesucht haben und die uns keinen Spass machen. Damit verdeckte
Widerstaende nicht zu heimlichen "Energiefressern" werden und wie Sie mit
inneren Widerstaenden konstruktiv umgehen."

Neben all den unzaehligen "Durchhalte"-Kursen gibt es keinen einzigen, der
den menschenverachtenden Alptraum kritisch hinterfragt, keinen einzigen, der
die Mechanismen durchleuchtet, warum alle, ohne mit der Wimper zu zucken,
blindlings ihr eigenes Grab buddeln und sich dabei einreden, ein Haus zu
bauen.

Das Gegenteil von Positivem Denken ist keineswegs Negatives Denken, sondern
schlicht Kritik und Veraenderung in Richtung Emanzipation. Legionen von
ArbeitslosentrainerInnen, Legionen von Arbeitslosen, Legionen von
Arbeitslosenverwaltern, Legionen von Angestellten in Sozialinstitutionen -
darunter zahlreiche fruehere lautstarke GesellschaftskritikerInnen - beten
heute jedoch inbruenstig die makabren Litaneien des Marktes. Nirgendwo ist
die Rede von all den Arbeitslosen, die sich das Leben nehmen, weil ihre
"Wert"losigkeit unertraeglich ist - sie werden hoechstens als Kranke
abgehakt. Kein Aufschrei ob der sozialen und gesundheitlichen Folgen des
taeglichen Kampfes: von der Ausduennung der zwischenmenschlichen Beziehungen
bis hin zu Herzinfarkt und Gehirnschlag bei 30- und 40-Jaehrigen.

Dazu hat die Esoterik unermuedlich ihr Scherflein beigetragen, indem sie
seit zwei Jahrzehnten die Flucht in Scheinwelten uebt und damit dem Zugang
zu grundsaetzlicher Kritik im Wege steht.

Jeder ist sein eigener Sklaventreiber

In der gesamten Arbeitswelt und noch staerker in der Arbeitslosenwelt ist
jede/r vom (inneren) Zwang zum Positiven Denken beherrscht. Wer seinen
Arbeitsplatz erhalten und noch mehr, wer wieder einen ergattern will, hat
nur so vor Optimismus und Charme zu strahlen. Frappant: Business-Adepten ist
dasselbe entrueckte Laecheln, besser gesagt Grinsen, ins Gesicht gemeisselt,
wie es einst nur esoterisch Entrueckten und Sektengurus eigen war.

Von Arbeitslosen wird behauptet, sie haetten den Dreh noch nicht raus. Sie
werden vom Arbeitsamt mit Kursen zwangsbeglueckt, in denen sie in die
Geheimnisse des Positiven Denkens eingeweiht werden: Ihnen wird eingeblaeut,
sie muessten alle Aengste, Zweifel und schlechten Erfahrungen einfach
beiseite schieben, stattdessen braeuchten sie nur vor Optimismus und
Ueberzeugung zu strahlen wie ein Sieger, sie braeuchten nur vollkommen
ueberzeugt zu sein, einen Job zu finden, dann bekaemen sie auch einen.

In einer Welt, die immer mehr an ihren Widerspruechen zugrunde geht, in der
der Schein laengst mehr zaehlt als alles andere, ist Positives Denken das
wirksamste Mittel zur Anpassung. Frueher wurden Sklaven brachial zur Arbeit
gezwungen, heute ist jeder sein eigener Sklaventreiber - ganz positiv
eingepeitscht.

Frueher, als es noch etwas nuetzte, machten Arbeitslose eine Ausbildung oder
eine Umschulung. Heute geht es nicht mehr darum, dass die Arbeitskraft reale
Vernutzungsfaehigkeiten anzubieten hat, sondern um
Selbstvermarktungstechniken und Autosuggestion. Heute gibt's von den
Arbeitslosenverwaltern statt Jobs Durchhalteparolen. Durchhalteparolen wie
in einem Krieg, der laengst verloren ist. Wer glaubt denn wirklich, dass die
Arbeitslosen wegzuphantasieren seien? Wer glaubt denn wirklich, dass die
Arbeit noch zu retten ist?

Rationale Irrationalitaet und irrationale Rationalitaet - eine moerderische
Co-Produktion

Positives Denken, Visualisierung - oder wie immer es genannt werden will -
mag durchaus seine Berechtigung haben; zum Beispiel, um seine Gesundheit zu
verbessern oder sie wiederzuerlangen. Wer denkt schon immerzu negativ? Wer
beschwoert schon permanent eine Self-fulfilling Prophecy herauf? In der
Arbeitswelt und im Umgang mit Arbeitslosigkeit haben solche Psychotechniken
aber nur die Funktion, selbst die offensichtlichsten gesellschaftlichen
Verruecktheiten zum Privatproblem umzufunktionieren und fuer deren
Bewaeltigung jeden Einzelnen verantwortlich zu machen. Im Lichte des
Positiven Denkens erscheint nie der Zwang, das Leben vollstaendig auf die
Kriterien betriebswirtschaftlicher Rationalitaet auszurichten, als
aberwitzig. Als irrational werden immer nur die psychischen und biologischen
Barrieren gegen diese Zumutungen bezeichnet. Das Positive Denken spart nicht
an Tipps zum Wegretuschieren nachteiliger lebensgeschichtlicher Details.
Diese Techniken des Selbstmarketings helfen jedoch selten, schliesslich ist
jeder Personalchef mit den standardisierten Tricks laengst vertraut. Wer
nicht das richtige Alter, die noetige Erfahrung oder gar Kinder hat, bleibt
trotzdem ohne Chance. Wer durch die Schule des Positiven Denkens gegangen
ist, lernt hoechstens, dass alles Unverwertbare an der eigenen Biographie
den Status einer Behinderung hat und dass die Kriterien der
Arbeitskraftkaeufer die einzig verbindlichen sind.

Die esoterisch unterlegte Rueckbesinnung auf die "inneren Kraefte" und den
"eigenen Weg" versprach einmal einen gewissen Abstand zu den aeusseren
Zwaengen des Daseins und Erloesung von falschen Schuldgefuehlen. Heute
erfuellt sie genau die umgekehrte Funktion. Das Positive Denken hilft nicht
nur bei der Durchsetzung totaler Anpassungsbereitschaft, es macht Menschen
permanent fuer Umstaende verantwortlich, fuer die sie nicht das Geringste
koennen. Dass auf dem Arbeitsmarkt die gesellschaftlichen Verhaeltnisse
nichts seien und der reine Wille alles, wird offiziell als Ermutigung
verkauft; diese Botschaft hat aber eine Vorverurteilung zum eigentlichen
Kern: Misserfolg beweist, der Erfolglose war des Erfolgs nicht wert. So
spiegelt sich im Positiven Denken eine ins Diesseits verlegte Wiederkehr der
calvinistischen Praedestinationslehre.

Die aus der Rationalitaet der Gesellschaft erwachsene Irrationalitaet der
Esoterik geht immer wieder in der Rationalitaet der Gesellschaft auf.

Infantile Omnipotenzphantasien

Traditionell verbindet man mit dem Prozess des Erwachsenwerdens so etwas wie
zunehmende Einsicht in die eigenen Moeglichkeiten. Als erwachsen gilt, wer
eine realistische Vorstellung jener Schranken entwickelt hat, die seiner
eigenen Person durch Biographie, Charakter und soziale Umstaende gesetzt
sind. Infantiles Verhalten ist demgegenueber von Omnipotenzphantasien
gepraegt und schwebt (noch) traumtaenzerisch ueber solche Grenzen hinweg.
Das Positive Denken stellt diese Ordnung auf den Kopf, aber nicht in einem
emanzipativen, sondern in einem durch und durch repressiven Sinn. Positives
Denken steht nicht fuer den Traum, die eigenen Grenzen ueberschreiten zu
koennen, sondern fuer den Zwang, permanent den Eindruck erwecken zu muessen,
dazu jederzeit in der Lage zu sein. Allmachtstraeume sind nichts mehr, was
Menschen besser verstecken, wenn sie von ihrer Umgebung als zurechungsfaehig
anerkannt werden wollen. Sie sind als Vermarktungsargument zu praesentieren.
Psychologisch betrachtet ist Positives Denken somit als kontrollierte
Einuebung in Regression und infantilen Groessenwahn zu charakterisieren. Es
fuehrt Menschen zurueck in die Entwicklungsstufe des magischen Denkens. Ein
klinisches Symptom ist zum Sozialisationsziel aufgestiegen.

Die Arbeits"kirche" nimmt immer sektenhaftere Zuege an

Heute ist nicht mehr allein die Arbeitskraft gefragt, sondern der "ganze
Mensch" hat sich einzubringen - nach dem Vorbild des Kuenstlers oder des
Sportlers. Ein pseudomenschliches Management, das anstatt auf Soft Skills
und Selbstverantwortung auf klassische Hierarchien setzt, verhilft zur
Vollauspressung bis an die physischen und psychischen Grenzen. Seine
klassische Auspraegung hat diese Tendenz in der New Economy gefunden. In
diesem Sinne werden heute alle trainiert - vom Arbeitslosen bis zum
Manager -, um fuer den Konkurrenzkampf gestaehlt zu sein: von Autosuggestion
bis zum beruechtigten Survival-Kurs wird so manches mit ihnen angestellt.
Solch Inszenierungen und Methoden sind jenen von Sekten nicht unaehnlich.
Etwa der in Wien lange Zeit fuer alle Arbeitslosen gleich zu Beginn ihrer
Arbeitslosigkeit zwingende "Bewerbungs-Impulstag" aehnelte frappant einer
"Gehirnwaesche". Wie ein Fernsehprediger besprengte der Trainer die
versammelten 500 Arbeitslosen mit Wortgeklingel: "Der Arbeitsmarkt ist zwar
schwierig, aber man braucht nur von der Schattenseite in die Lichtseite
treten."

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Sekten und der Zurichtung von
Humankapital fuer den Arbeitsmarkt ist eine Regression bis zur
Infantilisierung: immerzu laecheln, immer super-gut drauf sein, das Leben
ist ein Hit! Selbstindoktrination jenseits jeglicher Realitaet. Frueher
wurde Realitaetsverlust als psychische Krankheit betrachtet, heute wird er
kollektiv verordnet.

Schliesslich sorgt sowohl bei Sekten als auch in der Arbeitswelt oftmals
eine Uniformierung der Kleidung - Stichwort Corporate Identity - einerseits
fuer eine Beschraenkung der Individualitaet und bietet andererseits eine
Identifikationsmoeglichkeit.

Das kommt hier wie dort einer negativen Aufhebung der Trennung von Arbeit
und Privatheit gleich. Sowohl Sektenmitglieder als auch immer mehr jede
Arbeits"monade", und jeder Arbeitslose erst recht, stehen rund um die Uhr im
Einsatz.

Job und Weiterbildung als Pyramidenspiel

Die negative Aufhebung der Trennung von Arbeit und Privatheit betrifft nicht
nur das rund um die Uhr Arbeiten der Ich-AGs oder Angestellten, sondern in
variierter Form das Jobben im so genannten Strukturvertrieb, im
Schneeballsystem. Arbeitslose stossen bei der Arbeitssuche unweigerlich
immer wieder auf Organisationen, die solcherlei anbieten. Was sich einst als
klassische Tupperware-Party praesentierte, ist heute zum finanziellen
Ueberlebenskampf fuer viele geworden. Bei dieser Verkaufsmethode, geht es
nur bedingt darum, viel zu verkaufen, sondern darum, neue VerkaeuferInnen zu
finden, an deren Umsatz man mitverdient. Das Ganze ist hierarchisch, wie ein
Pyramidenspiel, aufgebaut. Die ganz oben sind, koennen womoeglich
tatsaechlich gut verdienen, aber je weiter unten man steht, desto
aussichtsloser ist das Unterfangen. Wer rechnen kann, wird merken, dass bald
die halbe Erdbevoelkerung zu MitverkaeuferInnen werden muesste, damit es
sich auszahlt. Die meisten, die sich auf solche Machenschaften einlassen,
kommen nicht ohne riesigen Schuldenberg davon. Ueber einen exemplarischen
Fall berichtete der WDR am 29. Maerz 2001. Ein junger Mann nahm einen Kredit
von 70.000 DM auf, um den Vertrag, die Waren und das noetige Outfit zu
finanzieren. Er schaffte es nicht, seinen Irrtum den Angehoerigen gegenueber
einzugestehen und nahm sich das Leben.

In Deutschland gibt es zwar ein Gesetz, das Strukturvertrieb ("progressive
Kundenwerbung") verbietet; weil dieser aber oft schwer nachweisbar und das
Strafausmass gering ist, kommt es selten zu Verurteilungen.

Mit kultaehnlich inszenierten (Werbe-)Abenden werden sowohl potentielle
KaeuferInnen als auch (potentielle) VerkaeuferInnen bei der Stange gehalten.
Geworben wird immerzu mit Selbstaendigkeit, Unabhaengigkeit, Glueck und
Reichtum, und bei der legendaeren Firma Herbalife natuerlich auch mit
Gesundheit. Ueberdies koennen bei dieser Verkaufsform private Kontakte
leicht getruebt oder zerstoert werden, wenn man Freunden etwas andreht, das
sie von einem Fremden nicht kaufen wuerden.

Zur Zeit grassiert ein wahrer Weiterbildungs- und Coachingwahn. Wenn sonst
schon nichts mehr verkauft werden kann, versucht man eben, den Arbeitslosen,
die vor Arbeitslosigkeit rettende Idee anzudrehen. Bewerbungsratgeber, in
Buchform als auch in Person, gibt es wie Sand am Meer. So verwundert es
nicht, dass es bereits auch Persoenlichkeitsbildungsseminare im
Strukturvertrieb gibt - aeusserst kostspielige, mit nur vage angedeuteten
Inhalten, aber garantiert mit sektenartiger Indoktrination.

Serioese oder dubiose Weiterbildungen?

Verbraucherschutz-Organisationen und Sektenberatungsstellen der
evangelischen und katholischen Kirche warnen immer oefter vor Aus- und
Weiterbildungen, fuer die Unsummen hinzublaettern sind und deren
Brauchbarkeit meist gering ist. Neuerdings suchen immer mehr Menschen
Sektenberatungsstellen auf, die sich Sorgen um Angehoerige machen, die durch
berufliche Weiterbildungen oder Seminare zur Persoenlichkeitsentwicklung ein
voellig veraendertes Verhalten und Bewusstsein an den Tag legen. Es zaehlt
nur mehr der berufliche Erfolg; alles andere - ihre Familie, ihr
Privatleben - nehmen sie kaum mehr wahr, sie haben weder Zeit noch Energie
dafuer. Die Zahl der Menschen, die sich in Unkosten stuerzen, die ihre ganze
Freizeit opfern, weil sie den Erfolgsversprechungen erliegen, nimmt immer
epidemischere Ausmasse an. Der Trend geht zur Zeit in Richtung lang dauernde
und teuere Seminare, die die TeilnehmerInnen meist selbst finanzieren. Zur
Zeit der absolute Renner in Deutschland: "Fasten, Schweigen, Meditieren".
Dieses Seminar dauert neun Tage, in denen den Leuten das Essen, das Reden
und jeder Kontakt zum anderen verboten wird. (Der Standard, 20./21. Dezember
2003, Von der Wiege bis zur Bahre gibt es nicht nur Seminare)

Die Sektenberater versuchen, eine Unterscheidung zwischen serioesen und
dubiosen Weiterbildungen aufzuzeigen. Sie meinen, wenn dabei der Mensch, der
Partner, Familie und Freunde auf der Strecke bleiben, wenn das
Selbstbestimmungsrecht beschnitten wird, sei aeusserste Vorsicht geboten.
(Sueddeutsche Zeitung, 7. Juni 2003, Interview von Otto Fritscher mit Axel
Seegers und Rudi Forstmeier, zwei Muenchner Beratern in Sachen Sekten und
Weltanschauungsfragen)

Es scheint jedoch mehr als fragwuerdig, ob eine Trennung in gute und
schlechte Seminare moeglich ist. Was ist mit all den zwangsweise
verordneten, oft unnuetzen Weiterbildungen fuer Arbeitslose? Was ist mit all
den Aus- und Fortbildungen, die den TeilnehmerInnen weder Job noch
berufliches Weiterkommen bringen?

Noch abstruser wird es, wenn bezueglich Weiterbildungen gefragt werden soll,
ob der Mensch, der Partner, Familie und Freunde auf der Strecke bleiben oder
ob das Selbstbestimmungsrecht beschnitten wird. Diese Frage sollte allen
voran hinsichtlich der Arbeit selbst gestellt werden! Als ob es heute noch
Jobs gaebe, die das Selbstbestimmungsrecht nicht beschneiden wuerden, Jobs,
bei denen der Mensch, der Partner, Familie und Freunde nicht auf der Strecke
blieben, ganz zu schweigen vom Raubbau an der Gesundheit! Ist all das fuer
die Herrn und Damen Sektenberater serioes? Die simple dualistische
Einteilung in Serioes und Dubios, in Gut und Boese greift nicht und lenkt
davon ab, dass "Auswuechse" nur eine Fortsetzung der Normalitaet sind. Das
Dubiose ist lediglich eine logische Weiterentwicklung des Serioesen. Niemand
will wahrhaben, dass die Grenze zwischen Serioes und Dubios immer mehr
verschwimmt. In Zukunft werden sich die Grenzen zwischen Arbeit,
Weiterbildung, Gluecksspiel und Sekte wohl noch viel mehr aufloesen.
*Maria Woelflingseder*

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* Vorabdruck aus dem Buch "Dead Men Working - Gebrauchsanweisung zur
Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs", hg. von
Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Karl-Heinz Lewed; Unrast Verlag, Muenster,
ca. 260 Seiten, 16 Euro, ISBN 3-89771-427-2, erscheint im Mai 2004.
Kontakt und Buchbestellungen: Maria Woelflingseder, Anton-Scharff-Gasse
6/13, 1120 Wien, Tel. 810 60 22, m.woelf@utanet.at




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