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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. November 2003; 17:24
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Serbien/USA:

> David kaempft

Streik gegen US Steel

Jeder zehnte Buerger von Smederevo, einer serbischen Donaustadt, ist im
Stahlkombinat Sartid beschaeftigt. Im September wurde das Werk endgueltig
von der US-Gesellschaft U.S. Steel gekauft und Mitte Oktober traten die 8500
Beschaeftigten in den Generalstreik. Der Ausstand wird sowohl von der
unabhaengigen Sartid-Betriebsgewerkschaft als auch vom
Gewerkschaftsdachverband Nezavisnost unterstuetzt.

Die Arbeiter bei Sartid sind hochqualifiziert. Der Output konnte dieses Jahr
im Vergleich zum letzten um 50 Prozent erhoeht werden. Die Monatsproduktion
betraegt 60.000 bis 70.000 Tonnen Schwarzblech, nach der Weiterverarbeitung
im Walzwerk ergibt das 12.000 Tonnen Weissblech. Es gibt keinen einzigen
Arbeiter, der weniger als 100 Ueberstunden angesammelt hat. Der Stundenlohn
betraegt weniger als einen halben US-Dollar pro Stunde. Das bringt fuer
einen Spitzenarbeiter mit 35 Jahren Betriebszugehoerigkeit selbst im
Dreischichtbetrieb gerade 180 Euro im Monat. Damit kann er keine Familie
ernaehren. Im slowakischen Stahlwerk in Kosice, das U.S. Steel ebenfalls
gekauft hat, liegt der Stundenlohn bei 3,74 Dollar, sieben mal hoeher als
bei Sartid. Arbeitern in den Vereinigten Staaten zahlt U.S. Steel 12,48
Dollar pro Stunde, das ist 25 mal mehr als das Unternehmen einem Serben
zahlt, der dasselbe macht. Soll man das Neokolonialismus oder Rassismus
nennen?

Smederevo ist nur eines, wenn auch das bekannteste Beispiel fuer die Folgen
der Privatisierung in Serbien. Seit dem Machtwechsel in Belgrad am 5.
Oktober 2000 wurden insgesamt 842 Betriebe mit zusammen knapp 110.000
Beschaeftigten verkauft. Das hat der Regierung nach eigenen Angaben knapp
1,2 Milliarden Euro gebracht, von denen weniger als ein Viertel - 253
Millionen Euro - den entlassenen Arbeitern ueber Sozialfonds zu Gute kamen.
Die meisten Investoren stammen aus dem benachbarten Slowenien, doch nach der
Summe der Investitionen haben US-Konzerne die Nase vorne - mit 600 Millionen
Euro kam von ihnen mehr als die Haelfte des auslaendischen Aufkauf-Kapitals.
Neben dem Stahlwerk in Smederevo zaehlen die Tabakfabriken in Nis und Vranje
sowie die traditonsreiche Mineralwassermarke Knjaz Milos zu den Schnaeppchen
der Yankees.

Die Streikenden bei Sartid fordern eine Lohnerhoehung auf einen Dollar pro
Stunde und die Entlassung des Generaldirektors von U.S. Steel Serbija Tomas
Kelij. Ausserdem verlangen sie die Offenlegung des Kaufvertrages. Die Art
und Weise, wie die Amerikaner das Kombinat gekauft haben, ist naemlich
reichlich seltsam. Anfang 2002 hat die slowakische Tochter von U.S. Steel
mit Sartid und der serbischen Regierung einen Vertrag ueber gemeinsame
Fertigung und eine Absichtserklaerung ueber strategische Zusammenarbeit
abgeschlossen. Es gab aber keine oeffentliche Rechenschaft darueber, ob U.S.
Steel wirklich den vereinbarten Minimalpreis in Hoehe von 23 Millionen
US-Dollar bezahlt haben. Fraglich ist auch, ob sich die europaeischen Banken
das gefallen lassen, die Sartid vor einem halben Jahr noch einen Kredit in
Hoehe von 100 Millionen US-Dollar bewilligt hatten. Diese Unterstuetzung war
noch vom frueheren Premierminister Zoran Djindjic eingefaedelt worden. Als
nach dessen Ermordung am 12. Maerz ploetzlich die US-Amerikaner den Zuschlag
fuer Sartid bekamen, regierte die deutsche Regierung mit einem scharfen
Protestbrief.

Durch den Kauf des Stahlwerks in Smederevo hat U.S. Steel fuer billige
Stundenloehne Arbeitskraefte bekommen, die Hochpreisprodukte fuer den
Weltmarkt erzeugen koennen. Im Schnaeppchenpreis inbegriffen ist der
Donauhafen von Sartid, die dazugehoerige Freihandelszone und zwei
Aussenstellen des Kombinats in Sapac und Kucevo. Fachleute aus den USA haben
eingeraeumt, dass die Fertigungstechnik in Smederevo auf hohem Niveau ist.
Besonders interessant fuer die Kaeufer duerfte die hochentwickelte
Elektronik im Werk sein. Ausserdem ergaenzt sich die Produktion in Smederevo
mit der im slowakischen Kosice - U.S. Steel hat also die gesamte
Stahlbranche Osteuropas eingesackt.

U.S. Steel hat die Fruechte der Arbeit, die mehrere Generationen von Serben
in mehr als fuenfeinhalb Jahrzehnten geleistet haben, in einem Handstreich
gepluendert. Einer der Streikenden hat ein Plakat getragen: "Dies ist mein
Serbien, und nicht der Wilde Westen." Die amerikanischen Konzerne betrachten
aber Osteuropa als den Wilden Westen. Sie wollen alles fuer Glasperlen
kaufen. Allerdings haben sie die Rechnung ohne die Indianer gemacht.
*Spomenka Deretic, Belgrad, 17. Oktober 2003 (Uebersetzung: Juergen
Elsaesser)*

Quelle: http://www.artel.co.yu/de/izbor/jugoslavija/2003-10-29_1.html



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