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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Maerz 2004; 06:14
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Frauen/Behinderung:

Vom "Selbstbestimmungsrecht der Frau" zur Vernichtung "lebensunwerten"
Lebens

Der juengste Versuch aus OeVP-Kreisen, die "eugenische Indikation", die in
Oesterreich eine legale Abtreibung von "Behinderten" bis zur Geburt
ermoeglicht, abzuschaffen, loest unter den Resten der linken und
feministischen Bewegungen aufgeregte Reaktionen aus, die das
"Selbstbestimmungsrecht der Frau" in Frage gestellt sehen. Dieses
"Selbstbestimmungsrecht" jedoch ausgerechnet an der Unterscheidung zwischen
"krank" und "gesund", "behindert" und "normal" festzumachen, zeugt nicht nur
von der historischen Amnesie weiter Teile der Linken und der Frauenbewegung,
sondern auch, wie sehr diese selbst in die postnationalsozialistische
Realitaet Oesterreichs verstrickt sind.

Tatsaechlich hat die Unterscheidung in "lebenswertes" und "unlebenswertes"
Leben, das letzteres der Vernichtung preisgibt, eine ganz andere historische
und ideologische Tradition als ein wie auch immer als progressiv zu
verstehendes "Selbstbestimmungsrecht". Die Euthanasie, also die Ermordung
von Menschen, die nicht der gesellschaftlichen Norm eines "gesunden" - und
damit auch oekonomisch produktiven - Menschen entsprechen, wurde zwar nicht
von den Nazis erfunden, sehr wohl aber von diesen im Rahmen der "Aktion T
4" auf die Spitze getrieben. Rund 70.000 sogenannte "Geiteskranke" und
"koerperlich Behinderte" wurden zwischen 1939 und 1941 ermordet. Die erst
auf die Proteste der katholischen Bischoefe hin gestoppte
Vernichtungsaktion, die u.a. in Hartheim bei Linz bereits mit Giftgas
(Kohlenmonoxid) erfolgte, ermoeglichte auch die Erprobung einer
industriellen Massenvernichtung, wie sie in den Vernichtungslagern gegen
Juedinnen und Juden umgesetzt wurde und die letztlich auch auf andere
unerwuenschte Personengruppen, seien es Roma und Sinti, Homosexuelle, Zeugen
Jehowas, sogenannte "Asoziale", KommunistInnen oder andere widerstaendige
Menschen ausgedehnt wurde. Mit dem Ende der "Aktion T 4" und dem Beginn der
Shoah, gegen die die katholische Kirche nicht mehr protestierte, war jedoch
die Vernichtung "lebensunwerten Lebens" keineswegs zu Ende. Die Ermordung
von "Behinderten", die waehrend eines Krieges, der auch tausende
Kriegsinvaliden "produzierte", nicht mehr in der Oeffentlichkeit geschehen
konnte, wurde in weniger sichtbare Bereiche verlagert. Im Fruehling 1941
begann die "Aktion Sonderbehandlung 14f 13", bei der 20.000 "behinderte"
KZ-Haeftlinge vergast wurden. Auch in den "Heil- und Pflegeanstalten" des
NS-Staates gingen versteckte Euthanasieprogramme weiter. So wurden etwa auf
der Baumgartner Hoehe auch nach dem offiziellen Ende der "Aktion T 4" noch
hunderte Kinder unter der Aufsicht des nach 1945 von alliierten Gerichten
zum Tode verurteilten Dr.Illing und des spaeter von der SPOe in Schutz
genommen und bis heute nicht verurteilten Dr. Heinrich Gross ermordet.

Dies ist der historische Hintergrund vor dem in Oesterreich wieder zwischen
"lebenswertem" und "unlebenswertem" Leben unterschieden wird. Eine
Gesellschaft, die auf den Ergebnissen der nationalsozialistischen Politik
nach 1945 aufbaute und sich mit dem Opfermythos selbst aus jeder
Verantwortung enthob, hat nicht nur im Bereich des Antisemitismus, Rassismus
und des autoritaeren Denkens Versatzstuecke nationalsozialistischer
Ideologie in die Zweite Republik gerettet.

Dabei geht es nicht um die Fristenloesung, die fuer uns ausser Frage steht,
sonder um die Unterscheidung zwischen als potentiell "behindert"
eingestuften Foeten und solchen, die als "gesund" betrachtet werden.
Tatsaechlich kennt die derzeitige gesetzliche Regelung bei "gesunden" Foeten
eine Frist, in der straffrei abgetrieben werden kann, bei "behinderten"
jedoch nicht. Das heisst, "behinderte" Foeten koennen bis zur Geburt
"abgetrieben" werden. Da viele "Schaedigungen" erst in den letzten Wochen
und Monaten vor der Geburt "entdeckt" werden (koennen) finden, in
oesterreichischen Spitaelern tatsaechlich "Abtreibungen" "behinderter"
Kinder bis zur Geburt statt..

Gerade vor dem Hintergrund der moerderischen Konsequenzen der NS-Euthanasie
halten wir es fuer eine fortschrittliche Politik untragbar, diese Selektion
zwischen "gesunden" und "kranken" Neugeborenen zuzulassen und letztere zum
Tod zu verurteilen. Diese gesetzliche Moeglichkeit der "eugenischen
Indikation" haelt den Unterschied zwischen "lebenswertem" und
"lebensunwertem" Leben aufrecht und hat nichts mit dem
"Selbstbestimmungsrecht der Frau" zu tun.

Abgesehen davon, dass eine "Selbstbestimmung" unter kapitalistischen und
patriachalen Verhaeltnissen sowieso unmoeglich ist und damit bis zur
Weltrevolution eine ideologische Chimaere darstellt, kann sich eine ganz
realpolitisch eingeforderte "Selbstbestimmung" lediglich auf die Frage
beziehen, ob Frau ein Kind will oder nicht. Sie kann sich jedoch nicht
darauf beziehen, ein Anrecht auf ein "gesundes", d.h. leistungsfaehiges
kapitalistisch verwertbares Kind zu bekommen, das nach dem Wunsch der Mutter
geformt ist. Genauso wenig, wie wir die Wahl des Geschlechtes, der
Augenfarbe oder der sexuellen Orientierung fuer das Recht der Mutter (oder
gar des Vaters) halten, gibt es einen Anspruch auf ein "gesundes" Kind. Zu
Recht machen Feministinnen immer wieder auf den Skandal aufmerksam, dass in
Indien wesentlich mehr weibliche Foeten abgetrieben werden als maennliche,
das Geschlecht also zum Todesurteil werden kann. Weshalb wird dann aber von
den selben Frauen das Recht verteidigt, dass eine "Behinderung" zum
Todesurteil werden kann? Wir stehen dem gegenueber auf dem Standpunkt, dass
frau sich zwar aussuchen kann, ob sie Kinder haben will oder nicht, nicht
aber welche Kinder sie haben will, schon gar nicht um den Preis der erneuten
Ermordung "lebensunwerten" Lebens.

In einer Gesellschaft, die dieses zulaesst, wird der "Selbstbestimmung" der
Frau naemlich keinesfalls ein guter Dienst erwiesen. Vielmehr waechst der
Druck, mittels praenataler Diagnostik moeglichst frueh das "lebensunwerte
Leben" zu erkennen und auszumerzen. Die Entscheidung, ein solches, von der
Gesellschaft als unproduktiv betrachtetes Kind trotzdem zur Welt zu bringen,
wird schliesslich zum Luxus, den sich gar nicht mehr alle Frauen leisten
koennen. Je vermeidbarer "Behinderte" werden, desto mehr kann sich auch die
Gesellschaft und die Politik aus jeder Verantwortung stehlen, desto
leichter sind Pflegegeld und Pflegeeinrichtungen abzuschaffen. Aus der
vermeintlichen "Selbstbestimmung" wird damit der Druck, gesellschaftlich und
oekonomisch unerwuenschte Personen moeglichst rasch loszuwerden.

All dies scheint jedoch die VerteidigerInnen einer "Selbstbestimmung", die
lediglich die Auswahl zwischen "erwuenschten" und "unerwuenschten" Kindern
fuer materiell bessergestellte Frauen darstellt, nicht zu interessieren. Die
Marginalisierung einer Linken und Frauenbewegung, die sich lieber mit
solchen ideologischen Plattitueden als mit den Kontinuitaeten
nationalsozialistischer Vernichtungspolitik beschaeftigt, verdient nicht
betrauert zu werden.
*Oekologische Link/gek.*

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Kasten:

> Parlamentskorrespondenz, 10. Maerz 2004

Sitzung des Petitionsausschusses

Eine Debatte gab es ueber die Petition, in welcher die Streichung der
embryopathischen Indikation gefordert wird. Diese Bestimmung normiert die
Straflosigkeit eines Schwangerschaftsabbruches ueber den dritten Monat
hinaus, wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder
koerperlich schwer geschaedigt sein wird.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (OeVP) und Abgeordnete Theresia Haidlmayr
(GRUeNE) orteten im gegenwaertigen Ist-Zustand eine Diskriminierung
behinderter Menschen. Haidlmayr verwies aber auch darauf, dass derzeit ein
Gesetzesentwurf zu einem Behindertengleichstellungsgesetz in Begutachtung
sei, weshalb man die gegenstaendliche Materie vertagen sollte, bis
hinsichtlich des legistischen Vorschlags eine Entscheidung herangereift sei.

Dieser Ansicht schloss sich Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPOe) an,
die weiters darauf verwies, dass man bei einer solchen Entscheidung das
gesamte Umfeld mitdenken muesse und die soziale Komponente nicht ausser Acht
lassen duerfe.

Die Materie wurde schliesslich einstimmig vertagt.

Quelle: http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=4989



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