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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. Jaenner 2004; 16:03
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Weltsozialforum:

> Mumbai Resistance fordert WSF heraus

20.1.2004 - Einen Tag nach der Eroeffung des Weltsozialforums oeffnete
Mumbai Resistance (MR) seine Pforten. Hinsichtlich der Teilnehmerzahl stellt
es wohl kaum eine enstzunehmende Konkurrenz dar. Rund 1.000 nehmen sich
gegenueber der Jahrmarktstimmung auf der anderen Seite des Western Express
Highway mit unueberschaubaren 100.000 Besuchern mehr als bescheiden aus.

Vielfach werden die Organisatoren, hinter denen im wesentlichen die
naxalitischen(1) Agrarevolutionaere aus jenen Teilstaaten stehen, in denen
seit vielen Jahren ein blutiger Buergerkrieg zwischen Grossgrundbesitzern
und Landlosen tobt, des Sektierertums geziehen. Allerdings zielt MR2004
explizit nicht nur auf den Dialog mit dem WSF ab, sondern hat sich auch
vorgenommen, gemeinsame Aktionen vorzuschlagen. So wurde die entscheidende
Plenarsitzung zum Irak angesetzt, die Arundhati Roy einleiten wird. Im
Vorfeld wurde zwischen den Delegierten von einem weltweiten Aktionstag in
Unterstuetzung des irakischen Widerstands gesprochen. Auch eine
Solidaritaetsdelegation wird ins Auge gefasst.

Die Irak-Frage trifft in Indien und am ganzen indischen Subkontinent den
politischen Nerv. Es ist kein Zufall, dass insbesondere die mehr als eine
halbe Milliarde Muslime der Region sich gegen die Besatzung erhitzen und
fast durchgaengig den Widerstand unterstuetzen. In Indien selbst
transportieren sie damit auch ihre Kritik an der Hindu-chauvinistischen
Regierung, die sich im Gefolge des 11. September zu einer richtiggehenden
Islamophobie verstiegen hat und ein provokantes Naheverhaeltnis zu Israel
eingegangen ist.

So nimmt es nicht wunder, dass am Eingang des MR2004 gleich ein grosses
Transparent der "Muslimischen Jugend Indiens" ins Auge sticht, die sich als
eine der Massenorganisationen hinter dem antiimperialistischen Treffen
herausstellt. Feroze Mithiborwala, Vertreter seiner Bewegung im
Organisationskomitee, kommentiert: "Anfangs beteiligten wir uns and den
Vorbereitungen des WSF. Doch nach und nach stiessen wir uns immer mehr an
der Kultur der Zivilgesellschaft und der NGO, denen es letztlich nur um
Deeskalation geht. Wir hingegen wollen Aktionen setzen." Feroze gilt als das
Bindeglied zwischen der revolutionaeren Linken und den islamischen
Bewegungen. Unter den Delegierten befinden sich indes auch solche der
"Jamaat-e-Islami Hind", der mit Abstand mitgliederstaerksten Moslem-Bewegung
Indiens. Auf die Frage ob er sich auch als Linker versteht, antwortet Mohd
Anees ausweichend: "Die Zusammenarbeit der Muslime mit der Linken ist in
Indien sehr jung. Sie entstand erst nach dem 11. September und besonders dem
Massaker von Gujarat. Aber ein Buendnis draengt sich auf, denn wir verfolgen
beide die gleichen unmittelbaren Ziele, den Weltkrieg der USA zu stoppen."
Seine Organisation unterstuetzt offiziell beide Veranstaltungen, das WSF und
MR2004. Doch Aness fuehrt das auf Fehlinformation der nationalen Fuehrung in
Dehli zurueck. Auf die offizielle Linke, die das WSF stuetzt, ist der nicht
gut zu sprechen. "Ihre Fuehrer verfolgen brahmanische Politik, oft sind sie
auch solche." Der zirkulierenden Idee ein allindisches Komitee "Freier Irak"
zu gruenden, sieht er mit Enthusiasmus entgegen. Die vorsichtige Frage, wie
er sich angesicht der Hindu-Mehrheit in Indien einen demokratischen Staat
vorstellen koennte, beantwortet Anees ohne zoegern. "Nur als saekularen
Staat - und das ist die Meinung des weitaus groessten Teils der Muslime."
Und er setzt hinzu, dass die Gruendung Pakistans als islamischer Staat ein
bedauerlicher Fehler gewesen sei, der nur im Interesse der britischen
Kolonialisten gelegen war.

Am Nachmittag beschaeftigten sich die Foren unter anderem mit der
ungeloesten Agarfrage in Indien, den Auswirkungen der Globalisierung auf die
Situation der Frauen und der Nationalitaetenfrage. Besonderes viele
Interessenten zieht das Forum zum "Krieg gegen den Terrorismus" an, die von
der bekannten Anwaeltin Nandita Haksar geleitet wird. Sie hat ihren
prominenten Klienten S. H. Geelani, Sohn eines Fuehrers der kaschmirischen
Unabhaengigkeitsbewegung, mitgebracht. Fuer ihn handelt es sich um den
ersten oeffentlichen Auftritt nach einem zweijaehrigen Gefaengnisaufenthalt.
Er war im Rahmen der drakonischen Antiterrorgesetzgebung ohne stichhaltige
Beweise verurteilt wurden. Erst vor dem obersten Gericht bekam er Recht. Im
Detail erzaehlt er von den erlebten Ungerechtigkeiten, bestaerkt den
politischen Kampf fuer demokratische Rechte fortzusetzen. Zwar sprach
Geelani heute auch in einem Forum am WSF, aber seine Orientierung ist
eindeutig: "Es muss eine politische Bewegung aufgebaut werden, die POTA [das
Antiterrorgesetz] zu Fall bringt. Das ist hier eher moeglich."

Auch Walter Wendelin von der baskischen Askapena wechselt mehrmals taeglich
die Strassenseite. Der Fall der Basken ist hier reichlich unbekannt, auf
beiden Seiten. "Darum lassen uns die Franzosen, die am WSF alles
kontrollieren, gewaehren. Insgesamt ist das WSF weiter links als in Porto
Alegre. Doch die Idee des Tribunals gegen die Schwarze Liste, die von MR2004
heute beschlossen wurde, ist auf der anderen Seite noch immer undenkbar."
Beeindruckend, dass nach viereinhalbstuedniger Diskussion in Englisch, Hindu
und zahlreichen anderen indischen Sprachen noch immer mehrere Hundert
Zuhoerer anwesen sind. (Franz Dinhobel, junge welt)

Quelle http://www.jungewelt.de/2004/01-20/006.php


Fussnote:
(1) (Anm. akin) "Naxaliten" ist eine ungenaue Bezeichnung fuer zahlreiche
Gruppen, die sich aus extrem armen landlosen Arbeitern rekrutieren, lokal
vor allem gegen die Landbesitzer vorgehen und auf Landesebene fuer eine
voellige Umgestaltung der indischen Gesellschaft in Richtung einer
klassenlosen Gesellschaft kaempfen. Es gibt sehr viele unterschiedliche
Gruppen: die Hauptgruppen, die in gewaltsame Kaempfe verwickelt sind, sind
der "Volkskrieg" und das "Maoistische Kommunistische Zentrum". Das
wichtigste Operationsgebiet ist in Zentralindien, das am wenigsten
entwickelte Gebiet des Landes. Sie operieren oft aus dem Dschungel heraus.
Zu ihnen gehoeren Adivasis, Dalits und die Aermsten der Armen, die fuer
Hungerloehne arbeiten, unter den indischen Minimalloehnen.



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