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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2003; 06:23
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WTO/Kommentar:

> Zwischen Protektionismus und freiem Markt

Linke Gratwanderung in Cancún

EU-Kommissar Fischler legte noch vor Cancún am 2.9. in der deutschen Zeitung
"die Welt" ziemlich fest, welche Standpunkte die EU-Agrarpolitik einnehmen
wuerde. Es gebe zwei klare Zielsetzungen: in der Ernaehrung, und das sei
einer der sensibelsten Bereiche ueberhaupt, "wollen wir nicht von
Dritt-Staaten abhaengig werden". Aus strategischen Ueberlebungen heraus
muesse es eine gewisse Selbstversorgung geben. "Dazu brauchen wir zu einem
gewissen Grad eine eigene Landwirtschaft in Europa". Aber es gehe ja nicht
nur um den einzelnen Landwirt auf seiner Scholle. An der Landwirtschaft
haenge "eine der groessten Industriebranchen in Europa", die gesamte
Lebensmittelindustrie. Sie sei quasi ein Anhaengsel der Landwirtschaft.
Fischler findet klare Worte zum derzeitigen Hauptthema in Mexiko: "Was wir
Foerderung oder Subvention im Agrarbereich nennen, ist doch laengst eine
Abgeltung von Leistungen, die durchaus im Gemeinwohl liegen." Die
EU-Agrarpolitik sei nicht mehr nur reine Gueterherstellung. Auf mehr als der
Haelfte der EU-Agrarflaeche wirtschafte die Landwirtschaft in
benachteiligten Gebieten. Aber genau diese Gebiete seien oekologisch und
fuer die Attraktivitaet "unserer Kulturlandwirtschaft ungeheuer wichtig". We
nn die Landwirte dort "Landschaftspflege und Umweltschutz betreiben, ist
dies notwendig und verzerrt in keinster Weise den Welthandel mit
Agrarprodukten - wie von der WTO gefordert".

Wenn der hoechste Repraesentant des Landwirtschaftsressorts der EU von der
Haelfte der Produktion in benachteiligten Gebieten spricht, und dass die
Subventionen nicht geschenkt, sondern bloss eine Leistungsabgeltung
darstellten, denkt er wahrscheinlich nicht im Traum daran, die
Subventionspolitik in Cancún wesentlich - also substantiell genug fuer
oekonomische Verschiebungen - zu veraendern. Fahim Amir beschrieb 1991 kurz
die Vorgaben der EU-Agrarpolitik: Festgeschriebenes Ziel der Agrarpolitik.
in Deutschland und der EG sei es, die Existenz baeuerlicher Familienbetriebe
zu sichern. Da die Weltmarktpreise fuer Agrarprodukte aber nur Grossbauern
... wirtschaftliches Arbeiten ermoeglichen wuerden, "werden staatliche
Abnahmegarantien zu kuenstlich erhoehten Preisen gegeben, die diese Produkte
unter rein marktwirtschaftlichen Bedingungen nur mit wenigen Ausnahmen
erzielen wuerden".

Diese Praxis der Produktpreise und keiner direkten Beihilfen an die
Landwirte fuehrte in der gesamten EU zu bekannten Mustern: Die Aenderung der
Betriebsgroessenstruktur in Agrarbetrieben - nach oben. Die letzte Agenda
versucht zwar, diesem produktbehafteten Trend zugunsten von
Direktfuerderungen gegenzusteuern, stoesst allerdings auf die in diesem
Bereich aeusserst sensiblen Nationalinteressen. Auf jeden Fall produzierten
die EU in munterer Serie Fleischhalden, Butterbergen, Milchseen und nach der
1. BSE-Krise einen "Berg von ueber 600 000 Tonnen Rindfleisch" laut Barbara
Brandstaetter von der Berliner Morgenpost 2001. Die EU sind der weltweit
groesste Exporteur von Lebensmitteln. Damit dies auch so bleibt, ist
Ueberschussproduktion weiter noetig, denn dies senkt (trotz der gewaltigen
Subventionen, diesmal mit Exportfoerderungen versehen) die Preise, und nur
mit guenstigen Preisen kann sich die EU-Agrarindustrie zur Zeit auf dem
Weltmarkt behaupten.

Mit den herumzirkulierenden, zu Viehfutter zermanschten oder gleich ganz
vernichteten Ueberschussprodukten koennten alle Entwicklungslaender auf der
Stelle ernaehrt werden. Wie auch immer: die armen Laender fordern auf jeden
Fall in Cancůn die voellige Abschaffung von Exportsubventionen sowie
Marktzutritt und Massnahmen zur Foerderung laendlicher Entwicklung. Dass
dies keine Einbahnstrasse der Wuensche darstellt, aeussert ein
US-Handelsbeauftragter im Wall Street Journal diesen Juli: "Es waere ein
schwerwiegender Fehler, irgendeinem Land zu gestatten, sein Veto gegen das
Streben der Vereinigten Staaten nach globalem freien Handel einzulegen".
Anders ausgedrueckt: jedes "Entgegenkommen" seitens der Industriestaaten,
vor allem der USA - wird die "Empfaengerlaender" aeusserst teuer zu stehen
kommen. Die USA und auch Fischler vertreten formal den Standpunkt: Was einem
Land gestattet ist, darf einem anderen nicht verboten werden, selbst bei
aeusserst ungleicher Ausgangsbasis. Dies steht dann im Kleingedruckten:
Ueber Kinkerlitzchen koenne man allerdings reden.

Faszinierend ist in dem Zusammenhang eine gewisse Marschrichtung, die ohne
Umweg zum freien Markt fuehrt, und das noch durch selbst gewuenschte
Vertraege abgesichert. Das Wettern gegen die "brutalen" Weltmarktpreise, die
etliche Staaten aus dem Handel einfach ausklinkte und herkoemmliche
Produktionsweisen verdraengte, wich sukzessive der Forderung fuer weltweite
Marktwirtschaft. Die WTO laesst schoen gruessen - damit wird der
internationale Grabgesang fuer staatlichen Interventionismus eingelaeutet.
Auch wenn die Vorgangsweisen und die Forderungen der betroffenen Staaten nur
zu verstaendlich erscheinen, von Exporthemmungen oder Subventionspreisen der
Mitanbieter befreit zu werden, ihr Markt wird sich dieser Zukunft anpassen
muessen - siehe Wall Street Journal. Der Handel zwischen Nord und Sued ist
unter den geschilderten Umstaenden ein zu heikles Terrain, um hier
Forderungen fuer eine Erhoehung oder zumindest Beibehaltung der nationalen
Kompetenzen und der nationalen Politiken zu erheben. Dass in Cancún weder
die USA noch die EU sich ungeheuer um die Souveraenitaet der Staaten
kuemmern werden, duerfte aber klar sein. Die Abschaffung der
Subventionspraktiken wird laut Fischlers ziemlich klaren Worten ebenso nicht
in der erforderlichen Hoehe in Sicht sein. Nur, bei den naechsten Gats- und
Globalisierungs-Demos bin ich schon wieder lieber bei den Antis.
*Fritz Pletzl*


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