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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 10. Februar 2004; 19:17
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Geschichte/Kommentar:

> "Wir erwarten, dass Du das Zeichen zum Losschlagen gibst"

12. Februar 1934: Arbeiteraufstand in Oesterreich

Fotographiert wurde Julius Deutsch, "militaerischer Fuehrer des Aufstandes"
mit einer Augenverletzung nach seiner angeblich abenteuerlichen Flucht am
Mittwoch, dem 14. Februar in Bruenn. Schutzbuendler sahen ihn allerdings
bereits in der Nacht vom 13. Februar ohne Anzeichen einer Verwundung die
tschechoslowakische Grenze passieren und waren empoert: Denn um den
Fuchsenfeld- und Bebelhof in Wien-Meidling wurde noch bis 15. Februar
erbittert gekaempft. Der Kommandant der steirischen Rebellen Kolomann
Wallisch wurde erst am 19. Februar durch Verrat gefasst und nach einem
Standgerichtsverfahren sofort gehaengt. Auch Deutsch's Lebensgefaehrtin
hielt Ihren Julius schlicht fuer eine "feige Sau" und drohte ihm waehrend
eines heftigen Streites im Auslandsbuero der oesterreichischen
Sozialdemokraten buchstaeblich eine "Watschn" an.

Der Fall Deutsch ist kennzeichnend fuer die jahrelangen Konflikte zwischen
sozialdemokratischer Fuehrung und Basis. Begonnen hatten die offenen
Auseinandersetzungen am 14. Juli 1927, als Wiener Arbeiter(innen) aus Wut
ueber den Freispruch zweier Heimwehr-Faschisten das Symbol dieser
Klassenjustiz, den Justizpalast, in Brand setzten und die Parteifuehrung
beschwichtigend eingriff. 89 Tote und ueber tausend Verletzte blieben auf
der Strecke. Jahr fuer Jahr sind dann die sozialdemokratischen Oberen vor
der faschistischen Aggression zurueckgewichen:

- 1928 hatten sie erstmals einen provozierenden Heimwehraufmarsch im
Industriezentrum Wiener Neustadt toleriert.

- 1929 hatten Otto Bauer & Co. zweifelhafte Konzessionen an eine
"staendestaatliche" Verfassung gemacht.

- 1930 hatten sie Massenmobilisierungen gegen eine Regierung, die aus
Heimwehr-Fuehrern und einem Schwager Hermann Goerings bestand, unterlassen.

- 1931 hatte sie zugesehen, wie die oesterreichische Exekutive aktionslos
zuwartete, bis sich faschistischer Heimwehr-Putschisten in der Steiermark
von selbst verfluechtigten, und der Innenminister die Ereignisse als
"besoffene G'schicht" herunterspielte.

- 1932 hatten die Parteioberen die ersten diktatorischen Massnahmen der
neuen Regierung unter Kanzler Engelbert Dollfuss - aufgrund des
kriegswirtschaftlichen Ermaechtigungsgesetzes aus den Tagen der Monarchie -
ueber sich ergehen lassen.

- 1933 hatte die sozialdemokratische Fuehrung nicht nur weitere autoritaere
Massnahmen von Dollfuss hingenommen (Besetzung des Parlaments durch die
Polizei, Verbot des Republikanischen Schutzbundes, der Kommunistischen
Partei und des Mai-Aufmarsches, Vorzensur fuer die Presse, beschraenktes
Streikverbot, Senkung der Ueberstundenzuschlaege, Aufhebung des
Tarifvertragsrechtes usw.); sie hatten dem Heimwehrkanzler geradezu seinen
strategischen Plan geliefert, als sie auf dem Parteitag vom 14. bis 15.
Oktober verkuenden liess, nur in vier Faellen tatsaechlich zu den
versteckten Waffen greifen zu wollen: bei Aufloesung der Partei, Verbot der
Gewerkschaften, Besetzung des Wiener Rathauses und Oktroyierung einer
Verfassung.

Im Jaenner-Heft 1934 der theoretischen Zeitschrift "Kampf" hatte der
Parteifuehrer Otto Bauer in einem Artikel "Klassenkampf und Staendestaat"
sogar dem Aufbau berufsstaendischer Organisationen noch positive Seiten
abgewonnen. Am 9. Februar hatte Kanzler Dollfuss erklaert, "zu allem"
entschlossen zu sein. Zwei Tage spaeter versprach sein Vizekanzler Major
Emil Fey, ein Vertrauensmann der Heimwehren in der Regierung, morgen "ganze
Arbeit" zu machen. Jetzt riss den Basis-Aktivisten endgueltig der
Geduldsfaden. Der Schutzbundfuehrer Richard Bernaschek aus Linz setzte Otto
Bauer im Wiener "Vorwaerts"-Gebaeude durch Boten von seinem Entschluss in
Kenntnis, sich jedem Eindringen der Polizei ins Volkshaus mit Waffengewalt
zu widersetzen. "Wir erwarten" hiess es in dieser historischen Botschaft,
"dass Du der Wiener Arbeiterschaft und darueber hinaus das Zeichen zum
Losschlagen gibst". Otto Bauer, den die Nachricht erst gegen Mitternacht
erreichte, bat telegraphisch dringend um Aufschub: "Ernst und Otto schwer
erkrankt, Unternehmung aufschieben". Die Polizei fing diese Order ab.
Daraufhin begannen um 7:30 Uhr in Linz die Kaempfe. Um 11:46 drehten
couragierte Bedienstete des Elektrizitaetswerkes auf eigene Initiative in
Wien den Strom ab. Um 13:00 Uhr kam es in Wien zu den ersten bewaffneten
Zusammenstoessen. Zentren waren die Arbeiterbezirke Favoriten, Floridsdorf,
Ottakring, die Bundesbahnwerkstaette in Simmering sowie die Gemeindebauten
in Hietzing und Meidling. Auch in den steirischen Industrieorten begannen
die Auseinandersetzungen. Erst um 16:00 Uhr gab die Wiener Kampfleitung des
Schutzbundes Schiessbefehl um sich danach aufgrund einer Falschmeldung ueber
eine bevorstehende Polizeirazzia aufzuloesen.

Eindringliche Appelle zum Generalstreik verhallten ungehoert. Damit standen
die Aufstaendischen von allem Anfang auf verlorenem Posten. Zu allem
Unglueck hielten sie sich an die von der Sozialdemokratie fuer ihre
Parteigarde entwickelte Taktik: Wie die Bauern vor 400 Jahren in ihrem Dorf
verharrt waren und es damit den Feudalherren ermoeglicht hatten, ein Dorf
nach dem anderen mit vereinten Kraeften zu besiegen, so klebten die
Schutzbuendler an ihrem Gemeindebau - bis das Militaer unbehelligt die
schwere Artillerie in Stellung gebracht hatte. Das Konzept eines
partisanenaehnlichen Volkskrieges, das der sozialdemokratische General (und
spaetere oesterreichische Bundespraesident) Theodor Koerner in Opposition zu
den Militaerspielereien von Julius Deutsch entwickelt hatte, hatte sich
unter den Kaempfenden nicht herumgesprochen.

Aus dem fernen Prinkipo in der Tuerkei hatte Leo Trotzkij gefordert,
Oesterreich in ein Piemont des europaeischen Proletariats gegen den
aufsteigenden Faschismus zu verwandeln. Davon waren die Aufstaendischen weit
entfernt. Aber die mit dem Mut der Verzweiflung kaempfenden Schutzbuendler
ersparten Bauer, Deutsch & Co. den bodenlosen Fall nach dem unruehmlichen
Vorbild von SPD und KPD. Und sie setzten ein international sichtbares Signal
zum Widerstand gegen den Faschismus.

Als Konsequenz der Niederlage verwandelte sich die KPOe, die vor dem Februar
nur ueber einige Tausend Mitglieder verfuegt hatte, im Untergrund in eine
Massenpartei. Aus einigen Truemmern der sozialdemokratischen Partei
entstanden die Revolutionaeren Sozialisten, eine Organisation, die sich in
Anlehnung an die deutsche "Neu Beginnen"-Gruppe als bewusster Neuanfang
verstand. Andere Teile der alten Sozialdemokratie zogen sich ins Privatleben
zurueck. Nicht wenige traten auch zu der im Volksmund "braune Bolschewiken"
genannten NSDAP ueber. Denn die Nazis waren von den Klerikal-Faschisten
bereits unmittelbar nach ihren ersten spektakulaeren Wahlerfolgen am 19.
Juni 1933 illegalisiert worden, weshalb die Braunen von manchen nicht als
Feinde der Arbeiterschaft wahrgenommen wurden. Waehrend des
Februaraufstandes hatten sich die illegalen Nazis taktisch klug neutral
verhalten. Danach hatten die Pg's die spektakulaere Flucht des
Schutzbundkommandanten Bernaschek aus dem Linzer Landesgericht ins Braune
Haus nach Muenchen organisiert, obwohl er aus seiner nach wie vor
sozialdemokratischen Gesinnung keinen Hehl machte. Die Ermordung des
allseits verhassten Kanzlers Dollfuss durch Angehoerige der 89. SS-Standarte
im Zuge des gescheiterten braunen Putschversuches im Juli 1934 machte die
Nazis dann so populaer, dass in Wien aus ehemaligen Schutzbuendlern die
illegale SA-Brigarde 5 aufgestellt werden konnte ....

102 Angehoerige der Polizei, der Heimwehren und des Bundesheeres fielen in
den Kaempfen, 319 wurden verwundet. Die exakte Zahl der Toten auf Seiten der
Aufstaendischen wurde vom der Regierung nie bekannt gegeben, Schaetzungen
sprachen von 1.500 bis 2.000 Gefallenen, darunter ein hoher Prozentsatz von
Frauen und Kindern, die beim Artilleriebeschuss der Gemeindebauten
umgekommen waren. Standgerichte verhaengten acht Todesurteile, teilweise
gegen Schwerverwundete. Friedhofsruhe herrschte im ganzen Land. Trotzdem
konnten die Klerikal-Faschisten ihres Sieges nicht wirklich froh werden.
Mindesten zwei Drittel der Bevoelkerung (Kommunisten + Sozialdemokraten +
Nazis) hassten das pseudochristliche Regime aus tiefster Seele. Dass die
Frau des Kanzlers, Alwine, dem wachsenden Heer der Arbeitslosen und
Ausgesteuerten ausgekochte Wursthaeute als Nahrung empfahl, stachelte den
Hass noch auf. "Seh' ich wo ein Krukenkreuz, krieg ich gleich zum Spucken
Reiz" lautete eine populaerer Reim. Zur dieser innenpolitischen gesellte
sich die aussenpolitische Schwaeche. Hin und her gerissen zwischen
Hitler-Deutschland, Mussolini-Italien und Goemboes-Ungarn beschritt
Dollfuss' Nachfolger Ritter von Schuschnigg mit den sogenannten
Berchtesgadener Abkommen vom 11.Juli 1936 und 12.Februar 1938 den Weg jenes
"Ausgleiches" mit Hitlers Gefolgsleuten in- und ausserhalb Oesterreichs, der
mit dem Einmarsch der Hitler-Wehrmacht am 12.Maerz 1938 endete.

"Im Krachen der Dollfuss-Kanonen / ging in Truemmer die Demokratie / sind
zerbrochen die Illusionen / einer Klassenharmonie." sangen die
Revolutionaeren Sozialisten. Mit solchen Lehren wollten die auf politischen
Konsens bedachten antifaschistischen Parteien KPOe, OeVP und SPOe nach 1945
nichts zu tun haben. Darueber hinaus hatten die beiden Linksparteien noch
ganz spezielle Gruende, die Geschehnisse des Februar 1934 mit der
oesterreichischen National"tugend" des Verdraengens zu bewaeltigen.

Die rechten Sozialdemokraten um Adolf Schaerf hatte sich hatten sich ja
gerade durch unauffaelliges Ueberleben der Jahre 1934 bis 1945 fuer den
Vorstand der neu entstandenen SPOe qualifiziert. Nichts konnte ihnen
unangenehmer sein, als Fragen nach ihrem persoenlichen Verhalten waehrend
der Februartage und danach. Entsprechend fiel auch ihre Reaktion aus, als
der Obmann der Revolutionaeren Sozialisten Joseph Buttinger in einem 1953 in
Koeln (!) erschienen Buch mit dem Titel "Am Beispiel Oesterreichs" seine
subjektive Bilanz des Untergrundkampfes zog. Der SPOe-Vorstand kaufte fast
die gesamte Auflage des Buches einfach auf und verbot gleichzeitig den
Funktionaer(inn)en, auf das Buch zu replizieren. Ausschliesslich fuer den
internen Gebrauch betraute das Leitungsgremium den absolut zuverlaessigen
Apparatschik Walter Wisshaupt mit dem Aufbau einer Dokumentsammlung ueber
den Widerstand der Sozialisten gegen den Klerikal-Faschismus; erst 1967
durfte er aus diesem Material eine geschoente Darstellung des
Untergrundkampfes 1934-1938 "Wir kommen wieder!" im Parteiverlag
publizieren.

Fuer die aus dem Moskauer Exil zurueckgekehrte KPOe-Fuehrung war das Problem
natuerlich die stalinistische Verfolgung der etwa 750 Schutzbuendler, die in
der UdSSR Zuflucht gesucht hatten: Etwa 200 bis 220 hatten von 1934 bis 1941
das klerikal-faschistische Oesterreich bzw. die nationalsozialistische
Ostmark dem Vaterland aller Werktaetigen vorgezogen; von den in der UdSSR
Gebliebenen waren 190 vom NKWD verhaftet worden (davon waren etwa 30
erschossen, 46 als "deutsche Staatsbuerger" waehrend des
Hitler-Stalin-Paktes an die GESTAPO ausgeliefert worden).

Die Nachfolgeorganisation der Christlichsozialen, die OeVP und die mit dem
klerikal-faschistischen Regime verbuendete katholische Kirche hatten
hingegen mit der Bewaeltigung des Februar 1934 vergleichsweise geringe
Probleme: Sobald naemlich KPOe und SPOe im April 1945 mit ehemaligen
Heimwehr-Funktionaer(inn)en eine "antifaschistische" Regierung gebildet
hatten, war es ein Leichtes, die Aktivitaeten Dollfuss' und Schuschniggs als
"Widerstandskampf gegen Hitler" umzuinterpretieren. Damit konnte das
Dollfuss-Bild im OeVP-Parlamentsklub haengen bleiben. Und die Kirchgaenger
mussten an den in der Wiener Votivkirche aufgehaengten Gedenktafeln fuer die
in den Februarkaempfen gefallenen Heimwehr-Faschisten weiterhin keinen
Anstoss nehmen. Ganz im Gegenteil. Die Nachkommen des Blutkanzlers, die
Familie Nikoladoni-Dollfuss, schmuecken alljaehrlich die Mahnmale der "Fuer
Heimat und Volk Gefallenen" mit Kraenzen samt Schleifen "In treuem
Gedenken".
*Fritz Keller*

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> Termine 12.Februar

Parlament, Stiegen davor, ab 9 Uhr Aktion/Hubsi Krammar und SP-Jugend:
Dollfuss-Plakate mit der Forderung an die OeVP, endlich das Dollfuss-Bild
aus ihren Clubraeumen zu entfernen.

Galerie vor Ort, GA BG 2, 19h, Lesung: So starb eine Partei - Romanfragment
von Jura Soyfer. Anschl. Gespraech mit Schani Margulies, Ruediger Maresch
und Moritz Neumann: Vorwaerts Genossen - zurueckl! 70 Jahre nach dem
Buergerkrieg in Oesterreich. 1020 Wohlmutstr.14, U1 Vorgartenstrasse


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