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  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. Dezember 2003; 19:23
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  EU/Oesterreich/ORF/Initiativen:
  
  > Neutralitaet im O-Ton
  
  Mit der immerwaehrenden Neutralitaet Oesterreichs, die ihren Ursprung in den
  50er Jahren hat, verhaelt es sich, so kann man zumindest den Eindruck
  gewinnen, wenn man die oesterreichischen Eliten, die in der sich rasant
  formierenden europaeischen Militaerstruktur eingebunden sein wollen,
  zuhoert, fast genauso wie mit einem Roehrenradio aus dieser Zeit. Die
  Neutralitaet war ein taugliches Instrument, so kann man vernehmen, waehrend
  so ein Klotz von Radio mit Holzfurnier ein solides Geraet war, moechte man
  hinzufuegen. Gut und verdienstvoll, das bestreitet niemand. Deshalb ist ja
  die starke emotionelle Bindung zu diesen liebgewonnenen althergebrachten
  Dingen auch verstaendlich, sie ist halt nur nicht vernuenftig, so die
  NeutralitaetsgegnerInnen, ausserhalb von Museumsmauern. Denn alt, zu alt, um
  den Anforderungen und Beduerfnissen der Gegenwart gerecht zu werden, gehoert
  die Neutralitaet eben wie eine Radioantiquitaet in eine Vitrine oder als
  Restneutralitaet eingebunden in den militaerindustriellen Komplex wie ein
  alter Plattenspieler fuer Vinyl-LPs, der an einer Stereoanlage haengt, weil 
  auf
  ihr die metallenen Scheiben der Militarisierung nicht abgespielt werden koennen.
  
  Der Herrschaftsdiskurs ueber die Neutralitaet, in dem die Neutralitaet immer
  als ehrwuerdiges aber in die Jahre gekommenes Konzept dargestellt wird, das
  nur noch von musealer Bedeutung ist, zwingt einem solche Assoziationen auf,
  mehr noch, will, dass ein solches Bild von der Neutralitaet entsteht,
  Gemeingut wird.
  
  Juengstes Beispiel hierfuer ist die Einladungspolitik des ORF. Fuer Sonntag,
  den 14. Dezember, war fuer die Diskussionssendung "Offen gesagt"
  urspruenglich das Thema "Das Ende der Neutralitaet!" geplant, ehe angesichts
  des Scheiterns des Bruesseler EU-Gipfels entlang dem Knackpunkt des
  Verfassungsentwurfs, der kuenftigen Stimmgewichtung im Europaeischen Rat,
  umdisponiert und ueber "Europa in der Sackgasse" debattiert wurde. Der
  erwaehnten abgesagten Runde ging jedoch eine Absage voraus, der wohl die
  Intention zugrunde lag, das beschriebene von massgeblichen Kreisen forcierte
  Erscheinungsbild der Neutralitaet durch Personen verkoerpern zu lassen. So
  war anfangs die Einladung eines Vertreters bzw. einer Vertreterin des
  Friedensvolksbegehrens vorgesehen, die aber, gemaess einer Aussendung von
  Boris Lechthaler, dem Bundeskoordinator des Volksbegehrens, kurzfristig
  zugunsten Botschafter a.D. Ludwig Steiner zurueckgenommen wurde. Diesen
  Schritt begruendete der ORF damit, dass es erwuenscht sei, die "Neutralitaet
  im O-Ton" praesent zu haben, denn der ehemalige Botschafter,
  Staatssekretaers im Aussenministerium, Abgeordnete zum Nationalrat und
  aussenpolitische Sprecher der OeVP Steiner, ist nun mal der letzte lebende
  Zeuge der Staatsvertragsverhandlungen. Diese fadenscheinige Begruendung
  wurde von Lechthaler wie folgt kommentiert: "Botschafter Steiner ist im
  Lebensalter von mehr als 90 Jahren mit Sicherheit eine ehrwuerdige
  Persoenlichkeit, trotzdem wird mit einem Blick das schmutzige, manipulative
  Bild, das hier gezeichnet werden soll, offensichtlich: Auf der einen Seite
  die Neutralitaet, die zwar gut aber in der Zwischenzeit alt geworden ist,
  auf der anderen Seite das Neue, Moderne, was auch immer."
  
  Einmal ganz abgesehen von der beabsichtigten Optik, ist der vom ORF
  geaeusserte Wunsch, nach Praesenz der Neutralitaet im O-Ton durch die
  Anwesenheit des Altpolitikers und Diplomaten Ludwig Steiner, nicht
  einloesbar, weil inhaltlich falsch. Das Voelkerrechtsinstitut der
  Neutralitaet ist naemlich nichts, das irgendwann fuer alle Zeit fixiert
  wurde, worauf z.B. der Voelkerrechtler Franz Leidenmuehler Anfang Dezember
  bei einem Symposium ueber die Europaeische Verfassung und Neutralitaet im
  Parlament hinwies, sondern etwas, das sich durch die Praxis der anerkannten
  neutralen Laender, man denke nur an die Haltungsaenderungen im oekonomischen
  Bereich, an die Positionsverschiebungen aufgrund der aktiven
  Neutralitaetspolitik der 70er Jahre, weiterentwickelt hat. Eine Entwicklung
  allerdings, die selbstredend Grenzen, etwa den Beitritt zu einem
  Verteidigungsbuendnis, kennt. In anderen Worten: Naehme der ORF den Anspruch
  ernst, die Neutralitaet im Originalton und nicht nur aus der Konserve
  vertreten haben zu wollen, dann kaeme er nicht umhin, auch jene sozialen
  Gruppierungen in die oeffentliche Diskussion einzubinden, die eine moderne,
  auf den fortschrittlichen Grundlagen der Zweiten Republik aufbauende und
  weiterentwickelte Neutralitaetskonzeption vertreten.
  
  Lechthaler interpretiert daher stellvertretend fuer das gesamte Aktiv des
  Friedensvolksbegehrens die nicht zustande gekommene Einladung demnach nicht
  als taktischen Fehler im Rahmen der eigenen Oeffentlichkeitsarbeit, sondern
  er fuehrt sie auf die strategische Richtigkeit des Volksbegehrens, dessen
  Inhalt in einem direkten Widerspruch zu dem Neutralitaetsbild steht, das es
  zu zeichnen gilt, um Oesterreich auf die Schiene der Militarisierung setzen
  zu koennen, zurueck. Vor diesem Hintergrund bittet das Friedensvolksbegehren
  darum, dass die an einer kontroversen, aufrichtigen und nicht an einer
  manipulierten Neutralitaetsdiskussion interessierte Oeffentlichkeit vom ORF
  fordert, dass das Friedensvolksbegehren bei solchen und aehnlichen
  Sendeformaten kuenftig beruecksichtigt wird. Appelle koennen an die
  e-mail-Adresse offengesagt@orf.at oder per Post an die Informationsdirektion
  (ORF-Zentrum, Wuerzburggasse 30, 1136 Wien) gerichtet werden.
  *Roman Gutsch*
  
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  Unterstuetzungsformulare und Flugblätter zum Friedensvolksbegehrens sind
  unter http://www.friedensvolksbegehren.at verfuegbar oder koennen fuer die
  postalische Zusendung bei der Wiener Friedensbewegung (Koelblgasse 18/1,
  1030 Wien, Tel. 796 50 21) angefordert werden.
  
  
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