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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Februar 2004; 17:28
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Antisemitismus/Debatte:

> Was sind alle? Antisemiten!

Anhand des "neuen Antisemitismus" ortete der Rechtsextremismus-Experte vom
DOeW, Heribert Schiedel, in einem kuerzlich erschienen "Standard"-Interview
moegliche und tatsaechliche Verbindungen zwischen Rechtsextremen,
Islamisten, Linken und der Bewegung der Globalisierungskritiker. Schiedel
spricht ueber die signifikante Zunahme antisemitischer Drohungen und
Gewalttaten in Oesterreich und Europa, sowie ueber das "Verhaeltnis von
berechtigter Kritik an der israelischen Regierungspolitik" und dem
"Ressentiment gegen den juedischen Staat" Laut Schiedel setzt der "neue
Antisemitismus" mit dem Beginn der zweiten Intifada und besonders seit den
Anschlaegen auf das World Trade Center und das Pentagon ein. Seither werde
das "Feindbild Jude" offener benannt. Es sei seither zu einer "starken
Zunahme antisemitischer Agitation" gekommen. Die Taeter wuerden vermehrt aus
dem arabischen Raum mit einem meist militant-islamistischen Background
stammen. Der arabisch-islamistische Antisemitismus habe "seine Ursache nicht
im Nahost-Konflikt, der nur benutzt wird, um die antisemitische Propaganda
zu verstaerken." Und fuer muslimische MigrantInnen in Oesterreich stelle der
Antisemitismus so etwas wie ein "Integrationsangebot von Seiten der
oesterreichischen Bevoelkerung" dar.

So weit, so schlecht - allerdings trifft es nicht ganz den Punkt der
Ereignisse nach den Anschlaegen in den USA. So leben israelische
Staatsbuerger meist wesentlich besser und koennen ohne jegliche Probleme die
USA und die westlichen Staaten bereisen, was arabisch-staemmigen Reisenden
meist nur mit grosser Muehe gelingt. Israelis geniessen zumindest in den USA
breiteste Rueckendeckung vor dem "palaestinensischen Terror", den arabischen
Islamisten erkennt Schiedel einfach jegliche Ursachen ihrer antijuedischen
Attacken ab. Der Siedlungsbau am Fliessband im palaestinensischen Gebiet und
die kriegstreiberische Politik der Sharon-Regierung finden keinerlei
Erwaehnung. Im Gegenteil, laut Schiedel koenne sich die Enkelgeneration
ueber die Feindschaft zu Israel mit den Grosseltern aussoehnen, ohne am
antifaschistischen Selbstbild zweifeln zu muessen. Dass ein Grossteil dieser
jungen Generation einfach mit Politik nichts am Hut hat oder manche sogar
mit den Friedensbewegungen auf beiden Seiten sympathisieren koennten, wird
nicht einmal angedacht. Hauptsache ist der flaechendeckende Beweis von
Antisemitismus.

Meine Adoptiveltern waren milde Antisemiten - sofern sie manchmal ueber
Juden sprachen, beherrschten die ueblichen Klischees ihre Erzaehlungen. Als
Kind hoerte ich weder von der Reichskristallnacht, noch von der Gestapo oder
gar von Auschwitz. Bewusst sah ich nie einen Juden, und der erste, der mir
im Fernsehen als Jude praesentiert wurde, war Kreisky. Dieser wurde jedoch
von meinem Vater geliebt, der selbstredend eingefleischter Sozialdemokrat
war. Mit dem Heranwachsen und dem Kennenlernen anderer sozialer Gruppen
reduzierten sich zwar meine Klischees und Vorurteile, gaenzlich beseitigen
konnte ich sie nie. Selbst als Erwachsener fiel es mir nicht leicht,
vollkommene Unbefangenheit gegenueber jemand, z.B. von der Kultusgemeinde zu
zeigen. Es war so etwas wie sterile Freundlichkeit, scheue Vorsicht. Bis ich
mit der damals 12-jaehrigen Tochter meiner Freundin durch den 2. Bezirk fuhr
und sie beim Anblick von juedischen Schuelern mit Beikeles und Kaftan lachen
musste. Der Bann war vorbei, meine Scheu verfluechtete sich. Sie hatte gar
nicht gewusst, dass es juedisch-orthodoxe Jungen waren und zeigte sich nicht
besonders beeindruckt. Sie sehen nur komisch aus, meinte sie. Das fand sie
mit ihren 12 Jahren damals bei sehr vielen. Sie ist heute 19 und wuerde noch
immer beim Anblick der juedischen Schueler lachen, wie sie es auch bei einem
Haufen geschmueckter Burschenschafter tun wuerde. Uebrigens sind die meisten
so wie sie.

Schiedel ist zweifellos in seiner Auflistung all derer, bei denen
Antisemitismus vermutet werden kann, sehr bemueht. Andererseits ist bei
einigem guten Willen fast ueberall Antisemitismus hinein- und herauszulesen.
Globalisierungskritiker per se sind es nicht, aber wenn sich diese Bewegung
antizionistisch gebaerdet, ist sie es schon - da sie Israel das
Existenzrecht als juedischer Staat abspricht. Kaempfer gegen den
Kapitalismus sind keine Antisemiten, die gegen das "internationale
Finanzkapital" kaempfen, sind es schon. Wenn oppositionelle Bewegungen sich
vor allem in Spontaneitaet erschoepfen, werden sie antisemitisch. Wenn alle
ploetzlich ueberall Antisemitismus wittern, herrscht grosse Gefahr. Ich hab
schon meinen Hund in Verdacht - er schaut bereits komisch.
*Fritz Pletzl*



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