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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 24. Februar 2004; 18:58
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USA/Wahlrecht/Kommentar:

> Die Logik der Macht

Ralph Nader will kandidieren. Fuer das Amt des US-Praesidenten. Grosse Panik
bei den Demokraten -- schon bei der Wahl 2000 war ihnen der umtriebige
Verbraucheranwalt mit seiner Kandidatur ungelegen gekommen, war er doch eine
ernsthafte Konkurrenz fuer ihren eigenen Kandidaten Al Gore. Als die ersten
Geruechte laut wurden, Nader wollte es auch diesmal probieren, setzte man
eine Homepage mit der Aufforderung "Ralph, dont run!" auf, mit der
Argumentation, dass Gore -- trotz der Manipulationen in Florida und dem
eigenartigen Richterspruch -- ohne Naders Kandidatur Praesident geworden
waere. Daher solle Nader diesmal nicht kandidieren.

Was nicht auf dieser Site steht: Einem John Kerry, der staendig seine
Veteranenschaft betont, um auch fuer fruehere Bush-Waehler interessant zu
sein, wuerde ein Nader viel mehr Stimmen abnehmen als einem gruenliberalen
Kandidaten wie Gore.

Doch nicht Nader ist das Problem, das Problem ist das US-amerikanische
Wahlsystem, das keine Stichwahl kennt. Auch davon kein Wort auf der
Homepage -- als echte Patrioten kritisieren Demokraten lieber die Konkurrenz
statt die Verfassung.

Schliesslich stammt das Wahlrecht in den USA noch aus den Fruehzeiten der
Union. Deswegen ist der Wahltag auch immer an einem Dienstag. Denn den
Sonntag hielten die Puritaner heilig, den Montag brauchten aber viele zur
Anreise zu den oft eine Tagesreise entfernten Wahllokalen. Das konnte man
wohl dem Wahlvolk nicht zweimal zumuten. Heute waere das nicht mehr das
Problem, man koennte ein zweistufiges System einfuehren, aber verstaubte
Verfassungstraditionen wie ja auch das Wahlmaennersystem halten in den USA
nunmal ewig. Vor allem aber dann, wenn massive Interessen dahinterstehen.

Sicher, Gore waere bei einer Stichwahl wohl Praesident geworden. Drei Jahre
haetten die Demokraten jetzt Zeit gehabt, dieses veraltete Wahlsystem
oeffentlich zu kritisieren -- unmittelbar im ersten Schock nach den Wahlen
gab es ein paar dezente Stellungnahmen dazu, aber das ist lange her. Seither
kann diese Kritik wohl nicht allzulaut gewesen sein, wenn davon nichts ueber
den grossen Teich gekommen ist. Diese Diskussion waere ja auch hoechst
unamerikanisch gewesen, haette sie doch das Zweiparteiensystem gefaehrdet.
Diese Aufteilung der formalen Macht ist jedoch etwas, das die beiden
Parteien, deren demokratisches wie republikanisches Denken diesbezueglich
leider etwas unterenwickelt ist, um keinen Preis missen wollen. Und auch
deren Geldgeber nicht -- schliesslich wird es ziemlich teuer, wenn man mehr
als zwei Parteien schmieren muss; Oder gar mit Parteien konfrontiert waere,
die sich zieren, von bestimmten Leuten Geld zu nehmen.

Das geringe Interesse der Wahlbevoelkerung ist unter anderem auch darin zu
suchen. Bei der letzten Wahl wollten oder konnten fuer einen der beiden
Staatsparteienkandidaten lediglich 100 Millionen ihre Stimme abgeben --
zusammen wohlgemerkt. Bei einer Wohnbevoelkerung von 260 Millionen keine
wirklich gute Quote.

Das ist aber kein Grund, in Antiamerikanismus zu schwelgen. Das Interesse an
einem demokratischen Wahlrecht nimmt ueberall potenziell mit dem Grad der
Etabliertheit ab. Ich kann mich noch gut erinnern, wie VGOe und AL gejammert
hatten, wie undemokratisch unser oesterreichisches System doch sei -- als
sie als Gruene in die Parlamente gelangten, hat man nichts mehr davon
gehoert. Kein Wunder, sind die Gruenen doch beispielsweise durch das
Wahlrecht die laestige Konkurrenz der Liberalen losgeworden, die 1999 an der
4%-Huerde scheiterten. Und vor jeder Wahl erklaert uns der linke Fluegel der
Gruenen, dass jede Stimme fuer die KPOe eine verlorene Stimme sei. Nur bei
den Kaerntner Landtagswahlen, da ist alles anders. Da gilt das Argument von
der verlorenen Stimme ploetzlich nicht mehr und da ist selbst den Gruenen
das Wahlrecht zu unfair -- denn bislang hatte es ja ihren Einzug in den
Landtag verhindert. Die Wiener Landes-SPOe hingegen wollte schon mal kurz
vor den Wahlen das Wahlrecht aendern, weil sie um ihre absolute Mehrheit
fuerchtete -- was nur auf Grund lauter Proteste gerade noch verhindert
werden konnte. Und der Bundes-SPOe-Vorsitzende mag keine gruene Konkurrenz
und dachte vor zwei Jahren laut ueber ein Mehrheitswahlrecht nach.

So sind sie alle. Egal, ob hueben oder drueben, egal ob Verhaeltnis- oder
Mehrheitswahlrecht, es bleibt dabei: Wer nicht drin ist im System, findet es
unfair; wer drin ist, ist froh, wenn einem von diesem System die Konkurrenz
vom Leib gehalten wird und trachtet immer danach, moeglichst unbemerkt das
System so hinzubiegen, dass die eigene Macht vergroessert wird.

Nader ist dieses Spiel zu bloed geworden. Wenn jeder Gegner des
Zwei-Parteien-Systems in den USA ein Spielverderber sei, dann sei er eben
einer, so der Kandidat. Und weiter: "Wenn die Regierungspartei merkt, dass
ihre Raender nach Alternativen Ausschau halten, dann rueckt die
Oppositionspartei immer in die Mitte." So ist Nader eine Alternative an den
Raendern der Oppositionspartei und also bleibt der demokratischen Partei
nichts anderes uebrig, als einen Kandidaten zu finden, der zumindest vor der
Wahl auch ein paar Versprechungen fuer diese anderen Raender ueberhat.
Vielleicht denkt man bei den Demokraten auch einmal darueber nach, dass
Ueberlegungen zur Reform des Wahlrechts in politischen Forderungen muenden
koennten, will man den "Nader-Effekt" in Zukunft vermeiden.

Nader wird nicht US-Paesident werden; zumindest nicht dieses Mal. Zwecklos
oder gar kontraproduktiv ist seine Kandidatur aber nicht.
*Bernhard Redl*

Links:
http://www.votenader.org/
http://www.ralphdontrun.net/



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