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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 2. Dezember 2003; 17:18
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EU/Kommentar:
> Das alte Europa
Wir wollen unsern alten Kaiser wiederham!
Manchmal stimmt er schon, der Gemeinplatz von der alten und der neuen Welt.
Zum Beispiel in der Frage der Aufteilung der Macht. Denn lassen wir mal die
oekonomischen Machthaber beiseite -- die hueben wie drueben ausserhalb des
Scheinwerferlichts wesentlich wirken --, gestaltet sich die staatliche,
offizielle Machtaufteilung auf den beiden Seiten des Atlantiks doch recht
unterschiedlich. Die USA besitzen auf der legislativen Bundesebene ein
trikamerales System aus Senat, Repraesentantenhaus und Administration, wobei
der Administration (d.h. dem Praesidenten und seinem Kabinett) nur eine
schwache Position verbleibt. Diese Schwaeche ist in den USA ganz normal,
besitzt doch der Praesident weitgehende exekutive Vollmachten. Dort sieht
man es generell nicht als Problem an, wenn die Regierung keine Mehrheit in
den beiden Legislativ-Kammern hat.
Anders ist das in Europa, da praegt das alte Obrigkeitsverstaendnis doch
noch sehr die Verfassungen. Da ist es ganz selbstverstaendlich, dass eine
Regierung nur dann regieren kann, wenn sie die Mehrheit im Parlament hat --
eine tatsaechliche Trennung der Gewalten erscheint als absurd. Aus dem
absoluten Monarchen wurden absolute Regierungen -- nur durch Richter
eingeschraenkt, deren Ernennung de facto aber auch durch den Justizminister
gelenkt wird.
Nur aus diesem Hintergrund ist die Debatte um eine befuerchtete "zu grosse
Kommission" zu verstehen. Denn was ist schon so eine Kommission? Die Idee
dahinter war eine Art EU-Regierung, die jene Gesetze zu vollziehen hat, dass
das bikamerale System aus Rat (dessen Zusammensetzung aus Regierungschefs
sowieso eine verfassungsphilosophische Zumutung ist) und Parlament
beschliesst. Die rechtliche Bedeutung der Kommission als Exekutiv-Kollektiv
ist relativ gering, relevant ist vor allem die Verantwortung der einzelnen
Kommissare fuer die ihnen untergeordneten Behoerden. Und da kann es kaum
genug Einzelverantwortliche geben, resultieren doch viele der
Kommissions-Skandale nicht nur aus Gruenden der Korruption, sondern auch aus
der Tatsache, dass die einzelnen Ressorts unueberblickbar sind. Nur fuer ein
kleines Ressort kann ein einzelner Mensch einigermassen die Verantwortung
uebernehmen -- und kleine Ressorts gibt es bei einer geringen Anzahl von
Kommissaren und damit auch Ressorts schon jetzt nicht in der EU. Nach der
Erweiterung wird dieses Problem sich noch verschaerfen.
Warum also eine kleine Kommission? Nun, zugegeben, bei der Vertretung der EU
nach aussen muss ein gewisser Konsens erreicht werden. Aber dieser Konsens
muss -- zwecks Ratifizierung von Vertraegen -- auch mit dem Parlament und
dem Rat hergestellt werden, da ist der interne Konsens der Kommission schon
die leichtere Uebung. Nein, die Vorstellung, dass die Kommission -- also die
Regierung -- einig sein muesste, resultiert aus der Vorstellung, dass diese
zwar nicht die Gesetze selbst schreibt, aber doch bestimmt; quasi -- wie das
in so gut wie allen europaeischen Verfassungen der Brauch ist -- die
Legislative zum Diktat bittet. Und da muss natuerlich die Regierung straff,
sprich sparsam an Personal organisiert sein, weil sonst gibt es da ja keine
saubere Linie. Im Prinzip sagt uns unsere Obrigkeit: "Ihr wollt doch alle
Euren alten Kaiser wieder haben. Da hat man doch gewusst, wo man ist, beim
Kaiser, und wos langgeht." Unsere Regierungen sagen uns das schon lange in
den einzelnen Laendern und wir haben es immer gefressen. Jetzt sagt es uns
die EU. Und wir werden es auch diesmal fressen.
In den USA gibt es auch genug Obrigkeitsdenken samt einem
Mehrheitswahlrecht, das sich sehr an dieses Muster anlehnt. Und sicher gibt
es viele, speziell die Neokonservativen, die gerne mehr gesetzgeberische
Macht fuer den Praesidenten haetten -- aber wegen der ganz anderen
Rechtstradition ist diese Vorstellung dort alles andere als opportun.
Die USA hatten nie einen Kaiser und das ist immer noch zu bemerken. Aber man
kann sich hierkontinents nicht immer auf die Geschichte ausreden, denn auch
Rechtstraditionen kann man aendern. Schliesslich haben wir schon soviel
Bloedsinn aus den USA importiert, dass man doch auch einmal etwas Gescheites
rueberholen koennte.
*Bernhard Redl*
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