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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. Dezember 2003; 17:37
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Russland:

> Saddam, Rap und Revolutionsaesthetik

Es gibt sie noch: "Kommunisten". In Russland. Und sie stehen zur Duma-Wahl
am 7.Dezember. Ein Bericht von Judith Huber, geklaut aus WoZ 48/03

*

Sonntagabend auf dem Fluss Moskwa in der russischen Hauptstadt. Der Kreuzer
Aurora haelt Kurs auf den Kreml. Ploetzlich ertoenen zwei Kanonensalven, ein
dreifaches «Hurra!» und die Klaenge der Internationale. Die Luft riecht nach
Schiesspulver. Die Gesichter der jungen Revolutionaere sind erhitzt -- vom
Eifer, vom Wodka und von den geschrienen Parolen. Dann beginnt die Party auf
dem gemieteten Dampfschiff, das im Stil des legendaeren Kreuzers Aurora
hergerichtet ist, der 1917 in Sankt Petersburg den historischen Signalschuss
zum Angriff auf den Winterpalast gegeben hatte. Alte sowjetische Gassenhauer
wechseln mit dem sozialkritischen Rap der Gruppe Sixty-Nine ab, die Genossen
und Genossinnen bringen Toasts auf die Partei und auf Lenin aus und bedienen
sich an den Koestlichkeiten des doch eher bourgeoisen Bueffets. Die Aktion
ist ein voller Erfolg. Die ungewoehnliche Kreuzfahrt wird in den darauf
folgenden Tagen zum Thema in den Medien.

Genau das hat Ilja Ponomarjow bezweckt. Der 28-jaehrige Verantwortliche fuer
Informationstechnologie der Kommunistischen Partei der Russischen
Foederation (KPRF) hat den «Aurora»-Event ausgeheckt und inszeniert.
Ponomarjows Ziel ist hoch gesteckt: Das Image der KPRF, die als Partei der
Rentner, Ewiggestrigen und Verliererinnen gilt, von Grund auf zu veraendern
und sie fuer Junge attraktiv zu machen. «Cool» soll die Partei wirken,
attraktiv und auf der Hoehe der Zeit. «Aus dem Bollwerk des Konservatismus
wird aus uns erneut die Avantgarde», zeigt sich Ponomarjow ueberzeugt. Zu
diesem Zweck fertigten junge Parteiaktivistinnen fuer den Start des Films
«The Matrix Revolutions» Plakate an, auf denen die Koepfe der Filmhelden
ausgewechselt wurden: Aus Neo wurde Lenin, aus Morpheus Marx, aus Trinity
Engels. Die Rapformation Sixty-Nine, bestehend aus jungen Parteimitgliedern,
stuermte die russischen Charts mit ihrem Song «Im weissen Ghetto». Weitere
ungewoehnliche Aktionen sind in Planung.

Der ehrgeizige Polittechnologe Ponomarjow begnuegt sich aber nicht mit ein
paar spassigen Aktionen. Er hat mit der Erneuerung der Partei, wie sie ihm
vorschwebt, bereits begonnen und in den Jugendorganisationen der Partei
seine Leute platziert. Ziel ist, aus der KPRF eine linke Partei im
europaeischen Sinne des Wortes zu machen, die ihre Basis vermehrt bei sozial
engagierten und gebildeten Menschen hat. «Solange die Duma in den Haende in
der alten Parteigarde ist, werden wir auf niedrigerem Niveau aktiv mit dem
Ziel, die Regionalkomitees zu erneuern.An einigen Orten hatten wir damit
schon Erfolg.»

Ponomarjow, den ich in einem schicken Cafe an der Flaniermeile Twerskaja im
Zentrum Moskaus treffe, passt mit seinem braunen Vollbart, dem bleichen
Gesicht und der nachlaessigen Kleidung nicht so recht zur Umgebung. Am
Nebentisch verspeisen Kinder reicher Eltern Sushi und telefonieren mit dem
Handy. Dienstbeflissene Kellner scharwenzeln um die Tische herum. Der
28-jaehrige Ponomarjow hat einen ungewoehnlichen beruflichen Hintergrund.
Bis letztes Jahr sass er auf einem Managerposten beim Oelkonzem Jukos -- dem
Konzern, der wegen der Verhaftung seines Chefs Michail Chodorkowskij in den
letzten Wochen international Schlagzeilen machte. Ponomarjow war beim
Oelgiganten verantwortlich fuer Informationstechnologie. Und er war
massgeblich daran beteiligt, Kontakte zwischen der Kommunistischen Partei
und dem Oelkonzem zu knuepfen, die dazu fuehrten, dass Jukos Geld in die
Partei steckte. Eine erstaunliche Entwicklung.

*

INTERVIEW-FRAGE: Wie ist es moeglich, dass eine kommunistische Partei sich
von einem Oelkonzem finanzieren laesst?

ANTWORT ILJA PONOMARJOW: Bei uns in Russland ist alles etwas anders. Es gibt
keine linken oder rechten Parteien.

F: Aber die KPRF bezeichnet sich immerhin als «kommunistisch».

A: Ja, das stimmt. Aber heute sieht die Realitaet in Russland so aus, dass
sich Freiheit und Totalitarismus gegenueberstehen. Heute geht es nicht mehr
um rechts oder links, heute geht es um Totalitarismus oder Freiheit. Jukos
verkoerpert in diesem Paradigma die Freiheit und hat die Mittel, sie zu
verteidigen. Auf diese Weise ist das Unternehmen fuer uns eher zu einem
Verbuendeten geworden als die heutigen Machthaber, die der absolute Gegner
sind.

F: Verstehen die Parteimitglieder und die Waehlerschaft das?

A: Einige ja, einige nein. Natuerlich ist die Kritik an der Zusammenarbeit
mit den grossen Finanzgebem innerhalb der Partei riesig. Aber wir erinnern
dann ueblicherweise daran, dass Lenin von Sawwa Morosow finanziert wurde,
einem der groessten Unternehmer damals. Irgendwoher muessen wir ja das Geld
fuer unseren Wahlkampf hernehmen.

F: Was hat Jukos davon, die KPRF zu finanzieren?

A: Jukos steckt Geld in alle Oppositionsparteien. Das Unternehmen finanziert
nicht nur uns, sondern auch Jablokov und die Union der Rechten Kraefte. Um
etwas zu veraendern. Es ist wirklich so: Michail Chodorkowskij ist ein
Mensch, der etwas veraendern will. Er ist natuerlich ein absolut
prinzipienloser und zynischer Mensch. Aber wenn dieser Mensch eine Idee hat,
dann verteidigt er sie mit seiner ganzen Prinzipienlosigkeit und seinem
Zynismus bis ans Ende.

*

Die KPRF wird aber nicht nur von Jukos finanziert, sondern hat gleich auch
noch zwei Vertreter des Oelkonzems auf ihrer Parteiliste fuer die
anstehenden Wahlen: Sergej Murawlenko, ehemaliger Vorsitzende des
Jukos-Direktorenrates und Jukos-Grossaktionaer, und Alexej Kondaurow,
ehemaliger KGB-General und Berater des Praesidenten von Jukos Moskau. Deren
Nominierung fuehrte zu internen Querelen und trug der Partei den Vorwurf
ein, kaeuflich zu sein und Plaetze auf der Parteiliste fuer Geld zu
verkaufen, die dann «echten» Kommunistinnen fehlten. Jukos wiederum sah sich
dem Vorwurf ausgesetzt, sich Sitze in der Duma zu erkaufen. Dies ist
uebrigens kein Einzelfall. Auf den Listen der verschiedenen Parteien sind
ueber entsprechende Kandidaten alle wichtigen russischen Unternehmen
vertreten.

Ob die KPRF ihrer Anhaengerschaft schmackhaft machen kann, dass sie sich von
Grossuntemehmem finanzieren laesst, ist mehr als fraglich. Der Soziologe
Leonid Sedow weist darauf hin, dass mehr als die Haelfte der russischen
Bevoelkerung die Reichen hasst und der Meinung ist, sie haetten ihren
Reichtum nicht auf ehrliche Weise erworben. Ein grosser Teil der
Waehlerschaft der KPRF duerfte diese Meinung teilen. Die Partei verprellt
mit dieser Strategie ihre eigenen WaehlerInnen, die sie mit Versprechen wie
der Rueckverstaatlichung der strategisch wichtigen Industrieunternehmen und
der «Rueckgabe» der Bodenschaetze an das «Volk» umwirbt. Mit der Verhaftung
von Chodorkowskij und dem offenen Nachdenken ueber eine Rueckverstaatlichung
der Oelwirtschaft hat Praesident Putin jedoch der Kommunistischen Partei,
der wichtigsten Gegnerin der kremlnahen Partei Geeintes Russland, das Heft
aus der Hand genommen.

Die KPRF ist sich sehr wohl bewusst, dass sie einen Teil ihrer Waehlerschaft
verliert. Sie ist als Nachfolgepartei der Staatspartei KPdSU eine
traditionalistische Partei, die bis jetzt die meisten Stimmen in kleinen
Staedten und auf dem Land erhielt. «Lange Zeit nahmen die Leute auf dem Land
die KPRF aus lauter Gewohnheit als artei der Macht wahr und stimmten deshalb
fuer sie», sagt Ponomarjow. «Jetzt veraendert sich die Lage. Auf dem Land
hat Geeintes Russland bereits eine sehr starke Basis.» Ponomarjow
befuerchtet, dass bei den kommenden Parlamentswahlen der so genannte «rote
Guertel» der Regionen um Moskau -- in denen die KPRF besonders stark ist --
zu broeckeln beginnt und die Mehrheit der Stimmen an die Kreml-Partei gehen
wird. Genau deshalb muss die KPRF sich um eine neue Waehlerschaft bemuehen.
Erste Erfolge zeigten sich, versichert Ponomarjow. «Die groessten
Zuwachsraten haben wir in den grossen industriellen Zentren: In
Jekaterinburg, Omsk, Nowosibirsk, Irkutsk, Krasnojarsk. Auch in Moskau
verzeichnen wir einen Zuwachs. Damit wird die KPRF zu der Partei, die sie
eigentlich sein sollte: zur Partei der Arbeiter.»

Der junge Stratege hat aber noch mit anderen Widerspruechen zu kaempfen. Wie
kann eine Partei fuer kritische Jugendliche und eine gebildete, staedtische
Waehlerschaft attraktiv sein, die von Personen angefuehrt wird, welche sich
aggressiv rechtsnationalistisch und sogar antisemitisch gebaerden? Fuer die
Parlamentswahlen setzte die Partei Nikolaj Kondratenko auf den zweiten Platz
ihrer Liste. Kondratenko, der populaere fruehere Gouverneur der Region
Krasnodar, hat sich vor allem durch seine antisemitische und rassistische
Rhetorik hervorgetan. Er machte regelmaessig «die Juden» fuer die
politischen und wirtschaftlichen Probleme Russlands verantwortlich und
erklaerte, die suedrussische Region Krasnodar stehe einzig den ethnischen
Russen zu. Nikolaj Charitonow, Sprecher der agrarindustriellen Fraktion in
der Duma, der sich fuer die Wiedererrichtung der Statue des
Geheimdienstgruenders Felix Dserschinskij in Moskau einsetzt, besetzt Platz
drei auf der Liste. Er soll die Waehlerschaft auf dem Land ansprechen. Die
Fuehrungs-Trojka mit Parteifuehrer Gennadij Sjuganow an der Spitze
repraesentiert eindeutig die nationalpatriotische Richtung, in der Partei
und die alte Garde der Politiker -- und nicht die angepeilte neue
Waehlerschaft.

Vom Nationalismus gepraegt sind insbesondere die aussenpolitischen Konzepte
der KPRF. Die Partei betont die Rolle Russlands als Weltmacht, will die
einstige Grossmacht Sowjetunion wieder auferstehen lassen und gebaerdet sich
gerne aggressiv antiamerikanisch. Das war auch bei den Demonstrationen gegen
den Irak-Krieg in diesem Fruehling so. «Die Antikriegsveranstaltungen der
KPRF hatten einen stark chauvinistischen Charakter», sagt Ilja Budraitskis
von Attac Moskau, der sich selbst gegen den Irak-Krieg engagierte. «Bei
Kriegsbeginn gab es eine Demonstration vor der US-Botschaft. Es war ein
Albtraum. Die Haelfte der Plakate waren der angeblichen zionistischen
Verschwoerung gewidmet.» Zahlreiche Demonstrantinnen trugen das Portraet von
Saddam Hussein vor sich her. «Sie verstanden Saddam Hussein als weitere
Front gegen das boese Amerika.»

Kritik am Krieg im eigenen Land, dem Tschetschenien-Krieg, findet man auf
der KPRF-Website kaum. Das kommt nicht von ungefaehr: Die russische Armee
ist ein wichtiges Reservoir von Anhaengern der KPRF. Die Partei setzt sich
fuer eine starke russische Armee ein. Damit trifft sie einen wunden Punkt.
Die Unzufriedenheit in der Armee ist riesig, die Missstaende sind gross.
Ende Oktober marschierten obdachlose Offiziere rund 400 Kilometer bis nach
Moskau, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen: Auf die kuemmerlichen Loehne
und die miserablen Wohnbedingungen. «In der Armee gibt es ein grosses und
ernsthaftes Protestpotenzial», sagt Budraitskis. Er erzaehlt von einem
Offizier, der mit Frau und Kindern in einem einzigen Zimmer lebt. Die
Toilette und die Kueche muss die Familie mit 25 anderen Parteien teilen.

Bei sozialen Fragen ist die KPRF nach wie vor eine wichtige Kraft in
Russland. Sie fordert in ihrem Parteiprogramm ein staatlich garantiertes
Existenzminimum, wehrt sich gegen die Privatisierung der Eisenbahn und
kaempft gegen die so genannte Kommunalreform: Nach wie vor sind in Russland
Strom, Wasser, Heizung und Wohnungen stark subventioniert. Ziel der Reform
ist, dass die MieterInnen fuer die Kosten zu hundert Prozent selbst
aufkommen. Beduerftigen soll allerdmgs unter die Arme gegriffen werden. Die
Kommunalreform stoesst in der Bevoelkerung auf starken Widerstand. Bei den
Protestaktionen arbeiten KPRF-AktivistInnen auch immer wieder mit
Gewerkschaften und sogar mit Attac zusammen. «Bei der Organisation des
sozialen Widerstands spielt die KPRF tatsaechlich eine wichtige Rolle», sagt
Budraitskis. Auch der in Russland -- vor allem unter Jugendlichen --
populaeren Globalisierungskritik wird in der KPRF zunehmend Beachtung
geschenkt. Die Partei wolle, so gesteht Ponomarjow, im Bereich der
Globalisierungskritik die Themenfuehrerschaft uebernehmen.

Die Wahlen am 7. Dezember versprechen spannend zu werden. Umfragen deuten
auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen von KPRF und der kremlnahen Partei Geeintes
Russland hin. Dass die KPRF Geeintes Russland ueberrunden wird, gilt als
ausgeschlossen. Die kremlnahe Partei setzt auf die nach wie vor traumhaft
hohe Popularitaet des Praesidenten Putin, zaehlt zahlreiche hohe Beamte zu
ihren Kandidaten und hat die auf Linie gebrachten elektronischen Medien
hinter sich. «Die KPRF wird in Russland niemals an die Macht gelassen», ist
Budraitskis ueberzeugt. Die zweite Kraft im Parlament zu bleiben, sollte der
KPRF aber gelingen. «Das Potenzial der Kommunisten liegt nach wie vor bei 27
bis 30 Prozent», sagt Lilija Schewtsowa von der Moskauer Carnegie-Stiftung.
«Ihre Waehler gehen normalerweise an die Urnen. Das heisst, dass die KPRF
nicht weniger als 25 Prozent der Stimmen erhalten sollte.» Schewtsowa
rechnet aber damit, dass es zu Wahlfaelschungen und Manipulationen kommen
wird, wie dies bereits in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. Auch
Ponomarjow ist ueberzeugt, dass die KPRF gegen 27 Prozent der Stimmen
erhalten sollte. «Aber ich kann nicht ausschliessen, dass es nur 20 Prozent
sein werden. Das Ausmass des Druckes und der Manipulationen, vor allem in
laendlichen Gebieten, ist erschreckend gross.» ###



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