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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. November 2003; 21:02
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Linke/Antisemitimusdebatte:

Redls Aufruf und Volggers Reaktion erschienen auch im Widerst@ndsMUND, was
nachfolgenden Beitrag hervorrief:

> Zwischen den Fronten

Prinzipiell kann ich Bernhard Redl nur zustimmen, dass bei dauerhaften
Dauerkonflikten beide Seiten ihren Anteil haben und ihr bestmoeglichstes
tun, um den Konflikt weiter am Leben zu erhalten. Leider hat er seinen Grant
am diesen elendiglichen Israel-Palaestina-Konflikt und dessen
Trittbrettfahrer so spontan formuliert, dass er ein leichtes Opfer fuer
Claudia Volgger -- die selbst ziemlich einseitig eine Konfliktpartei und
somit den Konflikt an sich unterstuetzt -- geworden ist.

Was Bernhard Redl offensichtlich primaer gemeint hat ist, dass der Kreislauf
der Gewalt, der eben von beiden Konfliktparteien kraeftig geschuert wird,
das Ueble ist. Auch wenn eindeutig eine Partei einen Konflikt angefangen
haben mag, so sind doch BEIDE Konfliktparteien an der Fortfuehrung
beteiligt. Das Grunduebel derartiger Auseindersetzungen ist der dabei
verwendete "aggressiv-abwertende Kommunikationsstil", den der humanistische
Kommunikationspsychologe Schulz von Thun beschrieben hat.

Laut Schulz von Thun hat jede Kommunikation -- in Anlehnung an die allgemein
gebraeuchlichen Sprachmodelle der Linguistik -- neben der Sachebene noch
drei weitere Ebenen, auf denen unterschwellig viele der
Kommunikationsprobleme ihre Ursachen haben. Demnach waeren vier Ebenen zu
unterscheiden:

* Sachinhalt
* Appell
* Beziehung
* Selbstkundgabe

Beim "herabwuerdigenden Kommunikationsstil" lauten die Grundbotschaften
folgendermassen:

* Appellebene: Gib klein bei! Bekenne dich schuldig!

* Beziehungsebene: Du bist schuldig! ... erbaermlich! .. dumm! etc.

* Selbstoffenbarungsebene: Ich bin obenauf. Mir kann keiner!

Solange diese mitschwingenden Ebenen der Kommunikation nicht geklaert
werden, ist die Fortfuehrung von Konflikten in alle Ewigkeit garantiert (es
sei denn es kommt zu physischen oder psychischen Ermattung).

"Auf alle Faelle Recht behalten" lautet wohl das Credo. Leider scheint
Claudia Volgger immer noch auf dieses urpartriachale Programm abzufahren,
denn sonst wuerde sie wohl anerkennen, dass es Bernhard Redl -- wenngleich
nachlaessig formuliert -- vor allem um die Art der Konfliktaufrechterhaltung
geht, die eine Vermittlung zwischen den zum Teil durchaus berechtigten
Positionen beider Seiten verunmoeglicht.

Bernhard Redl bekennt sich ja zur israelisch-palaestinensischen
Friedensbewegung und somit gegen Gewalt und fuer ein gleichberechtigtes
Mit/Nebeneinander von "Juden" und "Arabern". Ich finde es schon absurd, dies
als "Antisemitismus" auszulegen. Immerhin geht Claudia Volgger nicht so weit
wie Karl Pfeifer (z.B. im Falle von Noam Chomsky) linke intellektuelle
"Juden", die es wagen, Rechtsextremismus und Rassismus "im eigenen Volk" zu
kritisieren, pauschal als "antisemitisch" herabzuwuerdigen.

Wenn das Aufzeigen von Widerspruechen beispielsweise als "Umkehrung der
Taeter-Opfer-Relation" diffamiert wird, dann erinnert mich das an die
politischen Parteien -- namentlich die FPOe -- die nach einer Wahlniederlage
trotzig behaupten, die WaehlerInnen haetten das Wahlprogramm nicht
verstanden, anstatt das eigene Programm und Handeln kritisch zu
hinterfragen.

Es waere daher -- bevor man sich in einem Konflikt gegenseitig befetzt --
durchaus einmal sinnvoll, sich ueber grundlegende Fragen des menschlichen
Zusammenlebens und der Verstaendigung (ohne direkten Bezug auf den konkreten
Konflikt) zu verstaendigen und dann zu schauen, wie die daraus folgenden
grundlegenderen Erkenntnisse zur Konfliktloesung beitragen koennen. Diese
Metakommunikation hat im MUND, wie ich schon aus Anlass der -- mitunter
einseitig gehandhabten -- Zensur des Themas Israel-Palestina, hingewiesen
habe, nicht stattgefunden. Daher wird dieser Konflikt im Untergrund wohl
noch ewiglich weiter koecheln und seine desktruktiven Kraefte entfalten.

"Emanzipatorische Politik" versucht das "Teufelskreis-Schema" menschlicher
Konflikte aufzuloesen und nicht dieses zu verstaerken. Grunduebel ist wohl
die rechte/rassistische Ideologie, dass immer einer "die Schuld" tragen
muss, und das sind natuerlich immer nur "die Anderen".

Das Teufelskreis-Schema der herabwuerdigenden Kommunikation, die im
Extremfall im Teufelskreis der Gewalt/des Krieges ausufert, lautet laut
Schulz von Thun:

A fuehlt sich angegriffen, verletzt, wuetend
A verhaelt sich entsprechend herabsetzend, beschuldigend, "Rache!"
B fuehlt sich dadurch angegriffen, verletzt, wuetend
B verhaelt sich entsprechend herabsetzend, beschuldigend, "Rache!"
A fuehlt sich daurch angegriffen, verletzt, wuetend....
... und so gehts dann in alle Ewigkeit weiter (Amen)

Das tragische an diesem Teufelskreis der Gewalt ist, dass die
Konflikttreiber auf BEIDEN Seiten nicht mehr ohne dem Konflikt leben
koennen, weil sie ansonsten ihre fuehrende Rolle im Konflikt aufgeben
muessten. Daher hintertreiben sie auch jeden Versuch -- auch von Aussen --
diesen Konflikt zu loesen. Sie versuchen auch den Konflikt weiter
zuzuspitzen und verlangen die unbedingte Solidaritaet der anderen
"Mitglieder" (auch wenn diese es nicht sein wollen!) des "eigenen Lagers",
weil der boese, boese Feind einen ja voellig vernichten will usw. blabla. So
werden letztlich die Extremisten auf BEIDEN Seiten eines Konfliktes einander
die treuesten Verbuendeten sein: Keiner vermag seine ideologische
Machtposition ohne den anderen als Feind aufrecht erhalten.

Wenn dann jemand von Aussen zu vermitteln sucht, wird das dann daher auch
als persoenlicher Angriff gewertet und der/die um Vermittlung bemuehte kommt
selbst ins Kreuzfeuer -- mitunter von beiden Konfliktparteien. Mitunter
erscheint es mir, als wuerde der "boese Feinde" geradezu gesucht, um der
eigenen ambivalenten Daseinssituation zu entfliehen.

Bei der sogeannten "Antisemitismusdebatte" geht es offenbar auch darum, dass
viele Probleme menschlichen Zusammenlebens immer noch verdraengt werden. Die
Ignorierung grundlegender psychologischer aber auch philosophischer
(Grund)Probleme (z.B. erkentnisstheoretischer bzw. wissenssoziologischer
Art) durch diverse im MUND politisierende/ideologisierende Gruppen macht
deutlich, dass wir von einer freien, offenen, emanzipierten Gesellschaft
noch elendsweit weg entfernt sind.

Bei Pseudodebatten, wo es (auch) um den (totalen) Sieg ueber die "Anderen"
geht, waere es vielleicht besser, sich gar nicht darauf einzulassen, und
eher die dahinter liegenden grundlegenderen Probleme anzusprechen.

Und geschaetzter Bernhard: Das naechste mal bringe doch fuer die nicht so
achtsamen LeserInnen bei schnellen, subjektiven Stellungnahmen einen
entsprechenden expliziten Hinweis an und versuche vermehrt, Kritik nach
allen Seiten hin gleich zu verteilen. Das wird Dich aber trotzdem nicht vor
Kritik von partikulaeren Rechten schuetzen, aber deutlicher machen, aus
welcher Richtung der Gegenwind weht.

Literaturtip: Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden, 3 Baende.
Meines Erachtens eine "Pflichtlektuere" fuer alle politisch Interessierte,
denn reale Politik ist nur durch Kommunikation moeglich!
*Martin Mair (gek.)*


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