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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. September 2003; 16:28
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Bildung:
> Kein Geld fuer Prolos
Gesamtschulen in Oesterreich und Finnland
Unbeachtet der europaweiten Sparzwaenge wird wieder mal ueber eine alte
linke Forderung, die Gesamtschule, heftig diskutiert. Nicht ganz unschuldig
daran duerften die Pisa-Studie und der nachgewiesene Erfolg des Finnischen
Schulsystems sein. Das Wunschmodell stellt sich fuer die Proponenten dieses
Schulmodells sozial und egalitaer dar - also z.b. Begabungen moeglichst
unabhaengig der Schichtzugehoerigkeit mit allen Mitteln zu foerdern. Ziel
des Ganzen ist ein maximaler Gesellschaftsgewinn durch aufgeklaerte kluge
Jugendliche aus allen Einkommensschichten, die sich nach Moeglichkeit kein x
fuer ein u vormachen lassen und die so nebenbei moeglichst bald die
Wirtschaft des Landes im Schwung halten. Als besonders brutal wird der Zwang
auf Zehnjaehrige empfunden, bereits eine Berufswahl treffen zu muessen.
Mit diesem Modell wuerden die bestehenden Klassengegensaetze, wenn schon
nicht abgeschafft, dann wenigstens reduziert. Die Toleranz der entstehenden
neuen Gesellschaft ergibt sich schon aus der egalitaeren Zusammensetzung der
zukuenftigen Eliten, wird vermutet. So wird auch durch die angestrebte
Chancengleichheit fuer alle den symbolisch gemeinten Ich-AGs der Kampf
angesagt werden. Noetig dazu waeren allerdings enorme Investitionen im
Bildungsbereich. Dieser
Finanzbedarf wuerde sich aber locker durch die zu erwartenden
gesellschaftlichen Gewinne wieder "hereinspielen" - abgesehen von den
riesigen Betraegen fuer Nachhilfe, den verlorenen Lebensjahren durch
misslungene Nachzipfe, dem Frust unbeschaeftigter oder minderwertig und
falsch beschaeftigter Jugendlicher. Wir haetten vielleicht auch eine weniger
stigmatisierende Gesellschaft - mehr Bildung duerfte weniger
"Kronen-Zeitung" bedeuten.
Trotz der Diskussionen und den Erfolgsaussichten gab es die Gesamtschule in
Oesterreich erst ab 1971 im Schulversuch. 1982 wurde diese Struktur auf 3
Leistungsgruppen auf verschieden hohem Niveau in Deutsch, Englisch,
Mathematik, sowie auf Stuetz- und Foerderkurse ausgedehnt. 1985 gabs zwar
bereits die naechste Reform - dies allerdings bezog sich alles nur auf die
Hauptschulen des Landes. Die Sozialdemokraten oeffneten zwar die AHS
weitgehend auch fuer "bildungsfernere" Schichten, von der realen
Gesamtschule war aber auch unter roten Bildungsministern keine Rede auf
baldige Realisierung. Gegenueber den OeVP-Vorgaengern hatten die
SP-Bildungsminister fuer enorme Erleichterungen beim Schul- und
Universitaetszugang gesorgt. Aber bereits in der kurzen zweiten
Regierungsperiode der schwarzblauen Koalition zieht eine Studie des
Instituts fuer Familienforschung vom heurigen Fruehjahr den Schluss, das
oesterreichische Schulsystem reproduziere nicht nur die sozialen Klassen,
sondern verschaerfe die Gegensaetze noch.
Pikanterweise und einigermassen kontrastierend zur Sparwut der Koalition
meint Bildungsministerin Elisabeth Gehrer noch vorige Woche, dass "sie ein
Gesamtschulmodell nicht fuer schlechter haelt", der Aufwand im Umbau der
Schulorganisation stehe jedoch nicht dafuer, die Gesamtschule einzufuehren.
Selbstredend fuehrt das Geamtschulmodell zu mehr sozialer Gerechtigkeit,
genauso selbstredend ist dies das Gegenteil dessen, was den Christdemokraten
im Bildungsbereich vorschwebt. Was sollte eine Gesamtschule der OeVP real
nuetzen? Die Produktion von politikinteressierten Jugendlichen aus
einkommensschwachen Schichten kann es ja nicht gerade sein. Das Foerdern von
sozialen Erkentnissen dieser unserer Gesellschaft duerfte ihr keine
Waehlerstimmen bringen. Also warum auch nur einen Cent an dieses Modell
verschwenden, koennten sich Gehrer und die schwarze katholische Bande leicht
denken. Umso besser zieht konservatives Eliten-Denken, unter sich und
leistungsorient sein - vor allem Hierarchien zu akzeptieren, statt in Frage
zu stellen, christlich und kapitalistisch zu sein. Die Gesamtschulen sind
fuer die OeVP unnoetige Ausgaben, ja sogar schaedliche.
Doch Frau Gehrer drueckt nicht nur Freude ueber das hierzulande praktizierte
Bildungssystem aus, auch ueber die Unis kommen ihr nur Lobsprueche von den
Lippen. Wie gut und besser alles geworden sei, die Autonomie sei endlich
da - naechstes Jahr gebe es sogar wieder ein Budget, durch die
Studiengebuehren sei endlich die Zahl derer weg vom Fenster, die nur
pseudo-inskribiert haetten. Und alle seien reichlich versorgt, denn fuer
Notleidende gebe es ja ausreichende Stipendien. Dass es Betrug an allen
Studierenden und einen ungeheuren Skandal darstellt, dass die
Studiengebuehren bisher statt in die Unis zum Teil in das Budget flossen,
markiert eine weitere Entwicklung der hierzulande gepflegten
Bildungspolitik. Doch sehen wir weiter: Norbert Schaller vom VCL (der
Vereinigung christlicher Lehrerinnen und Lehrer an den Hoeheren Schulen
Oesterreichs) warnt am 17.4. vor "pseudofinnischen" Gesamtschulexperimenten
in Oesterreich. Die Folgen waeren mit der derzeitigen finanziellen Decke
zwar weiterhin Klassen mit 30 Schuelern fuer einen unterrichtenden Lehrer,
der jedoch eine mangelnde Ausbildung besitzen wuerde. Ihm wuerden weder
Unterstuetzung durch Spezialisten wie Psychologen und Kuratoren, noch
Unterrichtsassistenten zuteil. Er haette kein differenziertes Lehr- und
Lernmaterial zur Verfuegung. Er muesse vor einer Aenderung derzeit sogar
warnen.
Schaller warnt davor, was eh nicht passieren wird. Kein Geld fuer Prolos in
Oesterreich. Denn das finnische Zauberwort, womit der erste Preis der
Pisa-Studie in Helsinki landete, heisst Geld fuer die Bildung - viel Geld.
Was mit dem Geld dann in Finnland tatsaechlich passiert, zeigen folgende
Beispiele. Stichwort Integration: Auslaendische Kinder muessen verpflichtend
Finnisch oder Schwedisch lernen, bevor sie in eine normale Klasse gesetzt
werden. Es existieren Eliteschulen fuer besonders Begabte. Schulautonomie:
es werden verschiedene Unterrichtsangebote (z.b.: Russisch, Japanisch,
Deutsch) in verschiedenen Ballungszentren angeboten. Nachhilfe: In jeder
Gesamtschule existieren mehrere Planstellen nur fuer den Foerderunterricht
lernschwacher Kinder. Diese werden phasenweise durch Einzel- oder
Gruppenunterricht an die Leistungen der uebrigen Schueler herangefuehrt.
Klassenschuelerhoechstzahl: in der Regel nicht mehr als 20 Schueler! In
jeder finnischen Gesamtschule arbeiten ganztaegig eine Krankenschwester,
eine Kuratorin mit sozialpaedagogischer Ausbildung und eine Psychologin fuer
schwere Faelle. Weiters stehen mehrere Speziallehrer fuer den
Foerderunterricht und mehrere Unterrichtsassistenten zur Entlastung des
Klassenlehrers zur Verfuegung. In jeder Schule gibt es eine Kueche mit
Kuechenpersonal und Speisesaal. Die Aufgabenstellungen bei der Matura
erfolgen zentral.
*Fritz Pletzl*
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