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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 16. September 2003; 06:24
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WTO/Kommentar:

> Krokodile in Cancun

*Christian Felber* war bei der WTO-Konferenz in Cancun

Noch einmal konnte ich vor der grossen Konferenz ohne "Hundebandl" meinen
Morgenlauf absolvieren - ohne dass mich die wachsende Schar von
Lokalpolizisten, Nationalpolzisten und Militaerpolizisten schief ansah,
aufhielt oder filzte. Cancun liegt auf einem schmalen Landstreifen, der eine
rund 20 Kilometer lange Lagune einrahmt. Auf dem Landstreifen draengt sich
ein 5-Sterne-Hotel neben dem anderen, eines protziger als das andere, eines
kontrastreicher zum uebrigen armen Mexiko als das andere. Nur an zwei
duennen Nadeloehren gelangt man vom Festland auf den Landstreifen, und dort
wird ab morgen "abgezwickt". Wer nicht das Hundebandl traegt, also als NGO
oder Pressemensch in einem aufwaendigen Verfahren akkreditiert ist, muss auf
Bewegungsfreiheit verzichten. Der Polizeichef von Cancun soll gesagt haben,
der duenne Landstreifen sei ideal als Tagungsort, hinten die Krokodile und
vorne die Haie. Beim Lokalaugenschein sah ich zwar nur Kriegsschiffe und
keine Haie, aber die Krokodile gibt es in der Lagune nach Auskunft eines
Bootsvermieters tatsaechlich, "aber sie sind sehr klein und haben Angst.
Wenn sie einen Menschen sehen, schwimmen sie davon."

Und nochmals konnte ich durch eine Sicherheitsluecke schluepfen. Als ich vom
einzigen oeffentlichen "Strand" - kaum zehn Meter breit - mich durch ein
Hotel schmuggle, stehe ich ploetzlich badeshorty im Fruehstuecksraum, wo 100
teure Massanzugtraeger bei 18 Grad Celisus Fruchtsaefte trinken. Beim
Raushuschen komme ich am "EC delegation room" und an der "French delegation"
vorbei: das richtig Hotel derwischt. Draussen auf der Strasse werden bereits
Gitter angebracht. Die Strasse wird zum Korridor, der mich an den Stierlauf
von Pamplona erinnert. Wer drinnen ist und wer draussen, ist Ansichtssache.
Manche meinen, die wahren Krokodile saessen in den Hotels. Die
KleinunternehmerInnen sind ungluecklich. Haetten sie schon mit den
"hermetischen" Hotels kein leichtes Los, weil diese vom Trip nach Tulum bis
zur Disco alles selbst anboeten, so werden sie durch den Gitterkorridor auch
noch von den restlichen Touristen abgeschnitten.

Der Freihandel ist ohnehin nicht sehr beliebt in Mexiko. Zu einschneidend
sind die Erfahrungen mit dem NAFTA. Entsprechend gab es schon vor zwei
Jahren eine Riesendemo in Cancun - gegen die geplante Allamerikanische
Freihandelszone FTAA. Damals, erzaehlt die Barfrau, sei nur die lokale
Polizei zum Einsatz gekommen und habe grundlos wie wild auf die
DemonstrantInnen eingeschlagen. Es gab zahlreiche Verletzte, aber keine
Beweise: JournalistInnen wurden die Kameras weggerissen, damit sie nicht
filmen konnten. Diesmal hofft sie, wird es besser, "weil die Militaers aus
Mexiko City da sind. Die sind zur Schule gegangen".

Knackpunkt Landwirtschaft

Landwirtschaft wird der groesste Brocken. Im Sueden gehen Millionen
BaeuerInnen bankrott, weil der Norden milliardenschwere Subventionen zahlt.
Die EU hat ihre Export-Subventionen zwar seit 1990 von rund zehn auf rund
drei Milliarden Euro reduziert, aber das sind immer noch drei Milliarden
Euro zu viel. Zweitens koennen auch die nicht fuer explizit fuer den Export
bezahlten Subventionen die Ausfuhren ankurbeln, wenn zum Beispiel
BaeuerInnen pro Betrieb bezahlt werden, jedoch wie gewohnt
weiterproduzieren. Es duerfte nunmal dem baeuerlichen Selbstverstaendnis
entsprechen, Einkommen fuer Produktion und nicht fuer das Frisieren von
Wiesen zu erhalten. Ziel einer Agrarrform, die die schaedlichen Exporte
minimiert, muesste daher die Umschichtung von Subventionen in einer Form
sein, dass weniger
produziert wird, nicht die blosse Entkoppelung, die effektlos bleiben kann.

In diesem Zusammenhang ist auch Franz Fischlers Aeusserung kritisch zu
hinterfragen, dass die Streichung von Exportsubventionen "in Gunstlagen" zu
einer hoeheren (Export-)Produktion als bisher fuehren kann. Damit gibt er
allerdings zu, dass seine Reform "einbeinig" bleibt. Wenn nur ziellos
entkoppelt wird, kann es tatsaechlich zu mehr Produktion kommen. Verhindern
kann dies allerdings die Verknuepfung der volumenmaessig gleichbleibenden
Foerderung mit einer Extensivierung und Oekologisierung der Produktion.
Deshalb ist auch die Wut der Entwicklungslaender leicht verstaendlich. Die
EU-Exportsubventionen fuer Zucker und Milch blieben beinahe unveraendert,
die fuer Getreide wurden nur halb entkoppelt. Mosambik verliert durch das
europaeische Zuckerdumping einen Betrag, der fast so hoch ist wie die
gesamte Entwicklungshilfe der EU an das Land. Obwohl Burkina Faso Baumwolle
viel effizienter und billiger als die USA produzieren koennen, ist die
subventionierte US-Baumwolle billiger als die lokale. Das Preisdumping von
US-Mais fuehrte BaeuerInnnen in ganz Mexiko, unter anderem im ohnehin
benachteiligten Chiapas, in den Ruin - Zwangsmigration ist die Folge.

NAFTA

Die Zapatisten wussten genau, warum sie sich am 1. Jaenner 1994 erhoben -
dem Tag des Inkrafttretens der Freihandelszone NAFTA zwischen Mexiko, den
USA und Kanada. Laut Marita Marita Wiggerthale von Germanwatch hat die EU
ihre Exportsubventionen im Vorjahr nur zu 40% ausgeschoepft. Somit waere ein
"schmerzloser" Reduktionsspielraum von 60% gegeben. Dennoch betraegt das
Reduktionsangebot der EU in Cancun nur 45%, um sich Spielraum fuer die
naechsten Jahre zu reservieren - zulasten der BaeuerInnen im Sueden. Die
Agrarlobbies im Norden sind oft sehr klein, dafuer umso staerker, allen
voran die franzoesischen Grossbauern oder der National Cotton Council in den
USA, der bloss 25.000 Farmer vertritt. Zum Vergleich leben in Indien 650
Millionen Menschen direkt von der Landwirtschaft. Zahlreiche
Entwicklungslaender und spezialisierte NGOs wie Gemanwatch fordern die
voellige Abschaffung von Agrarsubventionen binnen drei Jahren. Am Donnerstag
wird der Marsch der BaeuerInnen aus Mexiko City erwartet. Ein Fortschritt
faellt sehr angenehm auf: Waehrend die Menschen in den Strassen noch den
missglueckten Ausdruck "globalofóbicos" verwenden, liest man in den lokalen
Zeitungen schon von den "globalicríticos".

GATS & TRIPS

Laut Martin Khor vom Third World Network wurden die Entwicklungslaender
bereits in der Urugay-Runde gruendlich ueber den Tisch gezogen. GATS wurde
zuegigst verhandelt, dafuer posaunen die Industrielaender bei jeder
Gelegenheit die "Entwicklungsrunde" hinaus, ebenso das Special & Different
Treatment, eine Art Sonderregelung oder Ausnahme vom Freihandel. Der
juengste Kompromiss beim TRIPS werde penetrant als Beweis verkauft, dass die
Rede von der Entwicklungsrunde keine rein rhetorische sei. Doch Khor stellt
die Qualitaet des Kompromisses deutlich in Frage. Die Ausnahmeerlaubnis fuer
arme Laender, im Notfall Generika zu produzieren oder importieren, sei an so
strenge Auflagen geknuepft worden, dass "eine Loesung geschaffen wurde, die
de facto nicht anwendbar ist". Zum Beispiel duerfen Generika-Exporteure
keinen Gewinn machen, weshalb diese nicht zu finden sein werden. Nicht nur
die Import-, auch die Exportlaender muessen eine Zwangslizenz erlassen. Und
drittens kann das Ausrufen eines nationalen Notstandes vor dem
Schiedsgericht der WTO geprueft und verurteilt werden. Viele
Entwicklungslaender wuerden sich deshalb scheuen, den nationalen Notstand
nicht erklaeren zu wollen.

Die Sicht der Industrielaender sei nun folgende: 'Wir haben Euch Die
Entwicklungsrunde und den TRIPS-Kompromiss gegeben, was gebt ihr nun uns
dafuer?' Erraten: Die Singapur-Issues Investitionen, freien Wettbewerb, die
oeffentliche Beschaffung und Handelserleichterungen. Laut Khor: "Vier neue
Tumore fuer den Sueden". In der Landwirtschaft haetten die USA und die EU
einen tricky deal hingelegt: Die USA haetten die EU aufgefordert, erst ihre
Exportsubventionen zu streichen, dann koennten sie ihre Exportkredite
zurueckfahren. Die EU habe umgekehrt gefordert, bis beide draufkamen: Wir
senken nicht und ihr senkt nicht, und wir koennen beides hoch belassen.
Gleichzeitig fordern die Industrielaender aggressiven Marktzugang bei den
Entwicklungslaendern. Deshalb gebe es einen Gegenvorschlag zum
EU-USA-Papier, der von 20 Laendern, darunter den Riesen China, Indien,
Nigeria und Brasilien unterstuetzt werde. Genau hier zeichne sich die
entscheidende Kollision zwischen Norden und Sueden ab. Aber auch "NAMA"
werde ein brandheisses Eisen - "Non agricultural market access" meint die
Senkung von Industriezoellen. Die USA haben von allen Laendern die totale
Eliminierung dieser Zoelle gefordert. "Das wuerde den endgueltigen Kollaps
der Industrien in den Entwicklungslaendern bedeuten."

Die 'Multifunktionalitaet', die die EU fuer ihre Landwirtschaft in Anspruch
nehme, gelte natuerlich nicht fuer die jungen, lokalen, handwerklichen
Industrien der Entwicklungslaender. Und der Fazit, so Khor: Die WTO sei
gleichbedeutend mit Freihandel fuer die Schwachen und Protektionismus fuer
die Starken, resuemiert Khor. Die Globalisierungskritikerin Lory Wallach
kommentiert dies knapp damit, dass durch den Landwirtschaftsprotektionismus
im Sueden die Zahl der Hungernden und im Norden die Preise steigen wuerden.
Laut FAO nehme der Hunger in juengster Zeit wieder zu. In den USA haetten
die Preise fuer Grundnahrungsmittel seit der WTO-Gruendung um 32 Prozent
angezogen. Von den Subventionen profitierten fast ausschliesslich
Grossbetriebe, das Bauernsterben gehe auch im Norden munter
weiter.(10./11.09., gek.)



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