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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 30. September 2003; 17:30
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Kommentar:
> Lernen von den Israeli
Das hat Ariel Sharon gerade noch gefehlt: Ein Kriegsheld, der die Politik
des obersten Kriegsherren massiv kritisiert. Brigadegeneral Yiftah Spector
und 26 andere Offiziere der Luftwaffe unterschrieben einen Offenen Brief an
ihr Oberkommando, der es in sich hat: "Wir, Luftwaffenpiloten, erzogen zu
den Werten des Zionismus, ... haben immer gedient an der Front, waren
bereit, jede Aufgabe zu erfuellen, sei sie klein oder gross, den Staat
Israel zu verteidigen und zu staerken. Wir, Veteranen und aktive Piloten,
die dem Staat Israel ... gedient haben und dienen, wollen gegen illegale und
unmoralische Angriffsbefehle auftreten, wie jene, die der Staat Israel in
den [Anm. akin: besetzten] Gebieten durchfuehrt." Sie sagen damit dem
Oberkommando nichts weniger, als dass sie nicht mehr bereit seien,
Bombenangriffe auf zivile Ziele zu fliegen und Unbeteiligte zu toeten, nur
um "gezielte Toetungen" von militanten Palaestinensern durchzufuehren.
So etwas ist wirklich schlimm fuer die Falken in Jerusalem. Zwar versuchen
fast alle einigermassen breitenwirksamen Medien die Sache herunterzuspielen,
unter anderem, indem sie darauf verweisen, dass es sich ausschliesslich um
Reservisten und Pensionisten handle. Keiner von ihnen waere in letzter Zeit
in die Lage gekommen, verweigern zu muessen. Doch das hilft nicht weiter: In
Israel gelten Flieger als "die Elite der Elite" des Militaers. Bislang waren
es nur Angehoerige der Bodentruppen, die gegen diese Art von Krieg
opponierten und es waren Raenge bis hinauf zum Major. Auf dieser neuen Liste
stehen neun Oberstleutnants, zwei Oberste und eben jener Brigadegeneral.
Yiftah Spector ist geradezu eine lebende Legende, befehligte Staffeln und
Basen und nahm an der Bombardierung eines Nuklearreaktors im Irak teil.
Junge Piloten wurden erzogen mit Schlachtengeschichten ueber Spector und mit
den Buechern, die er verfasste. Kein militaerisches Leichtgewicht also und
in der israelischen Gesellschaft ist damit sein Protest auch keine
politische quantité négligeable. Wenn so jemand sagt, diese Aktionen sind
unmoralisch, hat das Gewicht. Wenn so jemand sagt, es gaebe in der
israelischen Armee auch eine Menge staendig aktiver Piloten, die sich
mittels einer "grauen Verweigerung", sprich mit Tricks und privaten
Vereinbarungen mit ihren Kommandanten, diesen Aktionen entzoegen, so glaubt
man ihm das -- schliesslich ist Spector immer noch noch als Ausbildner in
der Luftwaffe taetig.
Auch wenn in den Medien fast die einhellige Meinung herscht, dass dies
nichts bedeute, so stellt sich doch die Frage, ob hier nicht schon breite
Schichten der israelischen Eliten der Falkenpolitik Sharons den Boden
entziehen. Die israelische Gesellschaft scheint genug von einem Krieg zu
haben, von dem sie nicht nur immer weniger der Ueberzeugung sein kann, dass
er moralisch legitimiert sei, sondern auch, dass sie ihn jemals "gewinnen"
werde. Und dieses Unbehagen erscheint als die einzige wirkliche Chance auf
Frieden. Die palaestinensische Seite als die schwaechere kann nicht
zurueckziehen. Es muss die staerkere tun und das ist Israel. Doch das wird
nur geschehen, wenn diese Gesellschaft aus ihrem Inneren dazu angetrieben
wird -- nicht ueber das Parlament und nicht ueber die Medien, sondern ueber
Bewegungen, die sich trauen, Fragen zu stellen. Hunderte Soldaten haben aber
nicht nur gefragt und sich selbst Antworten gegeben, sondern daraus auch
Konsequenzen gezogen, die sie zum Teil ins Gefaengnis gebracht haben, zum
Teil ihre Karrieren zerstoerten. Diese 27 Piloten haben jetzt das ihre getan
und ihren Heldenstatus geopfert. Wenn Menschen in Uniform erkennen, dass sie
ohne ihre Uniform auch Zivilsten sind, die das Recht auf zivile Gedanken
haben, dann bricht etwas auf.
Der Friedensaktivist Uri Avnery meinte in einem Kommentar: "Es war
unmoeglich, einen Fernseher einzuschalten, ohne den Luftwaffenkommandanten
zu sehen, und hinter ihm eine lange Reihe von Figuren aus dem Establishment,
die, einer nach dem anderen, die Piloten verurteilten. Armeelager wurden
fuer die Kameras geoeffnet, loyale Offiziere verdammten ihre Kameraden als
Verraeter, die ihnen einen Dolchstoss in versetzt haetten. Ausser eines
einzelnen Interviews auf Kanal 2 bekamen die Verweigerer ueberhaupt keine
Moeglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Kein Zweifel: Das
Establishment ist beunruhigt. Moeglicherweise gelingt es, den Protest
diesesmal noch einzudaemmen und andere potentielle Meuterer durch
Diffamierung, Angstverbreitung und Strafen einzuschuechtern. Aber die
Botschaft der 27 ist in der Welt und niemand kann daran was aendern."
Diese Bewegungen werden weitergehen. Sie muessen weitergehen. Wenn etwas den
Frieden bringen kann, dann dieses Verhalten von Einzelnen, die lange Zeit
immer brav gemacht haben, was man ihnen befohlen hat und die dann irgendwann
ohne Ruecksicht auf die persoenlichen Konsquenzen sagen: "Es reicht!"; und
die sich dann Menschen suchen, die auch so denken.
Doch das ist nicht eine Sache Israels allein. Krieg gibt es nicht nur in
Israel -- und wirklichen Frieden, wo gibt es den schon?
Wir alle koennen von jenen Verweigerern etwas lernen.
*Bernhard Redl*
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