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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Februar 2004; 16:54
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Kommentar der anderen:
> "Die Oekonomie ist ein Sandkastenspiel fuer Buben geworden."
Oekonomie ist eine serioese Wissenschaft, sagen die einen. Da werde nicht
wild herumfantasiert wie in den Geisteswissenschaften, sondern rigoros
gezaehlt und gerechnet. Andere sagen: Oekonomie betreiben heisst die Daten
so lange foltern, bis sie ein Gestaendnis ablegen. Die Formeln und
Statistiken seien nur ein pseudowissenschaftliches Kostuem, hinter dem sich
die krudesten Annahmen verbergten. Statistik sei ein Mittel zum Zweck, und
der Zweck bestehe darin, die eigene Ideologie mit Zahlen zu unterfuettern.
Wer hat Recht? Unter den Mitgliedern der Zunft dominiert die Ueberzeugung,
dass in der Regel alles mit rechten Dingen zu und her geht. Klar, es gibt
schwarze Schafe - aber die gibt es doch immer, nicht wahr? Entscheidend sei,
dass immer mehrere Leute prueften, ob ein Artikel publiziert werden koenne
oder nicht. Auch in der breiten Oeffentlichkeit gilt die Oekonomie als
serioese Wissenschaft. Die Materie ist komplex, die Methode sehr, die
Sprache schwer verstaendlich - kritische Stimmen koennen leicht als
inkompetent abgetan werden.
Doch nun kommt Kritik aus den eigenen Reihen, und die ist vernichtend.
Deirdre McCloskey und Stephen T. Ziliak haben festgestellt, dass nicht
weniger als vier Fuenftel der Aufsaetze in einer fuehrenden Fachzeitschrift
(«American Economic Review») einen grundlegenden Mangel aufweisen: Sie
setzen statistische Signifikanz mit oekonomischer Plausibilitaet gleich. Das
heisst, die Daten werden gefoltert, bis sie ein Gestaendnis ablegen, aber es
spielt ueberhaupt keine Rolle, ob das Gestaendnis realistisch ist oder
nicht. Es ist, wie wenn ein Zwanzigjaehriger gesteht, er habe vor vierzig
Jahren John F. Kennedy umgebracht.
Dazu kommt ein zweiter Missstand: Wiederum vier Fuenftel der Aufsaetze geben
nur darueber Auskunft, ob ein statistischer Zusammenhang signifikant ist,
aber unterlassen es, die Staerke des Zusammenhangs zu diskutieren. Ein
Beispiel: Ein Oekonom hat ausgerechnet, dass eine hohe Staatsquote in den
meisten Faellen das Wachstum nur ganz minimal verlangsamt. Was tut er? Er
schreibt einen Aufsatz, in dem er gross verkuendet, dass eine hohe
Staatsquote schaedlich ist - eine Sensation, denn bisher galt die Meinung,
dass ein solcher Zusammenhang nicht nachzuweisen sei. Dass die schaedliche
Wirkung aber nur ganz klein ist, laesst er im Text unerwaehnt. Nur wer die
entsprechenden Tabellen genau studiert, merkt, dass hier eine Maus zu einem
Elefanten aufgeblasen wurde. In der «American Economic Review» sind also
nicht die schwarzen, sondern die weissen Schafe die Ausnahme. Und unter den
Ueberfuehrten befinden sich keineswegs nur ueberambitionierte Junge, die
skrupellos ihre Karriere vorantreiben, sondern auch beruehmte Namen wie der
US-Oekonom Gary S. Becker, der 1992 den Nobelpreis erhielt. Im Uebrigen
scheint sich der Trend zum hirnlosen statistischen Rechnen, einem
Sandkastenspiel fuer Buben, in den letzten Jahren verstaerkt zu haben.
McCloskey und Ziliak haben schon vor zehn Jahren nachgewiesen, dass die Lage
dramatisch ist. Heute sind die negativen Werte noch hoeher.
Die Studie wird den wissenschaftlichen Betrieb kaum veraendern. Zu tief ist
der Glaube verwurzelt, dass es ausreicht, statistische Signifikanz
nachzuweisen, selbst wenn das Ergebnis sinnlos oder der Effekt nur sehr
klein ist. Deirdre McCloskey und Stephen Ziliak sind Randfiguren in der
akademischen Szene. Vor allem McCloskey hat es schwer, ernst genommen zu
werden, denn die Mainstream-Oekonomen interessieren sich meist nur fuer die
Geschlechtsumwandlung, die sie vor zehn Jahren vollzogen hat, und vergessen
dabei, dass sie wichtige Grundlagenarbeit geleistet hat. Naechstes Jahr soll
eine Konferenz zu ihrem vor zwanzig Jahren erschienenen Buch «The rhetoric
of economics» stattfinden. Der Organisator? Nein, kein Oekonom, sondern ein
Kommunikationswissenschaftler, der irgendwo in der Wueste von Nevada mit
letzter Kraft einen Lehrstuhl ergattert hat.
*Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universitaet Zuerich / gek.*
Original: http://www.woz.ch/wozhomepage/7j04/friendly7j04.htm
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