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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Februar 2004; 17:15
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Geschichte/Debatte:
> Bitte um Milde
Zum Verhalten der Sozialdemokratie im Jahre 1934 und zum Umgang mit
Geschichte
Siebzig Jahre sind vergangen seit den Februarkaempfen. Heute sind wir
klueger. Heute wissen wir, was falsch gelaufen ist. So ungefaehr zumindest.
Und auch wenn Herr Khol die Chuzpe hat zu sagen: "Die Frage der Schuld ist
heute nicht mehr wirklich zu klaeren", wissen wir, dass die Vorgaengerpartei
der OeVP schuld an der Demontage der Ersten Republik war. Da ist nichts zu
beschoenigen und fuer das Geschehen sind auch nicht die Nazis zur
Verantwortung zu ziehen.
Wir wissen auch, dass die Sozialdemokratie in der Verteidigung dieser
Republik versagt hat. Dafuer hat sie von der linken Nachwelt schon genug
Pruegel bezogen -- gerade wieder in den letzten Wochen. Ich frage mich nur,
ob in ihrem Fall nicht doch mildernde Umstaende vor dem Gerichtshof der
Geschichte ins Treffen zu fuehren waeren.
Ich weiss nicht, was in den Koepfen der Fuehrer der Sozialdemokratie in den
fruehen 1930er-Jahren vorgegangen ist -- selbst Autobiographien sind da ja
nur bedingt hilfreich --, aber wenden wir einmal das Prinzip "in dubio pro
reo" und spielen den Advokaten der Sozi. Was koennte man zur Verteidigung
vorbringen?
Die Sozialdemokraten waren nach ihrem eigenen Selbstverstaendnis auch damals
keine Revolutionaere. Sie verstanden sich als Marxisten, glaubten aber auch,
dass sie dem Sozialismus mit den Mitteln der buergerlichen Demokratie zum
Durchbruch verhelfen koennten. Der Republikanische Schutzbund war keine
Revolutionsarmee, sondern sollte die Republik vor der Reaktion schuetzen.
Im Maerz 1933, nach dem Selbstputsch von "Christlichsozialen" und Anhang
(Landbund, Heimwehr), hatte Dollfuss noch lange nicht die totale Macht. Der
christlichsoziale Bundespraesident Miklas bestaetigte zwar das Recht der
Regierung, mit Notverordnungen zu regieren, verlangte aber die alsbaldige
Rekonstruktion des Nationalrats -- was die Sozialdemokraten ernst nahmen.
Weiters waren noch die Landtage und der -- zugegebenermassen auch damals
laecherliche -- Bundesrat, wo die Regierung ihre Mehrheit bereits verloren
hatte, intakt. Die schaerfste Waffe innerhalb der Institutionen aber war der
Verfassungsgerichtshof. Dieser war zwar auch nicht gerade linksradikal
bestueckt, aber die Richter waren in der Mehrheit keine willfaehrigen
Trottel der Regierung. Die Wiener Landesregierung nutzte in der Folge auch
sehr intensiv ihr Klagsrecht vor dem Hoechstgericht und dieses kassierte
prompt auch einige der Regierungsverordnungen ein. Erst als mittels einiger
Intrigen mehrere regierungsnahe Richter zum Ruecktritt bewegt werden
konnten, verlor das Gericht so viele Mitglieder, dass es nicht mehr
funktionsfaehig war. Und dann war es nicht mehr lange bis zum Februar 1934.
Die Sozialdemokraten glaubten aufgrund dieser -- fuer sie lange Zeit nicht
so aussichtslos scheinenden -- Institutionen-Situation, dass es sich
Dollfuss nicht lange wuerde leisten koennen, ohne Parlament zu regieren.
Spaetestens Ende 1934 waeren regulaer sowieso Nationalratswahlen
auszuschreiben gewesen und es war absehbar, dass Dollfuss selbst unter
Einbindung der eher buergerlich-liberalen Grossdeutschen dann keine Mehrheit
mehr zustande gebracht haette. Man sagte sich wohl, dass man der Regierung
bis dahin keine Moeglichkeiten geben wollte, die letzten demokratischen Inst
itutionen mit dem Verweis auf eine nicht mehr funktionierende oeffentliche
Ordnung zu sistieren -- letztlich hatten sie dabei ja nicht einmal voellig
unrecht, kam doch das Verbot der SDAP erst nach dem Februaraufstand.
Natuerlich haette Dollfuss alles getan, um an der Macht zu bleiben. Deswegen
ja auch die staendigen Provokationen von Fey und Starhemberg. "Was waere
gewesen, wenn..." ist zwar keine historische Kategorie, aber die
Sozialdemokraten waeren so oder so verboten, der Wiener Buergermeister so
oder so abgesetzt worden -- des Kanzlers unbedingter Machtwille (den er
nicht erst in der Trabrennplatzrede im September 1933 deklarierte), die
starke reale Machtbasis aus Polizei, Bundesheer und Heimwehr sowie ein sich
doch sehr bald als braver Parteigaenger des Kanzlers erweisender
Bundespraesident haetten der Sozialdemokratie schon fruehzeitig jegliche
Hoffnung auf eine freiwillige Rueckkehr zu republikanischen Zustaenden
rauben muessen.
Ja, schon, aber nachher ist man halt immer klueger. Wie haetten wir damals
gehandelt? Manchmal habe ich den Eindruck, als wollten manche
Diskussionsteilnehmer beim Thema "Februar 34" sich in jene Zeit
zurueckbeamen, um den Klassenkampf so richtig fuehren zu koennen. Und
andere, oft die friedliebendsten Linken, beschweren sich ueber die damalige
"Feigheit" der Arbeiterfuehrer. Ehrlich gesagt, bei dieser Martialitaet wird
mir uebel. Denn ich glaube, ich waere auch feig gewesen. Ich haette mich
wohl lieber einen "Lampenputzer" nennen lassen wollen, anstatt mich
beschiessen zu lassen und selbst zurueckzuschiessen.
Die Sozialdemokratie hat schwere Fehler gemacht, das ist unbestreitbar. Aber
ich habe meine Zweifel daran, ob man sie dafuer verurteilen kann. Was sind
die "Lehren des Februars"? Ist das so leicht zu beantworten? Vielleicht ist
eine Lehre die, dass man sich der Realitaet stellen muss, auch wenn sie
einem nicht ins politische Konzept passt. Ideologie, Utopie, Ueberzeugung
gilt es zu bewahren, oh ja, aber fest verwurzelt im Kopf und nicht als Brett
vor dem selben.
Es stellt sich auch die Frage, welche Konsequenzen zieht man fuer heute?
Auch hier sollte man vorsichtig sein. Wenn Herr Schuessel im Jahr 2000
meinte, er waere nicht Dollfuss, so tat er es, um den ueberdeutlichen
Parallelen seiner autoritaeren Art zu jener des Millimetternich
entgegenzutreten. Immerhin waren auch damals die Sozialdemokraten die
staerkste Partei im Parlament und konnten nur mit den vereinten, aber auch
sehr zerstrittenen Kraeften eines Buergerblocks von der
Regierungsbeteiligung abgehalten werden. Dennoch hatte Schuessel mit seinem
Sager recht, denn ansonsten war und ist schon vieles sehr anders.
Man darf nicht den Fehler machen, Geschichte als Blaupause fuer aktuelles
Geschehen zu verwenden. Denn Geschichte wiederholt sich nicht, nicht einmal
als Farce. Vergleichbare Situationen sind eben nur vergleichbar und nicht
gleich. Und es liegt auch im Wesen der Geschichte, dass sie letztlich nur in
der Erinnerung und in Dokumenten existiert, aber nicht "real" in dem Sinne
ist, dass man sich in eine Zeitmaschine setzen und sie noch einmal erleben
kann.
Geschichte kann uns womoeglich sagen, woher wir kommen und auf wessen
Schultern wir stehen. Sie hilft uns die Gegenwart zu verstehen und
vielleicht auch, die Zukunft zu gestalten. Nur allzu einfach sollten wir es
uns dabei auch nicht machen wollen.
*Bernhard Redl*
(der eh weiss, dass er manchmal ein bisserl was
Oberlehrerhaftes hat ;-))
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> Neuauflage von Hindels-Texten zum Februar 34
Am 70jaehrigen Jahrestages des Buergerkrieges im Februar 1934, praesentierte
die Sozialistische Jugend NOe eine Broschuere mit den Texten "Der Weg zum
12. Feber 1934" und "So starb ein junger Sozialist" von Josef Hindels.
Darin werden die Ereignisse, Hintergruende und die Entwicklungen, die
letztlich zum Buergerkrieg fuehrten, beleuchtet und am konkreten Beispiel
des jungen Sozialisten Josef Gerl, der vom Staendestaatregime hingerichtet
wurde, die Schrecken des Kampfes gegen die austrofaschistische Herrschaft
ausfuehrlich dokumentiert.
Die Broschuere kann kostenlos bei der SJ NOe, bestellt werden:
Sozialistische Jugend NOe, Tel. 02742/2255-222, presse@sjnoe.at
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