**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. Maerz 2004; 23:43
**********************************************************

Lesestoff/EU:

> Ausserhalb des Verfassungsbogens

Friedenswerkstatt Linz (Hgin):
EU-Verfassung - Europa der Konzerne und Generaele?
Die EU-Verfassung aus der Sicht von Friedens-, Anti-Atom- und
globalisierungskritischer Bewegung.

*

Der vom Europaeischen Konvent vorgelegte Entwurf fuer eine europaeische
Verfassung aus Sicht der Friedens-, Anti-Atom- und globalisierungskritischen
Bewegung ist Thema der juengsten Publikation der Friedenswerkstatt Linz.

Diese neoliberale Militaerverfassung ist verhinderbar, wenn all "jene
Bewegungen und Organisationen zusammenfinden, deren Anliegen mit dieser
Verfassung unter die Raeder kommen", und der Unglauben ueberwunden wird,
"dass wir den Lauf der Dinge, der von oben vorgegeben wird, veraendern
koennen."

Mit der Herausgabe dieser Broschuere soll also nicht nur informiert, sondern
auch zum Widerstand gegen die drohende Verfassung motiviert werden. Immerhin
waere, wenn der vorliegende Entwurf geltendes Recht wuerde, zum Beispiel die
Befuerwortung einer solidarischen Oekonomie und von Abruestung nicht mehr
verfassungskonform. VertreterInnen solcher Positionen wuerden sich ab dem
Tag des Inkrafttretens ausserhalb des beruechtigten Verfassungsbogens
befinden.

Militaerverfassung

Im ersten Abschnitt des Readers werden die friedenspolitischen Implikationen
der EU-Verfassung beleuchtet. Tobias Pflueger von der Informationsstelle
Militarisierung, der als Parteifreier auf dem vierten Listenplatz der PDS
bei der kommenden Wahl zum Europaeischen Parlament kandidieren wird,
konstatiert, dass mit dem Verfassungsentwurf die Militaerpolitik ins Zentrum
der Union rueckt. Neben dem rein quantitativen Umfang, den die sehr
konkreten Bestimmungen zur Sicherheits- und Militaerpolitik einnehmen, sind
es vor allem die qualitativen Neuerungen, die Pfueger veranlassen, vom
Verfassungsprinzip Militarismus zu sprechen. So soll eine
Aufruestungsverpflichtung verankert und eine Ruestungsagentur geschaffen
werden, welche die "schrittweise Verbesserung der militaerischen
Faehigkeiten", wie die permanente Aufruestung im Verfassungsjargon heisst,
foerdert und gegebenenfalls selbst durchfuehrt. Ein absolutes Novum ist
ferner das Vorhaben, Kampfeinsaetze der bereits bestehenden europaeischen
Interventionstruppe in die Verfassung aufzunehmen. Dass die Militaermacht
geschaffen wird, um imperialistische Grossmachtambitionen der EU, in erster
Linie der deutsch-franzoesischen Achse, militaerisch flankieren zu koennen,
ist nicht haltlose Spekulation der Friedensbewegung, sondern offizielle
Zielbestimmung. Pflueger weist zur Bestaetigung dieser Behauptung auf das
von Javier Solana zeitgleich mit der Vorlage des Verfassungsentwurfs beim
Europaeischen Rat in Thessaloniki beschlossene Strategiepapier "Ein sicheres
Europa in einer besseren Welt" hin. Darin wird die Entwicklung einer
"strategischen Kultur" gefordert, die "wenn noetig robustes Eingreifen
beguenstigt", um sich gemeinsam mit der USA "fuer das Gute in der Welt"
einsetzen zu koennen. Weniger diplomatisch ausgedrueckt: Europa soll
Weltmachtpolitik zur Durchsetzung ihres "guten" Wirtschaftssystems betreiben
und dabei nicht auf Interventionskriege verzichten.

Die Auswirkungen des Verfassungsvertrages auf das Rechtsinstitut der
immerwaehrenden Neutralitaet diskutiert der Voelkerrechtsprofessor Michael
Geistlinger. Die Verpflichtungen gegenueber der EU sind aus Sicht des
Salzburger Rechtsexperten bereits seit dem Vertrag von Nizza mit dem
Voelkerrechtsstatus Oesterreichs gaenzlich unvereinbar. Der Konventsentwurf
rundet den Prozess der faktischen Neutralitaetsaufhebung nun konsequent ab.
Vor allem, weil die GASP ausdruecklich auf alle Bereiche der Aussenpolitik
erstreckend definiert wird, wird die Souveraenitaet der Mitgliedslaender
dergestalt beschnitten, dass Oesterreichs etwa "nicht mehr zustaendig"
waere, "immerwaehrend neutral zu sein oder sein zu wollen." Der
nachhaltigste Souveraenitaetsverlust geht aber von der vorgesehenen
Beschneidung der Austrittsmoeglichkeit aus der Union aus. Die
vorgeschlagenen Verfahrensregeln fuer einen Austritt - ein Austrittsabkommen
muss Zustimmung vom EP und eine qualifizierte Mehrheit im Ministerrat
erhalten - machen ein Verlassen der Gemeinschaft nahezu aussichtslos. Diese
Bestimmungen sind nach Ansicht von Geistlinger als Gesamtaenderung der
oesterreichischen Bundesverfassung zu werten und sind daher der gewichtigste
Grund fuer eine Volksabstimmung vor der Ratifikation der Verfassung.

Konkurrenzverfassung

Aehnlich wie das Gebot zur Aufruestung soll der Neoliberalismus durch die
Verfassung fuer Europa in den Rang einer Staatszielbestimmung gehoben
werden, schreibt der Oekonom und ATTAC-Proponent Bernhard Obermayr in seinem
Beitrag, der das Kapitel ueber die EU-Verfassung als Konkurrenzverfassung
eroeffnet. Die Festschreibung neoliberaler Wirtschaftspolitik erfolgt, indem
eine ganz wesentliche Grundlage des Neoliberalismus, namentlich die vier
Grundfreiheiten, eine prominente Stellung im Verfassungstext erhaelt.
Generell sind aber, wie Obermayr anmerkt, die wirtschaftspolitischen
Bestimmungen nicht so detailliert wie die militaerischen, obwohl oder
vielleicht gerade, weil die EU Wirtschaftsmacht ist und Militaermacht erst
werden moechte. Die Verfassung weist aber "einen sehr starken ideologischen
Subtext" auf, der mit den wenigen konkreten oekonomischen Inhalten
korrespondiert. Dass die EU-Kommission etwa internationale und bilaterale
Handelsvertraege verhandelt, ist nicht neu. Neu waere aber die Aufloesung
des Prinzips der Einstimmigkeit in dem gesamten Bereich der Daseinsvorsorge
und neu waere auch das Verhandlungsmandat fuer die Kommission betreffend
auslaendischer Direktinvestitionen. Damit koennte sie die Liberalisierung
von Gesundheit, Bildung und Sozialem kuenftig auf Mehrheitsbeschluss hin
verhandeln. Diese beabsichtigte Zentralisation der Wirtschaftspolitik hat
nicht zuletzt einen strategischen Hintergrund. Es wird die Politikebene fuer
weitere Liberalisierungen gewaehlt, "wo der Widerstand am geringsten ist."

Das erwaehnte Aufstossen der Tuer fuer die Liberalisierung der Sphaere der
sozialen Reproduktion oeffnet auch das Tor zur Privatisierung der
oeffentlichen Dienste. Aus diesem Grund ist in der Broschuere ein
Positionspapier der Gewerkschaft der Eisenbahner zu dem "Gruenbuch ueber
Dienstleistungen im allgemeinen Interesse" dokumentiert. Verstaendlich und
anschaulich wird die Gewinnabsicht von privaten MarktteilnehmerInnen der
staatlichen Orientierung am Gemeinwohl gegenuebergestellt und aufgezeigt,
welche Auswirkungen es auf die Kommunen, die Qualitaet der Dienstleistung
und letztlich auf die Demokratie haette, wenn die "unverzichtbaren Dinge des
Lebens" nicht mehr oeffentlich mit dem Fokus auf Versorgungs- und
Preissicherheit erbracht werden wuerden. Die Verfassung waere demnach eine
weitere Stufe der mit neuer Wucht vorherrschenden Kapitalstrategie, die im
marxistischen Diskurs als "Akkumulation durch Enteignung" bezeichnet wird.

Atomverfassung

Das Kapitel, das an die kommentierten Verfassungsartikel, die dem
Konzerneuropa genehm sein duerften, anschliesst, beschaeftigt sich mit dem
Euratom-Vertrag, auf dessen ungebrochene Wirkung im Anhang der EU-Verfassung
ausdruecklich hingewiesen wird. Heinz Stockinger von der Salzburger
Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE) sieht dadurch eine Aussage des
frueheren Verteidigungsministers Frankreichs, Jean Francois-Poncet,
bestaetigt, die lautet: "Es ist voellig klar, dass am Ende des Weges zur
Europaeischen Solidaritaet auch die nukleare Solidaritaet sein wird." Das
militaerische Motiv, ueber vergleichbare Kapazitaeten wie die USA zu
verfuegen, nukleare Supermacht zu sein, fuehrt also dazu, dass sogar die
Laender ohne zivile Atomprogramme zur Mitfinanzierung einer Atombewaffnung
der EU herangezogen werden sollen. Der Ausstieg aus der zivilen, angeblich
friedlichen Nutzung der Atomenergie wird durch diese atomare Unterfuetterung
der europaeischen Militaerpolitik ebenfalls hintertrieben, da die Eliten
nicht daran denken, "Plutonium in eigenen Militaerreaktoren zu produzieren,
das ebensogut aus industriellen Anlagen gewonnen werden kann."

Aufgrund dieser Sonderstellung des Euratom-Vertrags und der damit
verbundenen "einseitigen Foerderung der Atomindustrie nach Inkrafttreten"
der "atomar verseuchten Verfassung" fordern Greenpeace und PLAGE in einer
abgedruckten Medieninformation eine Volksabstimmung.

Der zweite Beitrag, der den Weg zur atomaren Supermacht, der ueber mehrere
Stationen zur "zentralisierten Verfuegungsgewalt ueber die europaeische
Atombombe" fuehrt, beschreibt, stammt aus der Feder von Gerald Oberansmayr,
der Mitarbeiter der Friedenswerkstatt Linz ist. Sehr verdienstvoll ergaenzt
seine Arbeit den Artikel von Stockinger um einen wichtigen Aspekt: dem
Bemuehen der europaeischen Hegemonialmacht, sprich Deutschland, ueber
Atomwaffen verfuegen zu koennen, ungeachtet des 1954 ausgesprochenen
voelkerrechtlich verbindlichen Verzichts.

Der Hinweis auf Frankreichs neue Atomwaffenstrategie, die eine Verkleinerung
der Atombomben beinhaltet, um einsetzbare mini nukes zu haben, macht das
vorletzte Kapitel komplett.

Friedensrepublik statt Militaerprovinz

Geleitet von der Annahme, dass der militaerindustrielle Komplex der Union
(EU-MIK) die treibende Kraft in der laufenden Verfassungsdebatte ist, weil
mit der Verfassung vorwiegend seine Staerkung beabsichtigt wird, diskutiert
der Bundeskoordinator des Friedensvolksbegehrens Boris Lechthaler
Strategien, wie die EU-Militaerverfassung in den Papierkorb befoerdert
werden kann. Der militaerindustrielle Komplex als "gewalttraechtige Antwort
der Eliten auf die selbstzerstoererische Wirkung ihrer Ordnung" wird, wenn
der Verfassungsentwurf tatsaechlich kippen sollte, seine Aktivitaeten in
andere politische Raeume verlagern. Das Friedensvolksbegehren wird als
wichtiges Instrument in dieser Auseinandersetzung vorgestellt.

Eine Alternative zu der Aussicht, dass die fortschrittlichen Momente der
Zweiten Republik, Neutralitaet und Sozialstaatlichkeit, gaenzlich zerstoert
werden, Oesterreich zu einer Militaerprovinz der EU verkommt, stellt das
abschliessend dokumentierte Aktionsprogramm der Friedenswerkstatt Linz dar,
das Oesterreich als Friedensrepublik konzipiert.
*Roman Gutsch*

Die Broschuere ist zu beziehen unter romangutsch@hotmail.com, (Tel.:
9528834) zum Preis von 3,5 exkl. Porto.




*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.buero@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin