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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Maerz 2004; 06:07
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Australien:

> Riot in the Block

Nach dem Tod eines von der Polizei verfolgten Jugendlichen rebellierten die
Aborigines in Sydney.

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"Kindermoerder" und "Killer" - die Sprechchoere der rund hundert Menschen
brachten die Stimmung innerhalb der Aborigine-Community von Redfern ueber
die oertliche Polizei auf den Punkt. Am vorletzten Sonntag lieferte sich die
wuetende Menge in dem Stadtviertel Sydneys eine Strassenschlacht mit der
Polizei, die die Lage erst nach neun Stunden wieder unter Kontrolle bekam.
Zuvor brannten die Jugendlichen die oertliche Bahnstation nieder und
schlugen Schaufensterscheiben ein. Von Anfang an waren die Polizisten selbst
das Ziel der aufgestauten Aggressionen der jungen Menschen, die die
Uniformierten mit Steinen, Flaschen, Molotowcocktails und selbst gebastelten
Raketen angriffen. Insgesamt 40 der 200 eingesetzten Polizisten wurden
waehrend der Strassenkaempfe verletzt, viele erlitten Knochenbrueche durch
Wurfgeschosse.

Die Auseinandersetzungen begannen, als am Sonntagvormittag in Redfern der
Tod des 17jaehrigen Thomas Hickey, genannt »TJ«, bekannt wurde. Der junge
Aborigine war am Tag zuvor mit hoher Geschwindigkeit vom seinem BMX-Fahrrad
gestuerzt und auf einen Metallzaun gefallen, an dem er sich aufspiesste. An
den Verletzungen, die er sich hierbei zuzog, starb er am naechsten Tag im
Krankenhaus.

Fuer seine Mutter Gail Hickey standen die Schuldigen fest: Ein
Polizeifahrzeug habe ihren Jungen verfolgt und in den Tod getrieben, sagte
sie im australischen Radio. Ihr Sohn habe schon immer panische Angst vor der
Polizei gehabt, die in dem Viertel, in dem es grosse Probleme mit
Drogenkonsum und Kriminalitaet gibt, staendig auf Patrouille ist. »Sie
behandeln unsere Kinder wie Hunde«, kritisierte sie. »Wenn du schwarz bist
und einen Polizeiwagen siehst, gibt es nur noch eines: renn!« So beschreibt
auch Marilyn Cargill, die Tante des zu Tode gekommenen Jungen, die Situation
junger Aborigines. Inzwischen ist die 37jaehrige Cargill selbst in Haft,
weil sie waehrend der Strassenschlacht Raketen auf Polizisten abgefeuert
haben soll.

Waehrenddessen lehnt die Polizei von Redfern jede Verantwortung fuer den
Tod des Jugendlichen ab. »Als der Junge das Fahrzeug der Polizei passierte,
beschleunigte er aus unerfindlichen Gruenden sein Fahrrad und verlor die
Kontrolle«, liess die Polizei sofort nach dem Vorfall auf einer
Pressekonferenz verbreiten. Zunaechst hatten die Beamten behauptet, es sei
ueberhaupt kein Polizeifahrzeug in der Naehe des Todesortes gewesen.

Drei Tage nach dem Vorfall meldete sich dann eine Augenzeugin, die als
Sozialarbeiterin in dem Armenviertel beschaeftigt ist, in der Tageszeitung
Sydney Morning Herald und bestaetigte die Version der Mutter von Thomas.
Bereits zuvor hatte die Regierung der Region North South Wales angekuendigt,
drei Untersuchungen zum Tod von Thomas Hickey einzuleiten.

Der Tod des Teenagers wirft ein Licht auf die prekaere soziale Lage, in der
sich die meisten Aborigines in den australischen Staedten befinden. Thomas
Hickey bewohnte mit seiner Tante eine der Sozialwohnungen, die von der
Regierung in den sechziger Jahren errichtet wurden. Das Gebiet wurde in
einem der ersten Bodenerlasse an die Aborigines zurueckuebertragen, um ihnen
das Wohnen in den Staedten zu ermoeglichen, das ihnen bis dahin untersagt
war.

Die Anlage der Wohnhaeuser, die »The Block« genannt wird, befindet sich in
einem verfallenen und maroden Zustand. Aus dem einstigen sozialen
Vorzeigeprojekt ist inzwischen eine Umgebung geworden, die durch Leerstand,
Drogenhandel, Kriminalitaet und tagtaegliche Konfrontationen mit der Polizei
gepraegt ist. Die Mehrzahl der Bewohner leidet unter Armut und
Arbeitslosigkeit. Die Aussichten fuer die jungen Aborigines, einen guten Job
oder eine gute Ausbildung zu bekommen, sind gleich null. Schon laenger gaert
es deshalb in der lokalen Community, wie Lyle Munro, einer der Anfuehrer,
meint: »Es handelt sich nicht um eine Ausnahme, diese Entwicklung waehrt
schon laenger. Sie koennen jeden Jugendlichen hier aus der Gegend fragen,
und die Mehrheit wird Ihnen sagen, dass sie alle schon einmal von der
Polizei geschlagen wurden.« Seit Mitte der neunziger Jahre kommt es
regelmaessig zu kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Tod des
Jungen sei deshalb nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Ueberlaufen
brachte.

Tatsaechlich liegen zwischen den Lebensbedingungen von weissen Australiern
und der Mehrheit der Aborigines immer noch Welten, trotz aller
multikulturellen Bekundungen und aller Sozialprogramme der australischen
Regierung. Die Aborigines, die zwei Prozent der Gesamtbevoelkerung stellen,
haben eine statistische Lebenserwartung von 56 Jahren fuer Maenner und 63
Jahren fuer Frauen, demgegenueber koennen weisse maennliche Australier mit
77 Jahren rechnen, weibliche sogar mit 82. Die Kindersterblichkeitsrate von
Aborigines liegt doppelt so hoch wie beim Rest der Bevoelkerung. In den
australischen Gefaengnissen sind 20 Prozent der Gefangenen Aborigines, bei
Jugendlichen ist die Rate sogar noch hoeher. All diese Zahlen spiegeln die
Marginalisierung der australischen Ureinwohner und ihre soziale
Deklassierung in der weissen australischen Mehrheitsgesellschaft wider.

Waehrend der konservative Oppositionsfuehrer in New South Wales forderte,
die betreffenden Wohngebiete mit Bulldozern platt zu machen und die Bewohner
umzusiedeln, machte die regierende Labor-Partei die Eltern der Jugendlichen
fuer die Gewalttaetigkeiten verantwortlich. Zudem kuendigte die Regierung
an, bis zur Beerdigung von Thomas Hickey stillzuhalten, dann aber 40
Verdaechtige, die an den Ausschreitungen teilgenommen haben sollen,
festzunehmen. Aden Ridgeway, der einzige Aborigine-Abgeordnete im
australischen Parlament, forderte eine unabhaengige Untersuchung der
Vorfaelle, die auch die sozialen Verhaeltnisse einbeziehen muesse. Wenn die
Fragen der Polizeikritiker nicht zufriedenstellend beantwortet wuerden, sei
es »mehr als wahrscheinlich, dass es zu einem weiteren Ausbruch von Gewalt
kommt«.
(martin kroeger, jungle world 10/2004)



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