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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Januar 2004; 23:09
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Kapitalismus/Sprache:

> Creating Excellence in Blablabla

CONSTANTIN SEIBT, der Reporter der WoZ (aus der wir seinen Artikel gefladert
haben) hat letztes Jahr beim Weltwirtschaftsforum nichts erfahren. War er
bloed - oder ist es die Unternehmerelite? Demnaechst wird es wieder ein
Treffen in Davos geben. Zeit innezuhalten fuer ein paar Ueberlegungen ueber
das grosse Spektakel.


Ist Nichts ein Resultat? Oder ist es nur der Beweis, dass man blind ist? Wo
verdammt noch mal lag der Fehler? Selten war ich so verzweifelt wie im
vergangenen Januar. Ich war vier Tage auf Reportage beim World Economic
Forum (Wef). Jahre hatte ich es von aussen beschrieben, dann bekam ich
endlich die Akkreditierung: zu 2000 der maechtigsten Menschen der Welt. Ich
arbeitete wie wild. Ich lauschte an Apéros, ueberfiel Leute an der Bar,
setzte mich in Konferenzen. Das Ergebnis war ein Desaster: Ich hoerte vier
Tage nichts als Smalltalk und hundertfach Leerformeln wie «We have to build
up democracy for a stable economy», «creating excellence in leadership» oder
«Europe needs reforms».

Ausser diesen Mantras - immerhin geaeussert von grossen Namen - stand nichts
in meinen Notizbloecken. Was mich irritierte, war die Bruchlosigkeit des
Schwurbels: Perfektion ist fast immer ein Indiz fuer eine
Wahrnehmungsstoerung. Wie konnte es moeglich sein, dass hartgesottene
Wirtschaftsfuehrer, Politiker und Experten einige zehntausend Dollar dafuer
zahlten, sich mit Wir-verbessern-die-Welt-Talk einzuseifen? Immerhin lag im
Fruehling 2003 gerade ein Boersen- und damit ein Ideologiecrash hinter der
Businesscommunity: Das erste Lieblingskonzept des Wef, New Economy, war
implodiert, das zweite, Shareholdervalue, hatte sich als Instrument der
Aktionaersschroepfung durch das Management entpuppt. Es gab Stoff,
nachzudenken. Die Dividende auf Geldverluste heisst Erkenntnis, dachte ich.

Statt Analysen hoerte man Appelle: zu Ethik und Corporate Governance.
«Business has learned.» Minister, Staatschefs, Bosse multinationaler
Unternehmen redeten miteinander dieselbe Fluessigseife wie ihre
Werbeabteilung. Warum das? War es ein Trick? Kriegte ich nur die
Zwischentoene nicht mit?

Ich weiss, man sollte als Journalist ueber alles schreiben - nur nicht ueber
die eigene Inkompetenz. Was also tun? Bei Zweifeln und Niederlagen stuetzt
man sich auf Freunde, Familie, eine Autoritaet. Ich befragte also einen
Freund, meinen Vater und einen Professor.

Professor Kurt Imhof, Soziologe: Die Frage beim Wef ist tatsaechlich: Haben
wir es mit der Bloedheit einer spezifischen Veranstaltungsform oder mit der
Bloedheit einer Elite zu tun? Nun, es ist die Bloedheit einer spezifischen
Elite, welche die Bloedheit spezifischer Veranstaltungsformen schaetzt.

Markus Diem Meier, freier Wirtschaftsjournalist: Das Interessante bei einer
Veranstaltung wie in Davos ist heute: Es herrscht extreme Unsicherheit, was
gilt, was kommt. Davos ist fuer Topmanager spannend, nicht weil Wahrheiten
verkuendet werden, sondern weil definiert wird, was als wahr zu gelten hat.
An was soll man glauben? An was nicht? Sicher, das meiste sind Leerformeln.
Aber auch diese geben Sicherheit, selbst wenn sie nicht ueberzeugen. Solange
man sie mit den anderen teilt.

Claus Peter Seibt, Unternehmensberater: Das Wichtigste in Davos ist fuers
Erste, dabei zu sein. Dann, sich zu treffen - in einer relativ kampffreien
Zone. Und dann: die Pause, der Abend, die informellen Kontakte. Nur Naive
gehen nach Davos, um das Programm zu sehen.

Imhof: Sein persoenliches Rating evaluieren ist eine nicht zu
unterschaetzende Motivation. In Davos sein heisst: Man hat es wieder fuer
ein Jahr geschafft. Das gilt nicht fuer alle Topshots. Wir haben es mit
einer extrem instabilen Elite zu tun. Sie ist wenig legitimiert,
groesstenteils austauschbar. Davos ist also vor allem dazu da, ein
rudimentaeres persoenliches Netzwerk auszubauen.

Meier: Das ist letztlich das Uninnovative am Topmanagement: Die Wahrnehmung
ist das Entscheidende. Es ist gefaehrlich, Neues zu wagen. Nichts
Auffaelliges zu tun, ist letztlich die bessere Strategie. Man macht zwar
eher Falsches, aber wenn es alle gemacht haben, passiert dir nichts. Wenn du
allein falsch liegst, bist du geliefert.

Imhof: Es herrscht in der Managerkaste ein enormer Anpassungsdruck: eine
Lemmingisierung der Elite, ein Zwang zu den gleichen Sprechblasen. Wie jedes
Biotop struktureller Bloedheit ist auch dieses ideal fuer Hochstapler.

Seibt: Es geht in der Tat um Gruppenmerkmale, um die Frage: Aus welchem
Teich kommst du? Oxbridge? Harvard? Continental Europe? Die
Managementsprache ist am leichtesten zu uebernehmen. Den Code, den Slang,
den haben alle drauf - er laesst sich uebrigens fabelhaft parodieren.
Versuche nur einmal «building excellence in human companionship» ins
Deutsche zu uebersetzen. Trotz allen Leerformeln hat der Slang auch enorme
Vorteile: Man spricht die gleiche Sprache. Das erlaubt unter meist hohem
Zeitdruck, wesentliche Appelle schnell weiterzugeben.

Imhof: Die globale Elite hat sich geistig ernaehrt von Antietatismus und
esoterischer Managementtheorie. Managementliteratur ist weder Management
noch Literatur: Sie beschwoert grundsaetzlich das Starsystem - das Charisma
des Erfolgreichen. Es gibt geradezu programmatisch antikritische
Hagiografien Erfolgreicher. Argumente sind weitgehend durch Glauben ersetzt.

Seibt: Die Managementbuecher und -moden sind in der Tat in ihrem Einfluss
schwer zu unterschaetzen. Saisonweise kommen neue Heilsrezepte mitsamt
Fallstudien, Statistiken, Hohepriestern und den Bekenntnissen Bekehrter.
Dafuer ist Davos eine gute Plattform: als Laufsteg fuer die neuste
Kollektion Leader- und Entrepreneurship.

Imhof: Das praktische Problem bei der ganzen Leadership-Ideologie ist die
Skandalisierungsmoeglichkeit eines Unternehmens durch seinen CEO. In der
Aussenwahrnehmung ist das Unternehmen praktisch mit seinem als Charismatiker
auftretenden Chef identisch - und dadurch angreifbar.

Meier: Starkult war eher ein Phaenomen der neunziger Jahre. Die Chefs haben
nicht nur an ihr Charisma geglaubt, sondern es sich auch mittels
gigantischen Salaers entlohnt. Seit dem Crash betont die Nummer eins eher
bei jeder Gelegenheit Verantwortlichkeit, Langfristigkeit, Seriositaet.

Imhof: Die Managementelite ist schlimmer als unreflektiert. Erfolg ist fuer
sie ausschliesslich etwas Persoenliches und entsteht ausschliesslich durch
eine einzelne Person, die mitten im hellen 20. Jahrhundert ihr Charisma
praktisch als Gnadenakt erhalten hat.

Seibt: Mit dieser These waere ich vorsichtig. «Gott hat den lieb, der
erfolgreich ist» war bereits der grosse Erfolgsschlager der Reformation. Das
ist nichts Neues. Abgesehen davon ist die Repraesentation durch ein
Individuum zwangslaeufig. Was etwa ist an der Credit Suisse schon real, wer
kann so eine Firma schon verstehen? Niemand, ausser ein paar ausgebufften
Finanzprofis - und auch die nur, wenn sie die richtigen Zahlen haben. Und
ausserdem folgen Leute einem Ritter in schimmernder Ruestung wie Lukas
Muehlemann viel lieber als einer traurigen Nuss. Einem Autisten wie etwa
Philippe Bruggisser, dem man dann doch gefolgt ist. Bei aller Liebe zu
Mitarbeitern: Die Chefs und die, die ihnen folgen, stecken unter einer
Decke.

Imhof: Verhaengnisvoll ist, dass die heutigen Eliten fragmentiert sind. Der
traditionelle, hoechst erfolgreiche wirtschaftlich-militaerisch-politische
Filz ist weg. In den neunziger Jahren hat sich der Turbokapitalismus radikal
von der Politik abgekoppelt. Mit der Gleichung Markt = Moral. Moralisch war,
was rentiert, sogar die Erpressung des Staates.

Meier: In der Tat ist in den Neunzigern Wirtschaft zum alles dominierenden
Thema geworden. Was man schon daran sieht, dass, wer in den Achtzigern
Wirtschaft studierte, als Langweiler galt. Genau so wie jemand, der es in
den Neunzigern nicht tat. Postulate wie «Das regelt der Markt ...», «Das
verlangt der Markt ...» verschleiern wahre Vorgaenge: «Den» Markt gibt es
nicht. Es sind immer Menschen mit mehr oder weniger Einfluss, Interessen,
Erwartungen, Konzepten.

Imhof: Das Problem fuer die Unternehmen ist, dass sie durch die Abnabelung
von den Spezialisten fuer gesellschaftliche Moral - den Politikern - in die
Skandalisierungsfalle geraten sind. Jederzeit kann ein eben noch stabiler
CEO ein Unternehmen durch Enthuellungen der Medien in die Skandalisierung
treiben - mit hohen Verlusten an Loyalitaet bei Mitarbeitern und Kunden. Vor
den Neunzigern hatten wir nur politische, danach teure wirtschaftliche
Skandale. Deshalb bemuehen sich die Unternehmen in Davos um so teure und
krude Dinge wie interne Chartas, Corporate-Governance-Regeln und
irgendwelche Global Compacts...

Meier: ...die voellig unwirksam sind, wenn die Anreize falsch gesetzt
werden...

Imhof: ... die aber die Moralisierungsfalle umso effizienter zuschnappen
lassen. Die Fallhoehe des Skandals ist umso groesser, wenn Unternehmen sich
vorher als Gutmenschenklub praesentiert haben.

Seibt: Einzuraeumen ist, dass das Umfeld viel komplexer geworden ist. Zur
hoch gelobten alten Schweizer Old-Boys-Elite ist vor allem eins zu sagen:
ein mehrdimensionaler Nepotismus, eine erstklassige Kungelwirtschaft. Es war
ein Filz mit hoechster staatlicher Hilfe: Preisabsprachen, Importabsprachen,
Exportabsprachen. Und ging etwas schief, lobbyierte kurz der Vorort fuer ein
paar Staatsauftraege. Und dies in einem langsamen, stetigen Wachstum. Fast
ohne Risiko. Die Aufgaben waren damals sehr viel weniger komplex - das zu
sagen, ist fast schon albern.

Imhof: Immerhin hatten die alten politisch-wirtschaftlichen Eliten noch das
Ganze im Sinn. Es ist nicht untypisch, dass - wenn jetzt schon die
abgewirtschafteten neoliberalen Eliten als Retter alte Maenner holen -, dass
sie dann ehemals periphere Eliteangehoerige wie den Antietatisten Christoph
Blocher zum Leben erwecken.

Meier: Erstaunlich ist, dass die Vorstellung vom Staat als Feind seit den
achtziger und neunziger Jahren radikaler und mehrheitsfaehiger geworden ist.
In den neoliberalen Neunzigern war die Idee lange nicht so populaer.
Unlogisch finde ich auch, dass ploetzlich alle Leute glauben, Blocher wolle
nun die Macht der Kartelle oder Landwirtschaft brechen. Was er nie auch nur
versucht hat. Und ein weiterer seltsamer Punkt: Ploetzlich behaupten mehrere
Leute, sie seien in gesellschaftlichen Fragen offen und aufgeklaert, nur bei
den Finanzen konservativ. Als ob das nichts miteinander zu tun haette.
Offenheit hat auch mit Moeglichkeiten zu tun. Und die haengen von Finanzen
ab.

Seibt: Dass nun ploetzlich in der Schweiz zu viel Staat angeblich zu viele
Kosten bei Unternehmen verursacht, ist eine relativ junge Erfindung. Es ist
die Perversion der Liberalitaet. Es ist eine Idiotie, wenn verlangt wird,
der Staat muesse wie ein Unternehmen gefuehrt werden. Zwischen den beiden
besteht ein Artenunterschied. Eine Volkswirschaft ist keine
Betriebswirtschaft - und umgekehrt. Volkswirtschaften muessen keinen Gewinn
machen. Dafuer muessen sie sich um Bildung, Infrastruktur usw. usw.
kuemmern. Ein Unternehmen nicht.

Imhof: Ich glaube, die neoliberale antietatistische Elite hat sich fuer
wirklichen Erfolg zu schnell verbraten. Durch Ablehnung der
Strommarktliberalisierung sowie der Service-public-Debatte duempeln vom
Neoliberalismus nur noch seine Wurmfortsaetze vor sich her. Wirkung erhaelt
die Chose nur noch dadurch, dass es keine Alternative gibt. Jedenfalls keine
klare, umsetzbare, hoffnungstraechtige. Die jungen Eliten der
Antiglobalisierer haben sie nie entwickelt.

Ich: Merci euch dreien fuer etwas Klarheit.

(WoZ, 15.1.2004, leicht gekuerzt)


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