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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Maerz 2004; 06:05
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Spanien:

> Keine Besserung in El Ejido

Die soziale Lage der Migranten in den Plastikhainen Andalusiens bleibt fatal

Fast vier Jahre nach den rassistischen Unruhen gegen Arbeitsmigranten im
Februar 2000 beschlossen das EBF (Europaeisches Buergerforum) und die
"Confédération Paysanne" (franz. Bauerngewerkschaft), im Dezember 2003
erneut eine Delegation nach El Ejido in Spanien zu schicken, um die
Entwicklung vor Ort zu untersuchen. Vor allem auch deshalb, weil wir in den
vergangenen Monaten alarmierende Berichte ueber eine Reihe von
gewalttaetigen Ausschreitungen gegen marokkanische Arbeiter erhielten.

Die 35.000 Hektar Plastikflaechen sind weltweit die groesste Konzentration
von Gemuese- und Obstproduktion in Treibhaeusern. Dieses Plastikmeer ist
sogar vom Mond aus sichtbar! Es werden manchmal mit riesigen Maschinen Berge
abgegraben, um die Flaeche fuer Plastikhaeuser zu vergroessern. In der
Hauptsaison verlassen taeglich 1000 Lastwaegen die Region.

Wir konnten keine Verbesserung der Situation feststellen, vor allem im
Bereich der Unterbringung, der Nicht-Einhaltung der kollektiven Konventionen
und der Beziehungen zwischen den Gemeindebehoerden und den
Immigrantenverbaenden. Eine Veraenderung seit 2000 sticht ins Auge: Das
Phaenomen der Einwanderung aus Osteuropa hat sich massiv verstaerkt. Aber
gleichzeitig stranden weiterhin an der andalusischen Kueste die kleinen
Fischerbote mit zahlreichen Menschen aus dem Maghreb und aus Afrika, die oft
vergeblich versuchen, Arbeit zu finden, und sei es fuer einige Stunden.

Bei den zahlreichen Treffen mit Immigranten fanden wir keinen einzigen, mit
oder ohne Papiere, der nach dem Kollektivvertrag (4 Euro 11/Stunde) bezahlt
wird. Der Stundenlohn schwankt zwischen 2 und 3,5 Euro. Die meisten arbeiten
ohne Vertrag, sogar jene, die ueber eine Aufenthaltsbewilligung verfuegen.

Die Polizei kontrolliert Auslaender aus Nordafrika und Afrika, aber sehr
selten die anderen. Wenn Afrikaner ohne Papiere arbeiten wollen, muessen sie
die schlimmsten Bedingungen akzeptieren. Viele Arbeitgeber ziehen deshalb
Papierlose vor. Diese Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen
Immigrantengemeinschaften ermoeglicht den Bauern, die Loehne noch mehr zu
druecken. Heute werden die Arbeiter aus Osteuropa schlechter bezahlt als
Marokkaner ohne Papiere vor drei Jahren.

Die Wohnverhaeltnisse sind ein unglaublicher Skandal. Auf Oedland, versteckt
vor der Sicht der Einheimischen, entdeckten wir eine "parallele Welt" von
schrecklichem Elend. Am besten haben es noch die Afrikaner, die zu mehreren
Unterschlupf in den cortijos fanden, alte Haeuser oder landwirtschaftliche
Gebaeude aus Stein. Andere wohnen in den chabolas, kleine Konstruktionen aus
Karton oder Plastik, oft neben wilden Abfallhalden oder verschmutzten
Wasserpfuetzen. Viele muessen in Lagerhallen schlafen, wo Duenger und
Pestizide gelagert werden.

Alle wissen, dass die Auslaender hier wohnen, und sie werden unter der
Bedingung geduldet, fuer die Einheimischen unsichtbar zu bleiben. Frueh
morgens gehen sie auf Arbeitsuche und kehren nach der Arbeit sofort in ihr
"Heim" zurueck. Wenn sie in die Stadt gehen, riskieren sie, von der Polizei
verhaftet und manchmal ausgewiesen zu werden, oder aber sie muessen sich
Einschuechterungen gefallen lassen. Sie verfuegen ueber keine
Begegnungsstaette, wo sie sich entspannen koennten. Sie ueberleben nur dank
starker gegenseitiger Solidaritaet.

Das Vermieten der cortijos an Immigranten wurde zu einer wichtigen
Geldquelle fuer die Eigentuemer. Die Einwanderer muessen 3 Euro pro Tag fuer
Unterkuenfte bezahlen, die kein Spanier akzeptieren wuerde. Die cortijos
werden durchschnittlich von 2,8 Menschen belegt, was 252 Euro pro Monat
ergibt. Gleichzeitig stehen in Roquetas del Mar 6000 Wohnungen leer, in El
Ejido etwa 3500.

Alle sind sich darueber einig, dass El Ejido die unnachgiebigste und
rassistischste Stadt ist. Die Gemeinde weigerte sich, fuer die Konferenz der
SOC (Landarbeitergewerkschaft in Andalusien) einen Saal zur Verfuegung zu
stellen. Die SOC musste auf eine von einem Marokkaner verwaltete
Telephonzentrale ausweichen. Polizeiautos verkehrten systematisch vor der
Bar, in der wir uns verpflegten, und die Verwalter der Oertlichkeiten, in
denen wir uns trafen, wurden nach unserer Abfahrt mehrmals belaestigt.

Seit August 2003 gab es in El Ejido eine neue Serie von Anschlaegen gegen
marokkanische Einwanderer. Die SOC erstattete in fuenfzehn Faellen Anzeige
bei der Polizei. Waehrend unseres Aufenthaltes fanden drei weitere
Aggressionen statt. Oft klagen die Betroffenen diese Taetlichkeiten nicht
ein, aus Angst, ausgewiesen zu werden.

Uns wurde auch der Fall eines schwer behinderten Immigranten vorgestellt.
Wahrscheinlich hat er sich dieses Handicap im Umgang mit chemischen
Produkten eingehandelt. Regelmaessig leiden Immigranten an
Vergiftungssymptomen und muessen im schlimmsten Fall ins Spital von Almeria
eingewiesen werden.

Die SOC ist ausschliesslich in Andalusien verbreitet und vertritt vor allem
die sehr zahlreichen Tageloehner in der Landwirtschaft, die traditionell
sowohl an Ort und Stelle als auch in anderen Regionen Spaniens und Europas
arbeiten. Die SOC ist die einzige Gewerkschaft, die wirklich an Ort und
Stelle anwesend ist. Sie verfuegt ueber praktisch keine Subventionen, im
Gegensatz zu den grossen Gewerkschaften und humanitaeren Organisationen. Die
SOC beabsichtigt, neue Lokale in der Zone der Gewaechshaeuser zu eroeffnen,
die ein Ort fuer Information, Begegnung und Entspannung sein sollen. Aber
die Gewerkschaft muss dabei mit grossen Schwierigkeiten rechnen.

Es ist wichtig, dass Gewerkschaften, NGOs und Journalisten sich an Ort und
Stelle begeben und die Entwicklung verfolgen. Die oeffentliche Meinung muss
weiterhin darueber informiert werden, unter welchen Bedingungen Obst und
Gemuese produziert und in den Auslagen der Supermaerkte auf dem Kontinent
angeboten wird.
*Nicholas Bell, Europaeisches Buergerforum*

Quelle:
http://www.forumcivique.org/index.php?lang=DE&site=ARCHIPEL&sub_a=ARCHIPEL_1
13&article=480




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