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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Februar 2004; 17:06
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Aethiopien:
> Eines der vielen Enden dieser Welt
Lisa Langbein war als freiwillige Helferin fuer "Aerzte ohne Grenzen"
(Médécins Sans Frontieres, MSF) nach Boditi /Aethiopien gereist. Wir bringen
ihre Aufzeichnungen ueber siebeneinhalb Wochen Einsatz in Fortsetzungen.
> Kasten: Zum Hintergrund
MSF ARBEITET SEIT 1984 IN AeTHIOPIEN; Das Land wird wegen jahrelanger
Duerreperioden immer wieder von Hungerkatastrophen heimgesucht. Anfang 2000
wurde die Zahl der vom Hunger bedrohten Menschen von der Regierung und dem
World Food Program mit 8 Millionen angegeben, Ende 2002 waren es bereits 14
Millionen Die Nachwehen des Krieges mit Eritrea und der Buergerkrieg in der
Region Ogaden machen den Einsaetze der Hilfsorganisation gefaehrlich.
Aufgaben, die sich die Hilfsorganisation stellt, sind zahlreiche
Noternaehrungsprogramme im Rahmen der Katastrophenhilfe, sie organisiert in
vielen Regionen Basisgesundheitsversorgung, Wasserversorgung, betreut
Impfprogramme, Gesundheitszentren fuer HIV-Praevention und Behandlung und
Praevention anderer sexuell uebertragbararer Krankheiten. Endemische
Krankheiten die in Aethiopien stark verbreitet sind wie z.B. Meningitis,
Tuberkulose und chronische Unterernaehrung werden in Gesundheitszentren
und Kliniken behandelt. Derzeit arbeiten 45 Freiwillige und 427 nationale
Mitarbeiter in den Programmen des MSF.
INFORMATIONEN ZUR POLITISCHEN LAGE (amnesty international, Bericht 2002):
Der zweijaehrige Krieg zwischen Eritrea und Aethiopien war im Jahr 2000
offiziell beendet, die Grenzregion wird seither von einer UN-Truppe
ueberwacht. Bei anhaltenden regionalen Konflikten in Eritrea werden jedoch
bewaffnete Oppositionsgruppen von der aethiopischen Regierung unterstuetzt,
waehrend von Eritrea aus aethiopische bewaffnete Oppositionsgruppen in
verschiedenen Konfliktherden im Kampf gegen Regierungstruppen unterstuetzt
werden. Das aethiopische Militaer geht bei Verdacht auf Zugehoerigkeit zu
den Oppositionsgruppen und auch ohne solche Verdachtsgruende zur Vergeltung
eigener Verluste aeusserst brutal gegen die eigene zivile Bevoelkerung vor
(extralegale Hinrichtungen, Folterungen, Vergewaltigungen). Bei
Kampfhandlungen zwischen verschiedenen Volksgruppen wurden Dutzende Menschen
getoetet und Tausende aus ihren Wohnorten vertrieben. Unabhaengige
Journalisten wurden auch 2002 von der Regierung bedroht, festgenommen und
inhaftiert. Der aethiopischen Polizei wird wiederholt die Toetung von
Teilnehmern an ueberwiegend friedlichen Demonstrationen vorgeworfen;
Massenverhaftungen, Misshandlung und Folterungen von Haeftlingen sind an der
Tagesordnung. Tausende Untersuchungshaeftlinge sind ohne Anklage in Haft,
ohne Kontakt zur Aussenwelt. amnesty international vermutet, dass zahlreiche
Gefangene, deren Aufenthaltsort unbekannt ist, verschwunden sind, dh. dass
sie vermutlich extralegalen Hinrichtungen zum Opfer gefallen sind. Es gibt
zahlreiche Berichte ueber Folterungen von politischen Haeftlingen, vor allem
solchen, denen Kontakte zu Gruppen der bewaffneten Opposition unterstellt
werden. Die Gerichte gingen den Foltervorwuerfen nur in wenigen Faellen
nach. Die Regierung nahm zu diesen Vorwuerfen Stellung, indem sie die
Untersuchung von polizeilichen Uebergriffen in Aussicht stellte; auch
Probleme bei den Gerichtsverfahren gegen politische Haeftlinge wurden
eingeraeumt. (MSF, ai/akin)
*
> Briefe aus Afrika. Erster Teil.
*Dienstag, 9. Dezember
Schlussendlich bin ich doch in Boditi gelandet... und schon den zweiten Tag
da. Es ist gruen, gar nicht allzu warm und noch recht verwirrend.
Aber vom Anfang: In grosser Eile von Wien nach Genf und dann das erste
Warten. Es gab naemlich erst wieder fuer Donnerstag einen Flug nach Addis
Abeba. Viele Gespraeche im MSF-Buero in Genf natuerlich und auch viele
Leerlaeufe. Malaria ist ein grosses Problem weltweit und besonders in
letzter Zeit beschaeftigt es MSF sehr. Die meisten Malariamittel sind
unwirksam geworden, weil die Erreger inzwischen immun dagegen sind. Es gibt
ein neues (sehr altes, chinesisches) Mittel (Artemisinin), das ausgezeichnet
hilft und keine Resistenzen bildet. Nur, es ist schwer, die Menschen davon
zu ueberzeugen. So arbeiten sie in Aethiopien mit zweifelsfrei sehr oft
schon unwirksamen Medikamenten. Und ausserdem habe ich in Genf schon
Marianne kennengelernt, sie ist meine unmittelbare Chefin, sie macht die
"field coordination". Ich glaub, sie hatte mindestens ebensoviel Angst wie
ich...
Irgendwann, genauer am Donnerstag frueh wars dann soweit. Der Flug ging
ueber Frankfurt nach Addis. Ich sollte medizinische Tests mitnehmen, die
eine Kuehlkette brauchen und in meinem Hotel gab es keinen Tiefkuehler, also
hab ich in den Geschaeften in der Gegend herumgefragt und meine
Kuehlelemente haben in einer Baeckerei uebernachtet, ich holte sie in der
Frueh und dann gings ab mit dem Bus und den drei Taschen... hat auch
funktioniert.
Drei Stunden in Frankfurt, das war nicht so schlimm, und dann sieben Stunden
Flug nach Addis. Hier ist die Zeit zwei Stunden voraus, also wars schon halb
zwoelf bei der Ankunft, und die Schlange war lang, sehr lang. Eine Stunde
bis zur Passkontrolle, dann aber problemlos. Ein Taxifahrer mit einem
MSF-Schilderl hat auf mich gewartet und mich ins Gaestehaus gebracht. Es war
halb zwei bis ich im Bett war und nicht schlafen konnte...
Dann Addis, ein Zettel erklaerte mir, dass ich um halb neun im MSF-Buero
sein sollte. Anara, die Administratorin hat mir einiges erklaert (unter
andrem auch, dass ich erst Sonntag weiterreisen werde) und dann auch der
Logistiker, vor allem ueber Sicherheit, die aber hier eigentlich kein
Problem ist, es ist sicher.
Addis - eine riesengrosse Stadt. Liegt 2500 m hoch, blauer Himmel mit vielen
Wolken aller Art, viele Menschen zu Fuss, die Hauptstrassen gepflastert, die
Nebenstrassen aber nicht. Enormes Leben und Treiben. Aufgefallen ist mir,
dass die Menschen hier offenbar zu Hause essen, es gibt kaum bis kein
Nahrungsangebot an den Strassenraendern oder auf dem Markt. Auf dem grossen
Markt war ich nicht, aber einen kleineren hab ich zu Fuss gefunden. Habe
kein Stadtzentrum gesehen, der Reisefuehrer sagt, es gibt nicht eines,
sondern mehrere oder keines, je nachdem wie mans sehen will. Angeblich hat
Addis jetzt drei Millionen EinwohnerInnen.
Sonntag frueh fuhren wir ab. Eine Sechs-Stunden-Reise mit dem Auto. Richtung
Sued-west von Addis. Lange gerade Strasse, viele Unfaelle zu sehen, und
streckenweise hats ausgeschaut wie auf der Trabrennbahn. Sie haben hier so
zweiraedrige Wagerln, nur natuerlich selten mit einem noblen Pferd, oefter
mit Esel und Mulis.
Boditi. Eine jaehrlich wiederkehrende gruene Hungersnot... 2008m hoch
gelegen, so hat Robin der Logistiker gesagt. Gruen, sanfthuegelig, sehr
bevoelkert. Unser Camp ist recht gross. Viele kleine Haeuser und Huetten um
ein grosses herum. In einem der kleinen wohne ich, Bambus, Stelzen,
Schilfdach. Im grossen Tukul in der Mitte sind die Tische und Sessel sowie
eine riesige Feuerstelle. Da gibts jeden Abend Lagerfeuer, was fein ist,
weil es wird doch recht kuehl. Ihr koennt euch vorstellen: viel Gruen,
Baeume, Straeucher, Blumen, Rasen, Schilfdaecher und Wellblechdaecher
dazwischen.
*Mittwoch, 10. Dezember
Wenn ich vielleicht auch an einem der vielen Enden der Welt bin, eines ist
sicher, allein bin ich da nicht. Es ist eine sehr bevoelkerte Region, 600
bis 700 Menschen pro Quadratmeter. Das ist wohl auch einer der Gruende fuer
die Hungersnoete, die regelmaessig auftreten. Ein weiterer Grund ist sicher,
dass es sich um eine Minderheits-Bevoelkerung handelt. Die meisten koennen
die aethiopische Landessprache - Amharik - nicht, hier gibts eben eine
eigene Sprache, und eine Bevoelkerung, die nicht zum Auswandern neigt. Sogar
die Studenten kommen wieder heim, die Menschen haengen sehr an ihrer Region,
sagt man. Aber wenigen gehoert das Land, auf dem sie leben und einige machen
mit dem zu wenigen Boden Lebensmittel-Geschaefte mit Addis, dort ist der
Preis besser. Und Boden gibts so oder so etwas zu wenig fuer die vielen
Menschen. Auch die Regenzeiten tun hier nicht das, was sie taten oder tun
sollen, sie kommen spaeter, heftiger oder weniger, jedenfalls so, dass die
Ernte nicht kommt. Der Hunger kommt ziemlich regelmaessig.
Und das Wetter, das sich aendert, bringt noch was mit, naemlich die Malaria.
Die sollt es so hoch oben eigentlich gar nicht geben. Ist auch noch ein
bisserl gueltig, hier in Boditi selbst gibts wenig Malaria. Aber schon in
den Nachbarorten, vielleicht hundert Meter tiefer, da gehts zu wie wild.
Es gab ein Fest gestern. Weil es einen Wechsel in der Fuehrung der Mission
gibt, war ein Abschied faellig. Eine aethiopische Volksmusikgruppe spielte
und tanzte. Das begann am spaeten Nachmittag im Ernaehrungszentrum.
Beeindruckend, wieviel Freude die Menschen damit hatten, wie sie strahlten
und mittanzten. Dort sind tatsaechlich die Aermsten der Armen, abgemagert
mit grossen Augen und ganz schaebigen Kleidern. Abends gabs dann ein Fest
fuer die MSFlerInnen, auch das sind ganz schoen viele hier, aber nicht so
arm dran.
Unglaublich wie die tanzen koennen, entweder die Knochen sind elastisch oder
sie haben einfach mehr Gelenke als unsereins... Das Hauptinstrument neben
den Trommeln schaut recht witzig aus, wie eine Mandoline mit Ecken, die
gestrichen wird mit einem Bogen der ausschaut wie Pfeil und Bogen, klingen
tuts dann eher wie ein Dudelsack. Aber angenehm zum hoeren.
*Freitag, 12. Dezember
Unglaublich wie die Zeit vergeht, es ist tatsaechlich Freitag.
In der letzten Zeit war ich viel unterwegs, um unsere Malariakliniken zu
besuchen, jetzt hab ich den Bereich gewechselt und werde mich ums Sammeln
von Daten und die Statistik kuemmern, es sind naemlich noch zwei
Krankenschwestern eingetroffen. Lucia aus Deutschland und Leila aus
Norwegen. Die beiden werden sich um je eine unserer beiden Kliniken
kuemmern. Es handelt sich dabei um eine Art Feldlazarette, eingerichtet um
schwere Malaria zu behandeln und damit direkt und unmittelbar Todesfaelle zu
verhindern. Buge und Tomtome Menta heissen die beiden Orte und sie sind
zwanzig (Buge) und vierzig Autominuten von Boditi entfernt. Besonders
Tomtome Menta liegt recht abseits, wenns fuer uns schon nicht so leicht
erreichbar ist, wie schwierig ists erst fuer die Menschen von dort - krank -
nach Boditi zu reisen..
Ausser diesen beiden Kliniken haben wir noch immer das TFC (Therapeutic
Feeding Center = Ernaehrungszentrum) hier in Boditi. Auch wenn es noch viele
schwerst unterernaehrte Kinder dort gibt, es mutiert schon seit einer Weile
in ein Kinderspital mit einem Malariaschwerpunkt. Das TFC Boditi ist nicht
weit von unserer Unterkunft, wird aber trotzdem immer mit dem Auto
angefahren, weil die Strasse sehr bevoelkert ist und weisse Menschen
(Ferengi) etliches Aufsehen erregen.
War mit dem Statistik-Team unterwegs. In raschem Fusstempo durch Orte, bei
jedem Haus, die meisten sind Rundhuetten wie im Bilderbuch, es geht sich wie
durch ein Freilandmuseum. Wir fragen wieviele Menschen hier wohnen, ob
welche Fieber haben, wenn ja, wie behandelt und ob in den letzten zwei
Wochen wer gestorben ist. Viele viele Menschen (und das Vieh) wohnen in
einem Haus, 5 bis 8 meist, viele Haeuser relativ knapp beinand.
Suesskartoffel, Mais, Kaffee, Tabak, Getreide und Bananen hab ich gesehen.
Fusswegerl auf hellroter Erde (berglauf und berglab) fuehren durch gruene
Landschaft. Sehr huebsch, ziemlich ermuedend fuer mich natuerlich. Aber ich
wollte sehen, wie sie und was sie tun.
*Samstag, 13.Dezember
Kaum hab ich die Statistik-Teams uebernommen, schon haben wir sie in freie
Tage geschickt. Das Ganze ist naemlich etwas planlos und teilweise
kontraproduktiv. Wir muessen das neu planen und neu starten. Also hab ich
nach drei meetings alle bis Dienstag fortgeschickt und das Buero angefangen
zu ordnen und war nachmittags ins TFC beordert, Blut zu spenden. Malaria
macht ueberhaupt, besonders aber bei Kindern starke Blutarmut, das wird dann
lebensbedrohlich und wenns einmal soweit ist, dann hilft nur mehr Blut. Aber
meins hat diesmal nicht gepasst. Wir braeuchten hier uebrigens dringend
Mitarbeiterinnen, die Rhesus negativ sind... ansonsten sind wir derzeit eher
zu viele als zu wenige.
Sehr oft wird man hier zu Kaffee eingeladen. Es gibt eine Kaffee-Zeremonie.
Der Kaffee wird in einer Pfanne geroestet und darf dann auskuehlen. Dann
wird er in einem Holzbehaelter mit einem Stock gestampft, also gemahlen, mit
siedendem Wasser uebergossen und in kleine Tassen (anderswo Teetassen)
gegossen und verteilt. Dann wird nochmals heisses Wasser draugeschuettet,
drei Tassen kriegt so jede/r.
Eine Umstellung ist die Zeit hier. Wir sind irgendwo in der ersten Haelfte
von 1996, das hab ich noch nicht durchschaut. Aber auch die Rechnung der
Tageszeit ist ganz anders. Hier beginnt der Tag um sechs Uhr frueh mit Null
Uhr. Also ist unser Arbeitsbeginn um 2 Uhr, weil da ists acht. Das Statistik
Team beginnt schon um 1.30. Also ist jede Vereinbarung vorsichtig zu
treffen, weil wann treffen wir uns, wenn wir um zwei Uhr ausmachen? Abessha
time oder Ferengi time?
Und das Wetter? Derzeit prachtvoll. Was das heisst? Na, in der Nacht wirds
sehr frisch. Ich hab dreimal um sechs Uhr frueh nachgeschaut, 13, 10, 8
Grad. Tagsueber wirds dann recht warm, zunaechst bleibts im Schatten kalt,
dann wirds auch dort fein. In meinem Zimmer hats tagasueber so 24 Grad. Die
Sonne ist aber stark, fast Aequator und 2000 Hoehenmeter, das kann schon
was.
*Fortsetzung in der naechsten Ausgabe
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