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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Maerz 2004; 05:48
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Kroatien:

> Pitbull mit Pudelkopf

Tudjmans Erbe: Der kroatische HDZ-Premier geraet mit seiner
Versoehnungspolitik in der eigenen Partei immer staerker unter Druck.

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Ganze sieben Tage liess sich der kroatische Premierminister Ivo Sanader kaum
in der Oeffentlichkeit blicken. Er hatte alle Haende voll zu tun, radikale
Mitglieder seiner Partei, der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ),
zu beruhigen, nachdem die Anklage des Uno-Tribunals in Den Haag gegen zwei
hochrangige ehemalige kroatische Offiziere bekannt geworden war. Sie wirft
Mladen Markac und Ivan Cermak die Verantwortung fuer Kriegsverbrechen vom
Herbst 1995 bei der Rueckeroberung der serbisch besetzten Krajina vor. Ein
grosser Teil der HDZ-Mitglieder lehnt die Zusammenarbeit mit dem
Kriegsverbrechertribunal ab. Sanader versuchte sie davon zu ueberzeugen,
dass eine Kooperation mit dem Tribunal Kroatien nuetze. Der EU will er
zeigen, dass die heutige HDZ nichts mehr mit der rechtsextremen,
nationalistischen Partei zu tun hat, die sie unter ihrem Gruender Franjo
Tudjman war.

Der verstorbene kroatische Praesident Tudjman haette sich ueber seinen
Nachfolger an der Spitze der Partei gruen und blau geaergert. Ivo Sanader,
Parteivorsitzender und seit den Wahlen vom November 2003 Premierminister,
besuchte Anfang dieses Jahres die serbisch-orthodoxe Weihnachtsmesse. Dort
wandte er sich mit dem orthodoxen Weihnachtsgruss «Christus ist
auferstanden» an die anwesenden Glaeubigen. Tudjman, ein engstirniger
Nationalist, der sich oeffentlich gluecklich schaetzte, weder mit einer
«Juedin noch einer Serbin» verheiratet zu sein, und sich damit bruestete,
dass Kroatien die Frage der serbischen Minderheit mit dem Krieg geloest
habe, haette diesen Schritt Sanaders als Verrat empfunden.

Sanader, der die HDZ nach vierjaehrigem Unterbruch wieder an die Macht
gebracht hat, ist unablaessig bestrebt, der Partei ein neues Image zu geben:
Die HDZ sei reformiert, «gesaeubert» und zu einer modernen konservativen
Partei geworden, vergleichbar mit der deutschen CDU. Um das zu beweisen,
vollzog er gleich zu Beginn seiner Amtszeit eine Kehrtwende in der
bisherigen Politik der HDZ. So schuettelte er VertreterInnen der serbischen
Minderheit demonstrativ die Haende. Bis Ende Juni sollen rund 6000 Wohnungen
und Haeuser kroatischer SerbInnen, die derzeit noch von KroatInnen besetzt
gehalten werden, zurueckgegeben werden. Als die drei serbischen Abgeordneten
im kroatischen Parlament versprachen, Sanaders Minderheitsregierung zu
unterstuetzen, sagte der Premierminister, die Serben in Kroatien seien nicht
etwa ein Problem, sondern ein wertvoller «Schatz».

Solche Aeusserungen und Gesten haben der Popularitaet Sanaders in der
eigenen Partei stark geschadet. «Wir werden wahrscheinlich ein paar
Mitglieder verlieren, aber die Fuehrung muss immer einen Schritt voraus
sein», sagte Sanader Anfang Maerz am Belgrader Radio. «Ich glaube, dass es
keine Alternative zum eingeschlagenen Weg gibt.»

Sanader ist zwar einige der alten HDZ-Mitglieder losgeworden, so etwa den
frueheren Tudjman-Berater Ivic Pasalic, eine der beruechtigtsten Figuren aus
der Aera Tudjman. Trotzdem ist die HDZ die Partei der ueberzeugten
Nationalisten geblieben. Sanaders engste Mitarbeiter sind Leute wie der
Mediziner Andrija Hebrang, der unter Tudjman Gesundheits- und
Verteidigungsminister war. Sowohl Hebrang, heute Vizepremier, als auch der
Parlamentspraesident Vladimir Seks gehoeren zum Lager der Nationalisten.

Waehrend Sanaders Beziehungen zur Tudjman-Familie eher kuehl sind,
unterhalten einige seiner Mitarbeiter nach wie vor enge Kontakte zu ihr.
Hebrang gehoerte bis kurz vor den letztjaehrigen Wahlen der ultrarechten
Partei HIP (Komitee fuer die Prosperitaet Kroatiens) an, die vom aeltesten
Tudjman-Sohn Miroslav gefuehrt wird. Die Partei macht sich gegen die
Auslieferung des untergetauchten kroatischen Generals Ante Gotovina ans
Uno-Tribunal in Den Haag stark. Parlamentspraesident Seks versucht die
politische Kontrolle ueber das kroatische Staatsfernsehen HTV, das
einflussreichste Medium in Kroatien, auszubauen. Ganze Regionen Kroatiens
werden nach wie vor von gestandenen HDZ-Funktionaeren regiert, die fuer
zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden.

«Sanader hat es nicht leicht», sagt ein gemaessigter HDZ-Funktionaer, der
nicht namentlich genannt werden will. «Er weiss, dass die Mehrheit in seiner
Partei seine Minderheitenpolitik entschieden ablehnt. Er ist sich sehr wohl
bewusst, dass diese Leute die alte HDZ der proeuropaeischen HDZ vorziehen,
die Sanader aufzubauen versucht. Sollte die EU in diesem Fruehling das
kroatische Beitrittsgesuch ablehnen, kaeme Sanader in Schwierigkeiten. Die
radikale Fraktion in der HDZ koennte die Macht uebernehmen.»

Der 51-jaehrige Sanader punktet im Westen nicht zuletzt mit seinem
gefaelligen Auftreten. Er ist eloquent, elegant und spricht vier Sprachen.
Doch umgeben von den Hardlinern seiner Partei wirkt er wie ein
unnatuerliches Wesen: Als waere an den Koerper eines Pitbull-Terriers ein
harmloser, freundlicher Pudelkopf geklebt.

«Es ist schwierig, sich vorzustellen, wie ein solches Geschoepf lebensfaehig
sein soll», sagt Sanaders Mitarbeiter. Kritisch wird es, wenn es Sanader
schaffen sollte, Gotovina festzunehmen und ihn nach Den Haag auszuliefern.
In Bruessel und Strassburg haben hochrangige EU-Funktionaere dem kroatischen
Premier unmissverstaendlich klar gemacht, dass ein EU-Beitritt Kroatiens im
Jahr 2007 von dieser Auslieferung abhaengig gemacht wird. Sanader steckt in
der Zwickmuehle. Verhaftet er Gotovina und liefert er ihn aus, ist ihm eine
Meuterei in der eigenen Partei sicher. Laesst er Gotovina in Ruhe, fehlt im
der Trumpf EU-Mitgliedschaft, und die Partei haette einen Grund, sich gegen
Sanaders Politik aufzulehnen. In diesem Fall wuerde der starke
Pitbull-Koerper sich wohl seines unnatuerlichen Kopfes entledigen. *Drago
Hedl, Osijek, WoZ 11/2004*

Quelle:
http://www.woz.ch/wozhomepage/balk03/kroatien_11j04.htm



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