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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. Oktober 2003; 16:42
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Israel/Palaestina/Kommentar:

> Hals- und Beinbruch fuer Sharon

Zum "Genfer Abkommen"

Nach der Verwaesserung der US-Roadmap durch 14 israelische Vorbehalte gibt
es jetzt das laut Medien(1) Detaillierteste und Konkreteste, was je zwischen
Israelis und Palaestinensern ausgearbeitet wurde. Mit der Genfer Abmachung
sollen nun die Punkte geloest werden, an denen 2000 die
israelisch-palaestinensischen Gespraeche gescheitert waren. Dies betraf vor
allem die Grenzen, Jerusalem und die palaestinensischen Fluechtlinge.
Ueblich waere nun eine weitere Abmachung zwischen Israel und der PLO. Doch
waehrend sich die Regierung unter Ariel Sharon zunehmend dem Kriegsgeschaeft
samt bedingungsloser Unterwerfung der palaestinensischen Seite zu widmen
scheint, wird nun die Abmachung zwischen "Privatleuten" vorbereitet und
abgeschlossen. Von israelischer Seite fuehrt Yossi Beilin die Gespraeche in
Amman an, fuer den Shaul Yahalom von der Nationalreligioesen Partei prompt
die Todesstrafe fuer Hochverrat forderte. Weiters werden die israelischen
Gespraeche vom Schriftsteller Amos Oz, Exgeneralstabschef Amnon
Lipkin-Shahak und prominenten Vertretern der Arbeiterpartei gefuehrt.

Das Besondere an der Genfer Abmachung erklaert der Staatsminister der
Palaestinenserbehoerde, Abd Rabbou, der ebenfalls auf privater Basis an den
Gespraechen teilnimmt: Man habe sich waehrend der vergangenen drei Jahre auf
ein Papier zur Beilegung des Nahostkonfliktes geeinigt. Es sei die Balance
zwischen den Loesungen fuer verschiedene Punkte: "Das Abkommen gibt keiner
Seite alles, was sie wollen". Das Abkommen sei als "Ergaenzung" der Roadmap
gedacht und fuelle damit die Luecken, mit denen die Gruendung eines
Palaestinenserstaates 2005 noch behindert werden koennten. Eine dieser
Ergaenzungen sind Landkarten mit genauer Grenzziehung zwischen Israel und
Palaestina auf Basis von 1967(2). Jerusalem soll geteilte Hauptstadt werden,
die Palaestinenser erhalten die voellige Souveraenitaet ueber den
Tempelberg. Im Gegenzug entscheidet die Israelische Regierung fast allein,
wieviele palaestinensische Fluechtlinge sie aufnimmt. Mit oeffentlicher
Erziehungsarbeit, der Beteiligung von Politikern und einer Kampagne werde es
sicher gelingen, die Mehrheit der oeffentlichen Meinung fuer diesen Plan zu
gewinnen. Laut Rabbou sind die Bevoelkerungen beider Seiten mehrheitlich
jetzt schon dafuer, es sei die einzige realistische Loesung.

Yossi Beilin hatte bereits als Justizminister bis zum verhaengnisvollen
Regierungsantritt vom Likud des Ariel Sharon die Friedensgespraeche
2000/2001 gefuehrt, aber trotz des Scheiterns mit dem palaestinensischen
Minister Abd Rabbou vereinbart, dass man weiterarbeiten wuerde. Offen
gebliebene Fragen werde man schon loesen koennen. Dies dauerte die
erwaehnten drei Jahre, aber nun soll das neue Abkommen am 4. November
unterzeichnet werden, dem Todestag von Yitzhak Rabin. Naturgemaess wurde
intensiver ueber die jeweiligen konkreten Haupt-Nachteile debattiert, die
den beiden Voelker aus dem Abkommen erwachsen. So bedeutet es fuer die
Palaestinenser den De-facto-Verzicht auf ihr Rueckkehrrecht und fuer Israel
die schwer hinzunehmende Teilung Jerusalems sowie die Grenzziehung von 1967.
Sharon ist aufgrund des Planes sowieso in Rage, seine Laune duerfte auch
durch den Umstand nicht besonders gebessert worden sein, dass Yassir Arafat
ueber alle Details hervorragend informiert gewesen sein soll, Sharon jedoch
nur von der Initiative an sich. Die Idee des binationalen Staates war
uebrigens bei den Gespraechen schnell erledigt und weg vom Fenster. Laut
Beilin wuerden die Juden darin frueher oder spaeter eine kleine Minderheit
sein. Ziel war der juedische demokratische Staat, der ein Staat fuer alle
seine Buerger sein sollte.

Bleibt Sharon samt der israelischen Rechten, die mittlerweile eine
unloesbare Klammer zu den Selbstmordattentaten zu bilden scheinen. Sie
duerften sich gegenseitig bedingen, ihre Apparate und Organisationen sind
aufeinander abgestimmt. Herrschende Devise des Handelns duerfte sein: Kein
Nachgeben, um welchen Preis auch immer. Auf Sharons Seite ist es die
Arroganz der Macht, die schiessen, zerstoeren und vertreiben laesst - und
das Wissen, dass die Macht durch Friedensprozesse begrenzt sein koennte.
Sharons Besuch des Tempelberges brachte ihm zwar rechte Stimmen, aber in
Weiterverfolgung seiner Politik den Einstieg in die Todesspirale der
Selbstmordattentaeter ein. "Auge um Auge, Zahn um Zahn" hoert sich
vielleicht in alten Fernseh- und Bibelschinken recht nett und gruselig an,
sollte aber nicht zum politischen Repertoire der Neuzeit gehoeren. So
eskalierten die Ereignisse fast zwangslaeufig. Hier die pure Machterhaltung
auf Kosten der Sicherheit der israelischen Bevoelkerung und dort die fast
globale islamistische Radikalisierung - Sharon versteht sein Handwerk, die
Islamisten ihres.

144 Staaten in der Vollversammlung der Vereinten Nationen fordern Israel
auf, den Bau des 430 km Sperrzaunes in den Palaestinsergebieten zu stoppen.
In Vertretung Sharons kommentiert dies der stellvertretende israelische
Ministerpraesident, Ehud Olmert mit den Worten: "Wir werden ueberhaupt keine
Ruecksicht auf die UN-Mehrheit nehmen, die uns automatisch anfeindet. Die
ganze Welt ist gegen uns und gegen die USA, und ich bin stolz darauf, auf
der Seite der Amerikaner zu stehen." Die Palaestinenser werfen Israel
Landraub durch das Vorschieben des Sperrzaunes in die Palaestinensergebiete
vor. Anstatt die juedischen Siedlungen im West-Jordanland und dem
Gazastreifen sofort zu schliessen, werden neue gebaut. Hochhaeuser im
Gazastreifen werden gesprengt, da auf ihnen die Bewegungen der israelischen
Armee beobachtet werden koennten oder tatsaechlich vielleicht wurden. Die
Greueltaten beider Seiten sind keinesfalls zu entschuldigen. Aber als
Hoffnungsstreifen stellt die liberale Tageszeitung Haaretz zum Genfer
Abkommen fest, damit sei erstmals klar das Recht des juedischen Volkes auf
einen Staat und die israelische Souveraenitaet ueber die Klagemauer
festgeschrieben. Das Problem sei allerdings, dass eine oppositionelle Gruppe
die Politik einer gewaehlten Regierung desavouiere, indem sie geheime
Kontakte mit einem "feindlichen Staat" haelt. Wenn die Initiative nur nach
innen gerichtet ist, sei sie willkommen und legitim, schreibt Ari Shavit von
der Haaretz. Wenn sie allerdings nach aussen gerichtet ist, "bricht das der
legitimen israelischen Regierung das Genick".

Wie gesagt, gute Chancen fuer den Nahen Osten.
*Fritz Pletzl*

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(1)z.B. Standard 23.10. und 25./26.10.

(2)Der haeufig auftretende Begriff "Grenzen von 1967" bezeichnet die Grenzen
von vor dem 5.Juni 1967, dem Beginn des Sechs-Tage-Krieges. Die israelischen
Truppen besetzten damals die heute immer noch annektierten Gebiete sowei die
Halbinsel Sinai. Die in Folge des Krieges verabschiedete UN-Resolution 242
sah einen Rueckzug der israelischen Truppen aus diesen Gebieten vor und
definierte sowohl das Existenrecht Israels als auch seiner Nachbarstaaten in
ihren Grenzen. Bis heute gilt die Resolution allgemein als voelkerrechtlich
verbindlich.


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