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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2003; 05:41
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Nachruf:

> Susi Rosner-Valter 1946-2003

Susi Valter wurde 1. Mai 1946 geboren, in einer Periode, die von Armut und
Hoffnung auf eine bessere Zeit gepraegt war. Ihr Vater, ein Polizist, die
Mutter eine Bueroangestellte. Nach deren Trennung bedeutete das Armut, weil
der Vater nach einem schweren Unfall nicht mehr arbeiten konnte. Der
Hoffnung auf eine bessere Zeit wurde aber nachgegeben: Susi wurde in die
Mittelschule geschickt, eine fuer die damalige Zeit noch seltene
Entscheidung.

Nach Abschluss der Schule begann sie zu studieren. Auch das war damals eher
selten. Fuer Maedchen mit dem Abschluss einer Handelsakademie war Mitte der
60er Jahre der gehobene Buerodienst die adaequate Beschaeftigung, wenn nicht
ausreichend finanzielle Mittel fuer ein Studium vorhanden waren. Die Zeit
des Studiums fiel in die Periode des politischen Aufbruchs der spaeten 60er
und fruehen 70er Jahre. Susi war stark engagiert. Auch die Wahl des Faches
war davon beeinflusst. Das Studium der Volkswirtschaft war ihr der
Schluessel fuer die Erklaerung und die Veraenderung der Welt.

Nach dem Ende des Studiums begann sie in der Wirtschaftswissenschaftlichen
Abteilung der Arbeiterkammer zu arbeiten. Das schien der ideale Platz.
Schliesslich war die Arbeiterkammer ein intellektuelles Zentrum fuer die
Planung der Loesung der Aufgaben, die die sozialistische Regierung damals zu
bewaeltigen sich vorgenommen hatte. Aber diese Taetigkeit hat sie doch nicht
befriedigt. Nach einer laengeren Unterbrechung der Arbeit, zunaechst ein
Jahr in London und dann die Geburt unserer Sohnes, erkannte sie, dass das
Entwerfen von Plaenen durch theoretische Arbeit, so wertvoll das auch sein
mag, nicht ihr Leben dominieren darf.

Das hatte zwei Gruende. Erstens, sie moechte mit Menschen arbeiten. Damit
hatte sie in London begonnen, naemlich unbezahlte Hilfe in einem Tagesheim
fuer Alte. Es war ihre erste Arbeit im sozialen Bereich. Zweitens, planende,
theoretische Arbeit wird oft zur Produktion von Papier. Die Welt laesst sich
nicht so leicht aus den Angeln heben. Diese Taetigkeit mag schon wichtig
sein, aber fuer Susi war es von Bedeutung, dass Veraenderungen auch wirklich
gemacht und erlebt werden koennen.

Sie gab jedenfalls die Beschaeftigung in der Arbeiterkammer auf und begann,
eine neue Qualifikation zu erwerben, naemlich die der Sozialarbeit. Auch das
war ein ungewoehnlicher Schritt. Denn selbst wenn es eine zusaetzliche
Qualifikation war, nach herrschenden Vorstellungen war es keine hoehere
Qualifikation. Akademikerin war sie ja bereits, und Sozialarbeiter sind im
herkoemmlichen Verstaendnis und damit auch Einkommen und Prestige eine Stufe
darunter angesiedelt.

Sie begann ihre, jetzt bezahlte, Taetigkeit im sozialen Bereich am Jugendamt
als Fuersorgerin, dann in der Zentrale der Fuersorge, wo sie erst fuer
Kontakte zu Geburtskliniken und dann fuer Wohnungsfragen im Zusammenhang mit
Jugendlichen zustaendig war. Ihre weiteren Positionen waren ein Verein zur
Beschaeftigung von nicht integrierten Jugendlichen, denen eine Perspektive
im Arbeitsleben gegeben werden sollte; dann das Buero von Stadtraetin
Smejkal, wo Kontakte zur Oeffentlichkeit und die Planung von Projekten ihre
Aufgaben waren. Anschliessend ging es wieder in den direkten Vollzug. Sie
liess sich von Dienst bei der Gemeinde karenzieren und wurde Leiterin des
Personals von Sozial Global, einem Anbieter von Pflegediensten. Als die
Moeglichkeit zur Karenzierung zu Ende war, kehrte sie in den Dienst der
Gemeinde zurueck, zunaechst in die Frauenabteilung, wo sie unter anderem den
Frauennotruf aufbaute, und dann wiederum ins Buero der Sozialstadtraeten,
Frau Grete Laska. Schliesslich uebernahm sie die Leitung des Pensionisten-
und Pflegeheims Hetzendorf.

Aeusserlich gesehen war es also eine erfolgreiche Berufslaufbahn. Nach dem
Vorspiel mit wissenschaftlicher Arbeit begann sie als unbezahlte Hilfskraft
in der Altenbetreuung in London und beendete ihre Taetigkeit als Leiterin
eines grossen Heimes in Wien. Aber es war nicht bloss ein Erfolg als
Berufslaufbahn gesehen.

Von Sozialarbeitern wird oft vermutet, sie wollen helfen. Das wollte sie
sicher. Wenn dann jemand eine gute Position zur Planung von
Wirtschaftspolitik aufgibt, um in diesem Bereich taetig zu sein, so wird das
von vielen als Opfer verstanden, naemlich Gutes zu tun fuer andere. Susi hat
aber kein Opfer bringen wollen. Sie hat in ihrem Verstaendnis nicht das
eigene gute Leben hintangestellt, um anderen zu helfen. Zu sehr war sie von
dem Wunsch beseelt, gut zu leben. Es schien ihr geradezu absurd, sich dafuer
einzusetzen, dass es anderen Menschen gut geht, wenn man es nicht auch fuer
sich in Anspruch nimmt. Es war aber so, dass fuer sie ein zentraler Aspekt
eines guten Lebens war, mit Menschen zu arbeiten und konkrete Veraenderungen
erleben zu koennen. Es ist das wohl eine Unbescheidenheit gewesen, die ihr
eigen war. Sie wollte sich nicht damit begnuegen, gedacht zu haben, wie die
Welt besser sein koennte, sondern sie wollte erleben, wie das passiert.

Dieser Wunsch bestimmte ihren Arbeitseinsatz in all ihren Taetigkeiten. Das
betrifft zunaechst die Menge der Arbeit. Die war sehr gross. Und zwar so
gross, dass sie in letzter Zeit immer wieder Treffen mit Freunden absagen
musste. Es ging ihr aber nicht um eine grosse Zahl abzufertigender Personen
oder zu erledigender Akten.

Auch die Form der Arbeit war vom Wunsch nach dem Erleben von Veraenderungen
bestimmt. Das Sozialsystem der Gemeinde Wien durch neue Projekte und
kompetenten Vollzug auszubauen und damit als politische Option zu
unterstuetzen war fuer sie wichtig. Sie verstand ihre Taetigkeit als eine
politische Arbeit. Nicht in dem Sinn der Auseinandersetzung mit einem
ideologisch-politischen Gegner - dazu war der Inhalt der Sozialarbeit
zwischen den politischen Gruppen der Stadt zu unumstritten - sondern als
Notwendigkeit einer dauernden Veraenderung, um das Projekt einer sozialen
Stadt langfristig erhalten zu koennen.

Dass solche Veraenderungen in einer grossen Institution, wie es die Gemeinde
Wien ist, nicht immer ganz einfach sind, versteht sich von selbst. Susi ist
aber nicht als grosse Reformerin angetreten, die es jetzt allen zeigen wird,
wie es denn geht. Sie hat immer mit den Beschaeftigten gearbeitet. Sie
benoetigte keine Hochglanzbroschueren ueber new public management, sondern
hat die postulierten Zielsetzung dieses Schlagworts als selbstverstaendlich
betrachtet.

Sie hat auch die Betroffenen der Sozialarbeit, also die Kunden, in ihre
Arbeit einbezogen. Diese waren in einem traditionellen Verstaendnis
staedtischer Sozialpolitik Objekte der Fuersorge. Alleinerziehende Muetter,
langfristig Arbeitslose, Obdachlose, alte Menschen und andere, von denen
vermutet wird, dass sie aus dem einen oder anderen Grund nicht fuer sich
selbst sorgen koennen. Susi hat gewusst, dass das in vielen Faellen nicht
ganz unrichtig ist und es stand ihr fern, diese Menschen zu idealisieren
oder als blosse Opfer der Gesellschaft oder sonstiger widriger Umstaende zu
sehen. Aber es war ihre tiefe Ueberzeugung, dass diese Menschen nicht nur zu
verwaltende und zu unterstuezende Objekte sind, sondern dass man sie aktiv
einbeziehen kann. Dass sie in diesen Bereichen neue Wege beschritt und dabei
Erfolg hatte, konnte man vor nicht ganz drei Wochen im Kurier lesen. Und es
ist auch ein Erfolg gewesen, dass sie das Europazertifikat fuer die Fuehrung
von Pensionistenheimen bekommen hatte. Meines Wissens gibt es in Wien nur
eine weitere Person, die das erhalten hatte.

Der Wunsch, Menschen, seien es Mitarbeiter, seien es Klienten, in ihre
Taetigkeit einzubeziehen, und Freunde an den Problemen und Erfolgen ihrer
Arbeit teilhaben zu lassen, war nicht eine programmatische Festlegung. Er
entsprang ihrer Lust an Kontakt mit Menschen und an ihrer Faehigkeit, auf
andere Menschen zuzugehen. Es gab nie ein von oben herab, es war aber auch
keine falsche Bescheidenheit im Umgang mit anderen. Dies hat wohl jeder
erlebt, der oder die mit ihr zu tun gehabt hatte. Es sind wohl auch deshalb
heute so viele gekommen.

Ihr Leben war aber nicht nur von Arbeit bestimmt. Auch wenn sie sehr viel
gearbeitet hat, vielleicht sogar zu viel. Sie war nicht arbeitssuechtig,
weder fuer eine Karriere noch aus dem Motiv der Aufopferung. Sie wollte gut
leben. Das hat geheissen, mit Simon zu sein, Freunde zu treffen, einen
Urlaub zu geniessen, gut zu essen, zu fotografieren, Konzerte zu besuchen,
oder einfach auch gar nichts zu tun und faul in einer Sauna herumzuliegen.
Wenn man mit ihr war, bemerkte man, dass all das sinnliche Lust bereitete.
Es war eine Lust auf die Welt. Zu frueh ist das zu Ende gegangen.



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