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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Dezember 2003; 19:15
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EU/Recht/Kommentar:
> Sie nannten es "Verfassung"
Jetzt ist er also gescheitert, dieser Beschluss jener Spielregeln, die die
EU hochtrabend "Verfassung" nennt. Und das grosse Gezeter geht an, bis hin
zum grossen Menetekel, dass damit sogar das ganze EU-Projekt scheitern
koennte. Aber es bleibt Theaterdonner, gedacht, um diese "Verfassung" nach
ein paar kosmetischen Korrekturen trotzdem bald beschliessen zu koennen --
ernsthafte Sorgen braucht man sich da nicht zu machen.
Dennoch, von einem Menetekel kann man auf alle Faelle bei diesem Rechtswerk
sprechen, denn diese "Verfassung" ist unbedingt als "zu leicht" zu befinden
und deswegen unter Anfuehrungszeichen zu setzen.
Denn das ganze Gerede "Europa braucht eine Verfassung" fand vor allem
dadurch Nahrung, dass der Beschluss einer Verfassung im traditionellen Sinne
die Entwicklung hin zu einem demokratischen Rechtsstaat bedeutet -- eine
langjaehrige Forderung kritischer EU-Fans. Eine Verfassung, eine
Konstitution, darunter verstand man frueher etwas, das unsere Ahnen unter
absoluten Feudalherrschern einforderten. Das war vor allem die Forderung
nach demokratisch gewaehlten Legislativen bis hin zur res publica, der
Politik als Angelegenheit des Volkes.
Davon spricht diese "Verfassung" ueberhaupt nicht. Im Gegenteil, dem
Parlament sollten sogar weitere Rechte aberkannt werden. Eine Partizipation
des Volkes im Sinne von Plebisziten sieht das Werk gar nicht vor. Somit ist
nach Ansicht der hohen Herren Regierungschefs -- die nie jemand in
dieses legislative Amt gewaehlt hat -- auch weder ein Beschluss des Parlaments
noch eine Volksabstimmung noetig, um diese "Verfassung" in Kraft zu setzen.
Staatenlose Verfassung
Und noch etwas fehlt dieser "Verfassung": Der Staat, in dem sie gelten soll.
Sicher, die EU wird nach Inkrafttreten des Rechtswerkes noch einige Merkmale
eines souveraenen Staates mehr haben: Zu Regierung (Kommission), Gerichtshof
und Parlament treten hinzu eine eigene Rechtspersoenlichkeit, die
Unionsbuergerschaft, die Suprematie der EU als Quelle direkt vollziehbaren
Rechts gegenueber den Rechtsbestaenden der Teilstaaten sowie die gemeinsame
Aussen- und Militaerpolitik (GASP) inclusive eines gemeinsamen
Aussenministers.
Diese Merkmale sind aber allesamt neue Rechte der EU. Bei den
voelkerrechtlich definierten Pflichten eines demokratischen Rechtsstaats
setzt man aber lieber aus: Denn es ist nicht im Sinne der einzelnen
Regierungschefs, ihren Untertanen auch die entsprechenden Rechte der
Partizipation in der europaeischen Rechtssetzung zu gewaehrleisten.
Ein Vergleich: Es waere absurd, sich vorzustellen, dass die neun
oesterreichischen Landeshauptleute in Wien zusammenkaemen, um
oesterreichisches Bundesrecht zu beschliessen. Noch absurder waere die
Vorstellung, dass die 50 US-amerikanischen Gouverneure sich in Washington
traefen, um dort das Federal Law zu bestimmen. In der EU geht das -- mit
einem Trick: In dieser Frage ist die EU naemlich ploetzlich wieder ein
Staatenbund. Dann wird EU-Politik wieder zur Aussenpolitik, die Teilstaaten
zu souveraenen Voelkerrechtssubjekten und die Beschluesse des Rates und der
Ministerraete zu Staatsvertraegen. Der Abschluss von Staatsvertraegen ist
aber im ueblichen Verstaendnis von Voelkerrecht eine Angelegenheit der
Regierung. Voilá! -- schon stimmt wieder alles mit der Satzung der UNO und
den allgemein anerkannten Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats
ueberein.
Und diese Rechtsverdreherei nennen sie "Verfassung". Da muss man ja zum
Anarchisten werden...
*Bernhard Redl*
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