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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 20. Januar 2004; 23:29
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Kuba/Moderne Zeiten:

> Neue Kontrolle ueber Internetzugaenge

Auf Kuba wird der Internetzugang neu organisiert, das Gesetz sieht vor,
private Zugaenge nur noch ueber Prepaid-Cards zu ermoeglichen. Eine Form der
Zensur, von der man allerdings nicht genau weiss, ob sie wirklich im Sinne
der Erfinder liegt.


Die Meldung [1] der BBC liess keine Interpretation [2] zu: "Cuba weiter von
Cyberspace isoliert", berichtete ein Korrespondent des Britischen
Mediennetzwerkes am vergangenen Samstag. An diesem Tag hatte das kubanische
"Ministerium fuer Informatik und Kommunikation" (MIC) eine Neustrukturierung
des Internet im sozialistischen Inselstaat angekuendigt: Die User sollen
kuenftig nicht mehr die staatlichen Telefonleitungen nutzen koennen. Dabei
wurden die Verbindungsgebuehren bislang preisguenstig in kubanischen Pesos
abgerechnet. In Zukunft sollen private Anschluesse jedoch nur noch ueber die
teureren Dollarleitungen laufen. Ein Dollar entspricht derzeit rund 27
kubanischen Pesos. Die spanische Nachrichtenagentur EFE zitierte eine
Erklaerung des MIC, der zufolge mit der Neustrukturierung der
Internetzugaenge auf Kuba "der Missbrauch von Zugangscodes" verhindert
werden soll. Das neue Gesetz wird am 24. Januar in Kraft treten.

Tatsaechlich hatte sich auf Kuba in den vergangenen Jahren ein wahrer Schwar
zmarkt mit dem Internet entwickelt. Mitarbeiter staatlicher Institutionen
verkauften ihre persoenlichen Zugangscodes zunehmend an zahlungskraeftige
Kunden, meist auslaendische Studenten oder Geschaeftsleute. Die Gebuehr
dieser Zugaenge bewegte sich mit monatlich rund 50 US-Dollar deutlich unter
dem Angebot der staatlichen Telefongesellschaft ETECSA.

Nun soll mit dem ausufernden Geschaeft Schluss sein: Internetzugaenge soll
es nur noch an den Arbeitsplaetzen geben. Durch die ausschliessliche Nutzung
reservierter Datenleitungen werden sich aber auch die privaten Benutzer
besser zurueckverfolgen und Missbrauch im Sinne der Regierung umgehender
feststellen lassen. Die alleinige Deutung der Massnahme als "verschaerfte
Kontrolle der Internetzugaenge" (Spiegel Online [3]) ist jedoch wohl zu kurz
gegriffen. Die kubanische Regierung versucht mit dem Schritt zumindest auch
dem kreativen Vermarktungssinn der Kubanerinnen und Kubaner entgegenzuwirken
und den Verkauf von staatlichen Anschluessen zu verhindern, die sie fuer
bestimmte Gruppen zur Verfuegung gestellt hat. Das Paradox ist, dass Havanna
damit Opfer der eigenen Politik wird.

Computer und Internet fuer Bildungsprogramme

Zum ersten Mal wurde die neue Informationstechnologie auf dem V. Kongress
der Kommunistischen Partei Kubas 1997 thematisiert. Das Land, so hiess es in
der Resolution des Parteitages, solle "durch ein integrales Programm, in dem
technologische, finanzielle und intellektuelle Ressourcen Beruecksichtigung
finden, auf dem Weg der Modernisierung durch Informationstechnologien weiter
fortschreiten". Zehn Jahre zuvor hatte Staatschef Fidel Castro mit der
Gruendung der "Jugend-Computerclubs" den Weg zur landesweiten Erschliessung
mit der neuen Informationstechnologie gegeben. Binnen weniger Monate wurden
156 dieser Zentren in fast ebenso vielen Gemeinden eroeffnet. Bis heute sind
in den "Jóven Clubs" fast 500.000 Jugendliche im Umgang mit Computer und
Internet geschult worden. Insofern war die kubanische Bevoelkerung gut
vorbereitet, als das Land 1995 ans Internet angeschlossen wurde (Surfing
Cuba [4]).

Um die Planung des Internet auf Kuba zu erleichtern, rief der Ministerrat
Kubas Mitte Januar 2000 das Informatikministerium ins Leben. Das MIC fasst
seither vier Planungs- und Kontrollbehoerden zusammen. Im Ausbau des
Internet wurden damals acht Arbeitsschwerpunkte festgelegt, die bis heute
Gueltigkeit haben: "Bevoelkerung allgemein, Gemeinden, Regierung, Industrie,
Digitalisierung von Datenbestaenden, Infrastruktur, Jugend-Computerclubs und
Bildung". Ein Schwerpunkt im Ausbau der modernen Kommunikationsmedien lag
auf Kuba von Beginn in der Vernetzung mit Bildungsprogrammen. So werden bis
heute vorzugsweise Schulen und Universitaeten mit Computern ausgestattet.

Schlittern zwischen scharfer Kontrolle und Zugang zum Netz

An den Zugaengen in Schulen, Universitaeten, Journalisten- und
wissenschaftlichen Bueros wird sich durch das neue Gesetz kaum etwas
aendern. Beibehalten werden nach Angaben eines Mitarbeiters des
Informatikministeriums auch die Zugaenge fuer wissenschaftliches Personal.
Aerzte, Journalisten und forschendes Personal wissenschaftlicher
Institutionen gehoerten bislang zu den privilegierten Gruppen, die einen
Internetzugang von zu Hause aus nutzen konnten. Fortan werden sie nur noch
vom Arbeitsplatz aus surfen koennen. Nach Angaben der BBC ging die Regierung
in Havanna zuletzt (bei 60.000 gemeldeten Usern) von 40.000 illegalen
Zugriffen aus. Der Verkauf von ausgegebenen Zugangscodes ist damit nicht
mehr moeglich, weil diese Daten zentraler verwaltet werden. Wer trotzdem von
zu Hause aus surfen kann, wird Prepaid-Cards erwerben koennen. Sie waren
bislang ausschliesslich fuer Auslaender kaeuflich. Zugleich kuendigte das
MIC an, den kostenfreien Zugang zu Email-Konten auszubauen. Entsprechende
Stationen werden seit gut zwei Jahren in den oeffentlichen Postbueros des
Landes eingerichtet.

Online koennen US-Zeitungen in den Universitaeten durchaus gelesen werden,
gesperrt sind hingegen die Seiten derjenigen Organisationen, die von Havanna
wie die Kubanisch-amerikanisch Nationalstiftung [5] als "terroristisch"
eingestuft werden. Allerdings ist es bis heute fuer Kubanerinnen und Kubaner
nicht moeglich, selbst Computer zu kaufen. Der Grund der Verkaufssperre fuer
internetfaehige Hardware ist auch, dass regierungsfeindliche Gruppen keine
eigenen Informationsnetzwerke aufbauen koennen, was unmittelbar auch mit dem
politischen Konflikt mit den USA zu tun hat.

Amnesty International hat das neue Internetgesetz scharf kritisiert [6]:
"Die neuen Massnahmen, die eine nicht-offizielle Internetnutzung begrenzen
und behindern, stellen einen weiteren Versuch dar, den Zugang der Kubaner zu
anderen Meinungen und die Diskussion ueber diese zu blockieren. Dieser
Schritt, der nach der letztjaehrigen Verfolgung von 75 Aktivisten, die ihre
Meinung freidlich aeusserten, gibt den Behoerden eine weitere Moeglichkeit,
Dissidenten zu unterdruecken und Kritiker zu bestrafen."

Die Regierung in Havanna hatte die Festnahme von ueber 70 Regierungsgegnern
im vergangenen Maerz damit begruendet, dass sie "konterrevolutionaere
Propaganda" verbreitet haetten. Zwar war es fuer die Gegner der Regierung
Castro nicht moeglich, sich ueber das kubanische Telefonnetz ins Internet
einzuwaehlen, allerdings erhielten die Mitarbeiter regierungskritischer
Onlinemedien wie Cubanet [7] ueber die Vertretung [8] der USA in Havanna die
Moeglichkeit, ihre Berichte zu versenden. Die Festnahmen und anschliessenden
teils langjaehrigen Haftstrafen loesten massive Proteste [9] gegen die
Regierung in Havanna aus.

Die kubanischen Behoerden berufen sich auf das 1999 verabschiedete Gesetz
Nummer 88. Es war Teil eines Gesetzespaketes, mit dem regierungsfeindliche
Kraefte bekaempft und die kubanische Wirtschaft geschuetzt werden soll. Das
Gesetz 88 ueber den "Schutz der nationalen Unabhaengigkeit und Wirtschaft
von Kuba" sah Haftstrafen von bis zu 20 Jahren fuer eine Reihe von Delikten
vor, darunter die Weitergabe von Informationen an die US-Regierung, Besitz,
Weitergabe oder Vervielfaeltigung von durch die US-Regierung oder andere
auslaendische Stellen produzierten Schriften sowie Formen der Kollaboration
aller Art mit auslaendischen Radiostationen, Fernsehsendern, der Presse oder
sonstigen Medien im Ausland, "die dem Zweck dienen, Kuba zu destabilisieren
und den sozialistischen Staat zu zerstoeren". Das Gesetz wurde mit einer
Verschaerfung der antikubanischen Politik Washingtons begruendet. Zuletzt
forderte [10] US-Praesident George W. Bush am Montag einen "schnellen
friedlichen Uebergang zur Demokratie auf Kuba", da Diktaturen keinen Platz
in Suedamerika haetten (In der Hand Miamis [11]). Diese indirekte Drohung
duerfte in Kuba nicht zu einer Liberalisierung der Informationspolitik
beitragen.
(Harald Neuber, 14.01.2004, Telepolis)


Quelle: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/16519/1.html

Links
[1] http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/3386413.stm
[2] http://www.heise.de/newsticker/data/tol-11.01.04-002/
[3] http://www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,281419,00.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/4255/1.html
[5] http://www.canf.org
[6] http://web.amnesty.org/library/Index/ENGAMR250032004
[7] http://www.cubanet.org
[8] http://usembassy.state.gov/posts/cu1/wwwhmain.html
[9] http://www.reporter-ohne-grenzen.de/aktu/pm_anzeige.php?id=276
[10] http://www.whitehouse.gov/news/releases/2004/01/20040112-9.html
[11] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/15844/1.html


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