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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. Maerz 2004; 12:56
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Moderne Zeiten/Polizei/Staat/Kommentar:

> Populistischer Aktionismus zur Terrorbedrohung

Ein Kommentar der "Arge Daten" zu den Videoueberwachungsplaenen des
Innenministers

Auf Grund fehlender rechtlicher Regelungen gibt es bei Privatunternehmen
einen Wildwuchs von rund 160.000 Videokameras in Oesterreich. Davon dienen
etwa 140.000 dem privaten Lausch- (oder besser: Guck-)angriff. Rund 80%
dieser Systeme sind jedoch Einzelinstallationen (bis 5 Kameras), meist wenig
gewartet und vielfach unbeaufsichtigt, bis zu 10% sind funktionslose
Dummy-Kameras.

Trotz der grossen Zahl ist damit weniger als 1 Promille des oeffentlich
zugaenglichen Raumes in Oesterreich erfasst. Selbst wenn man nur urbane
Bereiche, Strassen und Bauwerke betrachtet, liegt die Erfassungdichte weit
unter einem Prozent.

Beispiel OeBB: 18.000 Kameras

Wuerde man ernsthaft eine halbwegs flaechendeckende Ueberwachung des
OeBB-Netzes als potentielles Terrorziel in Erwaegung ziehen, muesste man
etwa 18.000 Kameras installieren, jeweils rund die Haelfte stationaer an den
Bahnhoefen, die zweite Haelfte in den Zuegen, ganz zu schweigen vom 5.700 km
langen Streckennetz, das weiterhin ungesichert bliebe.

Der Betrieb eines derartigen Netzwerks wuerde im Dreischichtbetrieb rund
dreitausend zusaetzliche Ueberwachungspersonen erfordern. Nach allen
internationalen Erfahrungen ist es nicht moeglich, durch eine Person mehr
als 20 Videomonitore parallel zu ueberwachen. Die Alternative einer
automatischen Auswertung besteht derzeit nicht, da kein System am Markt ist,
das geeignet waere Personen oder auch nur auffaelliges Verhalten genuegend
sicher zu identifizieren. Das Bundesamt fuer Sicherheit in der
Informationstechnik (Deutschland) hatte zuletzt einen ernuechternden Bericht
veroeffentlicht. Bis zu 99% Fehlerrate bei professioneller
Bilderkennungssoftware. Die blosse Aufzeichnung derartiger Datenmengen ist
wenig zielfuehrend, da damit bestenfalls nachtraegliche
Kriminalitaetsdokumentation betrieben werden koennte.

Umgekehrt konzentriert sich das OeBB-Verkehrsaufkommen zu 80% auf bloss 20
Bahnhoefe. Man koennte demnach alternativ auch nur 40 Kameras installieren.
An geeigneten Plaetzen aufgestellt wuerden diese immerhin von 60-80% aller
OeBB-Fahrgaeste wahrgenommen werden. Sie waeren zwar zur
Verbrechensbekaempfung ungeeignet, da viel zu leicht zu umgehen, man haette
aber das perfekte Sicherheitsplazebo produziert.

Signal zur sozialen Kontrolle und Saeuberung

Verschiedenste Studien haben jedoch ergeben, dass Videoueberwachung dann
'wirksam' ist, wenn darueber geredet wird. Das heisst in der Regel sinkt in
einem Areal in dem Videoueberwachung geplant ist, die (Klein)Kriminalitaet
VOR Installation. Nach der Installation waechst sie wieder langsam an und
kann sogar hoeher sein als vorher.

Eine -- auch vom oesterreichischen Bundeskriminalamt bestaetigte -- Studie
aus Grossbritannien zeigte nur einen sehr geringen Zusammenhang von
Videoueberwachung und Kriminalitaet. Bei Auswertung von 24
Videouebewachungssystemen lag bei vier eine Steigerung vor, bei 7 ein
Gleichbleiben und bei 13 ein Sinken der Kriminalitaet. Beruecksichtigt
werden muss jedoch, dass in allen Faellen mit der Installation der
Videoueberwachung auch eine Modernisierung der gesamten Stadtinfrastruktur
erfolgte und unter anderem schlicht die Strassenbeleuchtung verbessert
wurde.

Gut geeignet ist jedoch Videoueberwachung zur sozialen Saeuberung.
Unerwuenschte Personen, etwa offensichtlich Fremde, aermlich gekleidete
Personen, herumliegende Obdachlose, allzu oeffentlich taetige Liebespaerchen
und mehr oder weniger aufdringliche Bettler koennen in Einkaufsstrassen
rascher identifziert werden und leichter in Nebenstrassen und weniger
einsehbaren Parkanlagen und Hausdurchgaengen abgedraengt werden. Dies ist
der tatsaechliche Grund, warum oesterreichische Geschaeftsleute so vehement
fuer die Videoueberwachung ihres Geschaeftsumfeldes plaedieren. Ein Bettler
vor der Eingangstuer ist eben nicht wirklich verkaufsfoerdernd (wohl aber
ein Teil unserer urbanen Wirklichkeit).

Ein weiteres Ausbreiten der Videoueberwachung wuerde zu einem
Verdraengungswettbewerb sozial abweichenden Verhaltens fuehren.

Innenministerium wird zum Ober-Stalker

Waehrend in der 'Oeffentlichen Sicherheit', dem offiziellen Organ des
Innenministeriums, eine Anti-Stalker-Initiative gesetzt wird, will sich
Bundesminister Strasser zum Oberstalker der Nation aufschwingen.

Als Stalker werden jene laestigen Zeitgenossen bezeichnet, die durch
auffaelliges Beobachten, hinter jemanden hergehen oder auch durch die blosse
Anwesenheit vor der Wohnungstuer oder dem Arbeitsplatz Menschen belaestigen.
In manchen Staaten steht diese Form der Beschraenkung der persoenlichen
Freiheit und des Eingriffs in die Privatsphaere auch dann unter Strafe, wenn
keine Besitzstoerung, keine Bedrohung oder Beschimpfung vorliegt und auch
keine persoenlichen Daten missbraucht werden. In Oesterreich soll es zum
behoerdlichen Auftrag werden.

Auch im oeffentlichen Bereich besteht Anspruch auf ein maximal moegliches
Ausmass an Privatsphaere, Videoueberwachung wird daher in den meisten
Faellen als Belaestigung zu qualifizieren sein. (gek.)

Quelle: http://www.argedaten.at/news/20040319.html




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