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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. November 2003; 16:46
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Moderne Zeiten/Glosse:

> Praktisch

Realitaet zwischen Orwell und Huxley

George Orwells "1984". Irgendwie fuerchten wir uns vor dieser Vision. Der
Roman gilt seit Jahrzehnten als Folie fuer den totalitaeren
Ueberwachungsstaat. Der "Big Brother" ist in Redewendungen staendig praesent
und wir zitieren ihn immer wieder, wenn der Staat neue
Ueberwachungsinstrumente einfuehrt: Schengen, EnfoPol, ECHELON, aber auch
Road Pricing und ein damit moeglicher Datenmissbrauch sind Themen.

Nur geht es auch anders, wie die Durchseuchung Europas mit Mobiltelefonen
zeigt. Uns braucht niemand mehr eine Wanze zu implantieren, wir verwanzen
uns selber. Jederzeit sind wir erreichbar und jederzeit sind wir ortbar --
auch wenn wir gerade nicht telefonieren. Das wissen mittlerweile fast alle
Handybesitzer -- aber schliesslich ist ein Handy ja sooo praktisch.

In Deutschland wurde heuer ein Supermarkt eroeffnet, dessen Abrechnung auf
sogenannten RFID-Chips beruht. Der Kunde geht in den Supermarkt, wird auf
Grund seiner Kundenkarte identifiziert, vom Hightech-Einkaufswagerl per
Display begruesst und bekommt auch gleich vom Wagerl seine uebliche
Einkaufsliste praesentiert. Auf jedem Produkt sitzt so ein Chip, der per
Funk an der Kasse registriert wird und der Betrag wird vom Konto des Kunden
automatisch abgebucht. Jeder, der dort einkauft, weiss, dass in den
Computersystemen des Konzerns ueber ihn saemtliche Daten gespeichert werden,
seine Einkaufsgewohnheiten, die Abweichungen von diesen Gewohnheiten, die
Summen, die er sich leisten kann auszugeben, ueber sein Konto, seine
Bonitaet und wann er Zeit hat, einzukaufen. Alles kein Problem, denn der
Chip-Code ist so designed, dass jeder einzelne Gegenstand weltweit damit
markiert und eindeutig identifiziert werden koennte. So haeufen sich
Informationen in einer Menge und Qualitaet, die zu sammeln ein
Privatdetektiv Wochen braeuchte.

Ganz nett wird es aber, wenn wir schon eine groessere Menge dort eingekauft
haben. Wir gehen ins naechste Beisl und gibt es das Scannersystem dort auch
schon, wird unsere Beisltour ebenfalls registriert. Denn den eingenaehte
Chip im Kragen der Jacke aus dem Supermarkt haben wir wohl nicht
herausgetrennt.

Und wir wissen das alles. Noch muss niemand diese Produkte kaufen, noch gibt
es Alternativen. Doch wenn es solche Laeden auch bei uns geben wird, werden
wir lieber nicht darueber nachdenken. Denn: Es ist ja sooo praktisch!

Bald wird es schick sein, eine Webcam bei sich zuhause aufzustellen. Dann
koennen wir uns gegenseitig virtuell besuchen. Wir werden 24 Stunden am Tag
online sein, koennen unsere Lieben jederzeit sehen und immer miteinander
kommunizieren. Noch ist der Gedanke fuer die meisten doch etwas abwegig,
noch merken wir die Aehnlichkeit mit Orwells "Televisoren". Aber vielleicht
wird es bald eine Mode wie die Handys. Dann gewoehnen wir uns daran. Nach
den ersten Trendsettern werden immer mehr Leute sich so ein nettes Spielzeug
anschaffen und schliesslich wird man schraeg beaeugt, wenn man es nicht hat.
Vielleicht kommt spaeter dann doch so manchem ein mulmiges Gefuehl auf, aber
dann wird das schnell zugedeckt, denn schliesslich haben das heute ja alle
und ausserdem haben wir die Erkenntnis -- erraten! --: Es ist ja sooo
praktisch!

"1984"? 1948, als Orwell seinen Roman schrieb, ist verdammt lang her.
Elektronik bestimmte noch nicht unseren private Alltag. Auch im realen Jahr
1984, vor knapp zwanzig Jahren, als die Vergleiche zwischen dem Roman und
der damals aktuellen Wirklichkeit das Feuilleton fuellten, glaubten wir
noch, die Ueberwachungsgeraete wuerden nur von der Obrigkeit eingefuehrt.

Heute installieren wir viele dieser Geraete selbst, zahlen viel Geld dafuer,
finden sie "megageil" und denken lieber nicht mehr weiter. "1984"? Kinder,
das war einmal! Heute freuen wir uns ueber die totale Vernetzung, bedroehnen
uns mit der Droge des Konsums und halten das alles fuer eine "schoene, neue
Welt"!
*Bernhard Redl*


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