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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 23. September 2003; 16:31
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Kommunal/Diskussion:

> Auch Maenner sind Menschen

Zu Roman Gutsch: "Gender City", akin 22/03 und akin-pd 16.9.2003


Stadtplanung ist Gesellschaftspolitik. Stimmt. Staedtebauliche Wuensche
haben ein Geschlecht. Angeblich. Manchmal stimmt das.

Stadtraeume spiegeln nicht nur, wie in dem Artikel von Roman Gutsch richtig
steht, die gesellschaftlichen Machtverhaeltnisse wider, sie reproduzieren
sie auch. Feministische Stadtforschung hat nun - laut diesem Artikel - die
Absicht, "die raeumliche Benachteiligung von Frauen, die fehlende
Chancengleichheit" ins Bewusstsein zu ruecken.

Beispiel: Die sogenannten "Schlafstaedte" der 70er Jahre, wo "Frauen den
ganzen Tag schufteten". Ich bin irritiert. Ist es nicht auch unangenehm,
dass in diesen Trabantensiedlungen jede vernuenftige Infrastruktur fuer die
Maenner fehlt? Das naechste Beisl ist irgendwo in der Steppe, der naechste
Fussballplatz ebenso.

Beispiel: Die damals geplanten Wohnungen haben riesige Wohnzimmer, der Rest
der Raeume ist briefmarkengross. Ich kann mich noch gut an die Diskussionen
ueber diese Wohnungen damals erinnern. Das Hauptargument der Architekten
war, dass ein grosser Raum fuer die gemeinsamen Aktivitaeten der Familien
zur Verfuegung stehen solle und sie damit foerdern koenne. In den
abgeschotteten Kuechen sind nicht nur die Frauen isoliert, sondern auch die
durchaus kochwilligen Maenner.

Meiner Meinung nach ist die Planung dieser Stadtrandsiedlungen nicht nur
frauenfeindlich, sie ist auch kinderfeindlich und maennerfeindlich - also
menschenfeindlich, weil sie an den Grundbeduerfnissen der Individuen
vorbeigeht.

Wenn unter Genderperspektive verstanden wird, dass frauenfreundlich gebaut
wird, was heisst das dann? Zementieren wir dann nicht fuer alle Ewigkeiten
die Ansicht, dass nur Frauen Kinderwagerln schieben und daher Rampen
brauchen, dass nur Frauen in den Wohnraum integrierte Kuechen brauchen,
damit sie nicht so isoliert sind beim Kochen, und dass sich nur Frauen in
finsteren, einsamen Gaengen und Tiefgaragen fuerchten. Maenner fuerchten
sich genauso (ausser sie sind Boxer und zwei Meter gross), sie gebens nur
nicht gern zu.

Dass Maedchen Rueckzugsgebiete brauchen, auf die maennliche Jugendliche
keinen Zugriff haben, dem stimm ich zu. Maennliche Jugendlich verschaffen
sich diesen Freiraum leichter, aber auch sie muessen ihn sich "erkaempfen",
indem sie oeffentlichen Raum fuer sich beanspruchen. Er wird ihnen nicht zur
Verfuegung gestellt. Das ist der einzige Punkt, wo ich auch der Meinung bin,
dass eingegriffen werden muss, indem Maedchen Raum zur Verfuegung gestellt
wird.

Aber sonst: Gehen die Ansprueche von Maennern und Frauen wirklich so weit
auseinander, was Wohnen anbelangt? War es nicht eher so, dass die
Stadtplanung bis zum Gender-Mainstreaming nicht nur vom maennlichen Menschen
ausging, sondern vom maennlichen, voellig gesunden, jungen, grossen,
selbstbewussten Normmodell ohne mehr Beduerfnisse als ein Dach ueber dem
Kopf zu haben. Die Wohnungsplanung ging ebenso vom Familien-Normmodell aus:
Vatermutterzweikinder - alle lieben einander, streiten nie und spielen
abends DKT - im schoenen grossen Wohnzimmer. Divergierender Musikgeschmack
oder Geschwister, die einander nicht leiden koennen, waren nicht vorgesehen.

Das Gute an der neuen Entwicklung ist, dass erstmals Menschen als Wesen mit
besonderen Beduerfnissen ernst genommen werden, das Verdaechtige ist nur,
dass so, wie das manchmal daherkommt, die Frauen wieder in das Eck der armen
kleinen Schutzbeduerftigen gedraengt werden. Aber Maenner sind auch Wesen
mit besonderen Beduerfnissen, brauchen auch Rampen zum Kinderwagerlschieben
und wollen beim Kochen nicht ganz allein sein. Daher brauchen sie auch
Wickelraeume in Maennerklos. Und den Mut zuzugeben, dass sie besondere
Beduerfnisse haben und sich in dunklen Tiefgaragen fuerchten.

Frauenfreundlich bauen heisst also letztendlich menschenfreundlich bauen.
Aber Maenner sind auch Menschen.
*Ilse Grusch*



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