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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Maerz 2004; 23:23
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Europaeische Linkspartei/Debatte:
Die Debatte zwischen KPOe-Vorsitzendem Walter Baier und dem steirischen
KP-Vorsitzenden Franz Parteder geht weiter:
*
> Worum es geht
Am 8. und 9. Mai findet in Rom die Gruendungsversammlung der Europaeischen
Linkspartei (nicht EU-Partei!) statt. Bei der Gruendungsversammlung werden
zwischen 10 und 15 Parteien mit etwa 500.000 Mitgliedern teilnehmen.
Darunter Rifondazione Comunista, KP-Spaniens, KP Frankreichs, PDS, KPOe, KP
Boehmen und Maehrens, KP Slowakei u.a.
Im Entwurf fuer ein Programm der EL wird der Charakter der neuen politischen
Formation der Linken folgendermassen beschrieben: "Wir streben eine
Gesellschaft an, die ueber die patriarchale und kapitalistische Logik
hinausgeht. Unsere Ziele sind Emanzipation des Menschen, Befreiung der
Maenner und Frauen von Unterdrueckung, Ausbeutung und Ausgrenzung in
jeglicher Form. Fuer uns bestehen Rolle und Aufgabe der linken Partei in
Europa darin, einen Beitrag zur Herstellung eines breiten, sozialen und
politischen Buendnisses fuer eine radikale Veraenderung der Politik zu
leisten. In der EU stossen grosse Interessensgegensaetze aufeinander: Uns
gibt das neuen politischen Raum fuer den Klassenkampf zum Schutz der
ArbeiterInneninteressen, der Demokratie, sowie der europaeischen
Gesellschaft mit ihren Organisationen und Institutionen, darunter das
Europaeische Parlament."
Schreibt so eine "EU-Partei", wie manipulativ und herabsetzend behauptet
wird? Und generell: Was soll schlecht daran sein, wenn sich gegenueber
Sozialdemokratie, Liberalen und Gruenen nun auch die radikale alternative
Linke ein gemeinsames internationales Instrument schafft, das dem Widerstand
gegen Neoliberalismus und Krieg dient? Muss die Linke nicht im Gegenteil, um
aus der historischen Defensive zu kommen, neue Formen und Methoden der
Politik entwickeln?
Das Gezaenk um die EL, das vom dogmatisch orthodoxen Rand der Linken
ausgeht, manifestiert aus meiner Sicht vor allem die Perspektivlosigkeit und
das Ende eines bestimmten auf "Avantgarde"-Fantasien und Uniformitaet
ausgerichteten Partei-Verstaendnisses, das wie ein Echo aus der
Vergangenheit der Parteien nachhallt.
F. Parteder beruft sich auf den Versuch eines internationalen Netzwerkes,
das in anderen Kpen hineinwirken moechte, von Fausto Sorrini (einem
Vertreter der orthodoxen Minderheit in der Parteileitung der Rifondazione
Comunista - so etwas gibt es in einer pluralistisch kommunistischen Partei).
Warum zitieren Sorrini und Parteder, um Klarheit ueber die Streitfragen zu
schaffen, nicht einfach aus dem Statut welches der Gruendungskonferenz
vorgelegt wird? Bezueglich historischer Kontinuitaet wird dort festgestellt:
"Wir fuehlen uns den Werten und Traditionen der sozialistischen,
kommunistischen und Arbeiterbewegung ... verpflichtet. Wir verteidigen die
Legitimtaet unserer Bewegung. Wir halten deren Erinnerung an Kaempfe, an die
Opfer und Leiden wach." Aber auch: "Wir tun dies in rueckhaltloser
Auseinandersetzung mit dem Stalinismus, seinen politischen Methoden und
Praktiken." Letztlich ist es das, worum die Debatte sich dreht. Wollen wir
eine linke Partei, die die Pluralitaet und Selbstaendigkeit der sozialen
Bewegungen anerkennt? Wollen wir eine Linke, die die traditionellen Werte
des Sozialismus mit der Idee einer freien Vergesellschaftung, der Demokratie
und dem Feminismus verknuepft? Das Ausblenden gerade dieser Fragen, die das
eine fortschrittliche Politik begruendende Menschen- und Gesellschaftsbild
betreffen, waere unernst und unwuerdig. Tatsaechlich scheinen alle Linken
einig, wenn es gegen Privatisierung und Sozialabbau geht. Eine Linke aber,
die sich ihren Widerspruechen in Vergangenheit und Gegenwart nicht zu
stellen wagt, hat meiner Ansicht nach auch keine Zukunft!
Fausto Sorrini und F. Parteder favorisieren gegenueber einer gemeinsamen
Partei einen Wahlaufruf von 20 bis 25 linken Parteien fuer die EP-Wahlen.
Bei Parteder ist dies auch deshalb eigenartig, weil er die Kandidatur der
KPOe zu diesen Wahlen ablehnt (Stichwort: EU-Austritt!). Ein solches von den
internationalen Sekretaeren der linken Parteien - innerhalb und ausserhalb
der EL - verfasstes Dokument wird es selbstverstaendlich geben. Ein Text
wurde bereits Ende Jaenner erarbeitet, ein zweites Dokument wird kommendes
Wochenende in Prag unterzeichnet werden.
Worum es aber geht, sind nicht papierene Aufrufe. Das sind die Methoden der
alten Schule. Angesichts der neoliberalen Angriffe der kapitalistischen
Globalisierung, aber auch der neuen Qualitaet von sozialen Bewegungen ist
das ein Auslaufmodell - und zwar in der sozialdemokratischen, der gruenen,
und auch in der orthodox-kommunistischen Variante.
Worum es geht, sind nicht Manoever von linken Berufsdiplomaten, sondern eine
neue gemeinsame politische Praxis vieler und unterschiedlicher AkteurInnen.
Das Programm der EL schlaegt als Eckpunkte solcher Praxis vor:
- Widerstand gegen den Generalangriff auf die Rentensysteme, die
Privatisierung der Sozialversicherungen und der Martkunterordnung
oeffentlicher Dienstleistungen und Gueter wie Gesundheit, Bildung, Kultur,
Wasser und andere natuerliche Ressourcen.
- wir wollen ein Europa, das frei ist von der antidemokratischen
neoliberalen Politik der WTO, des IWF und das die NATO, auslaendische
Militaerbasen und jegliches Modell einer europaeischen Armee ablehnt,
- Gleiche soziale und politische Rechte fuer alle in Europa lebenden
Menschen.
- Kampf gegen jede geschlechtshierarchische Benachteiligung
- Angesichts von Rezession und wachsender Arbeitslosigkeit muessen die
Orientierungen des Stabilitaetspaktes und der Europaeischen Zentralbank in
Frage gestellt werden.
Sind damit die richtigen Fragen von Links angesprochen oder nicht?
Eines noch: Heute eine internationale linke Partei ins Leben zu rufen, ist
kein Ziel an sich, sondern, wenn es gelingt, ein Rahmen, vielleicht ein
Labor, in dem eine neue internationale Praxis der Linken entstehen kann.
Eine EL bleibt auch nach ihrer Gruendung offen fuer die Beteiligung aller
interessierten Kraefte; sie wird sich weiterentwickeln, auch transformieren
muessen - etwa dann, wenn es zu einer Vereinigung mit der Europaeischen
antikapitalistischen Linken kaeme (was meiner Meinung nach eine historische
Chance darstellt).
Auch in diesem Fall gilt also, dass es kein Ende der Geschichte gibt.
*Walter Baier*
*
> Kritische Stimmen in anderen Parteien
Der EU-kritische Nachrichtendienst Spectrezine, der von der Fraktion GUE/NGL
im EU-Parlament, der schwedischen Linkspartei und der niederlaendischen SP
gesponsert wird, veroeffentlich in seiner aktuellen Ausgabe unter dem Titel
"Ein Anschlag auf die Demokratie" einen Artikel, der sich kritisch mit
EU-Parteien und im besonderen sehr kritisch mit der geplanten EU-Linkspartei
auseinandersetzt. Viele in der GUE-NGL haben die Moeglichkeit einer linken
europaeischen politischen Partei zurueckgewiesen. Es gibt vor allem unter
allen nordischen Parteien, der Niederlaendischen Sozialistischen Partei und
den Portugiesischen und Griechischen Kommunisten eine tiefe Sorge darueber.
Diese Parteien haben untereinander grosse Differenzen, haben aber gemeinsam,
dass alle EU-kritisch und relativ klein sind. Und grosse Parteien, die fuer
die EU eingestellt sind, werden darueber entscheiden, wer das Geld bekommt".
Die neue EU-Partei wird einen Graben in die lose aber nuetzliche Gruppierung
(der GUE-NGL) treiben, die Moeglichkeit der tatsaechlichen Kooperation
unterminieren und ihre Teilnehmer weiter in die elitaere, technokratische
Pseudodemokratie treiben, die sich im Herzen der EU und der Prinzipien
befindet, von denen sie sich in der Realitaet leiten laesst.
Skandinavien
Unter dem Titel "Die Welt ist groesser als die EU" hat die daenische Partei
enhedslisten ihre Positionen zum Plan einer EU-Verfassung zusammengefasst.
Der Text liegt auch in englischer Sprache vor
http://www.enhedslisten.dk/multi.asp?emne=english&side=default
Zu den EU-Parteien stellt die radikale daenische Linkspartei, in der auch
die daenische KP mitarbeitet, fest: "Die Verfassung (der EU) fuehrt die
Moeglichkeit ein, 'europaeische politische Parteien' zu bilden, die mit
Privilegien gegenueber nationalen und regionalen politischen Parteien
ausgestattet sind, die an politischem Einfluss verlieren duerften. Das wird
sogar die repraesentative Demokratie weiter aushoehlen".
Die finnische KP stellt in ihrem Wahlprogramm fuer die EU-Wahlen folgendes
fest: Wir widersetzen uns der EU-Verfassung und der Militarisierung der
Union. Durch Volksabstimmungen wollen wir den Weg hinaus aus der EU und zum
Aufbau eines anderen Europa oeffnen.
Alle skandinavischen Linksparteien - moegen sie eine eher radikale
Orientierung haben oder wie einige Partien linkssozialistisch orientiert
sein - wenden sich gegen die geplante EU-Linkspartei, nicht aus
regionalpolitischen sondern aus grundsaetzlichen Erwaegungen, die sehr viel
mit der Einschraenkung der Demokratie durch Parteien zu tun haben, die auf
Basis des Artikels 191 der EU-Vertraege funktionieren sollen.
Italien
Nur mit knapper Mehrheit hat das Nationalkomitee der italienischen Partei
Rifondazione Communista der Teilnahme an der Gruendung der EU-Linkspartei
zugestimmt. Wie die italienische Unita-online mitteilt, haben von 120
abstimmenden Leitungsmitgliedern lediglich 67 fuer Bertinottis Vorschlag
votiert.
*Gesammelt von Franz Parteder*
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