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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 9. September 2003; 15:49
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Der Polizei ist fad/Proze§§e:

> Eine spaete Abrechung

UVS verurteilt Razzia in Traiskirchen


In den vergangenen Tagen wurden die ersten sechs Entscheidungen ueber die
bereits im Februar 2000 von 32 schwarzafrikanischen Betroffenen der
Gendarmerierazzia vom 17.01.2000 in und um das Fluechtlingslager
Traiskirchen an die Beschwerdefuehrer zugestellt.

Zur Erinnerung :

In den Abendstunden des 17.01.2000 fand im Raum Traiskirchen Bahnhof, Café
Ali und Haus 3 des Fluechtlingslagers Traiskirchen eine Razzia der
niederoesterreichischen Gendarmerie statt, an der eine nach wie vor
unbekannte Zahl an Gendarmen des Bezirks Baden, der niederoesterreichischen
Kriminalabteilung sowie einer Gendarmeriesondereinheit (SEG) teilnahmen.

Im Haus 3 des Fluechtlingslagers wurden rund 60 Asylwerber ausschliesslich
schwarzafrikanischer Herkunft festgesetzt, kontrolliert und sodann in
gefesseltem Zustand mehrere Stunden lang angehalten, bis ein verdeckter
Ermittler sie anhand von Polaroidfotos als Verdaechtige (Angehoerige eines
Suchtgiftringes) identifizierte oder nicht.

Parallel dazu wurden auch im Raum Traiskirchen Bahnhof / Lagerumgebung /
Cafe Ali rund 20 Personen schwarzer Hautfarbe in aehnlicher Weise behandelt.

32 Betroffene beschwerten sich daraufhin beim Unabhaengigen Verwaltungssenat
Niederoesterreich (UVS) ueber insgesamt 282 Verletzungen ihrer Rechte.

Geltend gemacht wurden unter anderem die Rechtswidrigkeit der gesamten
Amtshandlung im Haus 3, fuer das kein gerichtlicher Durchsuchungsbefehl
vorlag, sowie der mehrstuendigen Freiheitsentziehungen, der Durchsuchungen
der persoenlichen Besitztuemer und Schlafstellen, der anlasslosen
Fesselungen an allen maennlichen Betroffenen mittels Plastik-
"Kabelbindern", der Personskontrollen im allgemeinen aber auch im konkreten
(wobei zum Teil Entkleidungen, Analvisitationen und auch eine
Vaginalvisitation coram publico geltend gemacht wurden) und sonstiger
koerperlichen und verbalen Misshandlungen.

Der lange Weg zu Recht

Die belangte Sicherheitsdirektion fuer das Bundesland Niederoesterreich hat
sich zu den erhobenen Vorwuerfen nicht geaeussert. Vom 10.07.2000 bis zum
09.03.2001 fanden vor dem UVS in St. Poelten insgesamt 24 (grossteils
ganztaegige, bis in die spaeten Abendstunden dauernde) Verhandlungen statt.
Dabei wurden rund 80 Personen (Beschwerdefuehrer, Beamten, Zeugen und
Sachverstaendige) vernommen. Nachdem fast fuenf Monate nach Schluss der
Verhandlungen die Entscheidungen ueber die Beschwerden noch immer
ausstaendig waren, erhoben die Beschwerdefuehrer im August 2001
Saeumnisbeschwerden an den Verwaltungsgerichtshof.

Dass jetzt (nach mehr als dreieinhalb Jahren) doch noch Entscheidungen
vorliegen, ist in erster Linie auf die Zivilcourage des Mitglieds des UVS
Niederoesterreich Paul Marzi zurueckzufuehren. In den nunmehr eingelangten
ersten sechs Entscheidungen findet sich eine spaete, aber gleichzeitig auch
unerwartet strenge Abrechnung mit dem Gendarmerieeinsatz, mit dessen
Organisatoren, aber auch mit den am Einsatz und als Zeugen des
UVS-Verfahrens beteiligt gewesenen Beamten. In den folgenden Punkten wurde
den Beschwerdefuehrern recht gegeben:

Die stundenlange Verhaftung der im durchsuchten Haus 3 angetroffenen
Personen sei ein Eingriff in die Rechtssphaere der Betroffenen und zur
Erreichung des Einsatzzwecks in diesem Ausmass nicht erforderlich gewesen.
Die Fesselungen seien nicht wegen konkreter Fluchtgefahr, Selbst- oder
Fremdgefaehrdung erfolgt, sondern generell und praeventiv. Die Verhandlung
habe ergeben, dass die Fesselung mit der Einsichtnahme in die Lichtbilder
begruendet worden war. Es beduerfe keiner ausfuehrlichen Begruendung, dass
stundenlange Fesselung physisches und psychisches Leid verursacht. Die
Beschwerdefuehrer seien durch das unbegruendete Anlegen und das
Angelegtlassen der Handfesseln in ihrem gemaess Artikel 3 EMRK
verfassungsgesetzlich gewaehrleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder
erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Die Beschwerdefuehrer seien durch die mehrere Stunden andauernde
Nichtbeachtung der Notwendigkeit der Erfuellung ihrer persoenlichen
Beduerfnisse in ihrem Recht, keiner erniedrigenden Behandlung unterworfen zu
werden, verletzt worden.

Die Sicherheitsdirektion NOe haette sich mit der Beschwerde
auseinandersetzen muessen, dass die Beamten Anlass und Zweck ihres
Einschreitens nicht mitgeteilt haetten und sie ueber ihr, Recht eine Person
ihres Vertrauens zu verstaendigen oder einen Rechtsbeistand beiziehen zu
koennen, nicht informiert worden seien.

Die Beamten haben dazu ausgesagt, fuer derartige Informationen entweder
nicht zustaendig gewesen zu sein bzw. es infolge mangelnder Sprachkenntnisse
gar nicht versucht zu haben.

Ein Beschwerdefuehrer, dem die Antwort auf die Frage nach dem Grund der
Amtshandlung verweigert worden sei, habe sich ohne Widerstand auf dem Flur
fesseln, durchsuchen und fotografieren lassen; er habe jedoch seine Position
veraendert, um die anderen Betroffenen beobachten zu koennen und sei von dem
Beamten "handgreiflich" zurechtgewiesen worden. Das Aufheben seiner dabei
heruntergefallenen Brille war ihm bis zum Ende der Visitierung nicht
gestattet. Er sei durch die unbegruendete Durchsuchung in seinen Rechten
verletzt worden.

Die rechtswidrige Amtshandlung im Fluechtlingslager Traiskirchen sei nicht
nur schlecht vorbereitet gewesen, die Behoerde habe es vor allem
unterlassen, das weitere Einschreiten rechtlich abzusichern und dafuer einen
entsprechend erweiterten Gerichtsauftrag einzuholen.

Schliesslich kritisiert der UVS die Wahrheitsliebe der Beamten: So habe ein
Hundefuehrer, der an dem Einsatz teilgenommen hatte, unwahrerweise
bestritten, eines der Zimmer betreten zu haben. Die Vertreter der
Sicherheitsdirektion NOe habe in ihren eigenen Untersuchungen lediglich
Widersprueche in den Aussagen der Beschwerdefuehrer hervorgehoben, die
widerspruechlichen Angaben in den Aussagen der Beamten aber nicht erwaehnt.
Die Beschwerden haetten sie pauschal als unbegruendet und das Einschreiten
der Beamten als rechtmaessig bezeichnet.

Teuer fuers Innenministerium

Insgesamt wurden bislang 32 Beschwerdepunkte im Sinne der Beschwerdefuehrer
erledigt, in zehn Punkten sind die Beschwerdefuehrer unterlegen. Der
Innenminister muss fuenf Beschwerdefuehrern (der sechste ist mit seiner
Beschwerde zur Gaenze unterlegen) insgesamt knapp EUR 36.000,- an
Verfahrenskosten bezahlen. Die fuenf Obsiegenden haben in Folge ihrer
UVS-Entscheidungen bereits Entschaedigungsforderungen zwischen EUR 400,00
und EUR 3.000,00 erhoben, ueber die das Innenministerium innerhalb der
naechsten drei Monate entscheiden muss. Da die bislang in vergleichbaren
Anlassfaellen zuerkannten Entschaedigungen weitaus geringer ausgefallen
sind, duerften Amtshaftungsklagen der Betroffenen auf hoehere
Entschaedigungen unvermeidlich sein. Die sogenannten
"Schmerzensgeldrichtsaetze", nach denen in Oesterreich die Entschaedigungen
auch fuer rechtswidrige Freiheitsentziehungen ausgemessen werden, liegen bei
weitem unter jenem Niveau, wie es etwa in der Judikatur des Europaeischen
Menschenrechtsgerichtshofes bei dort in vergleichbaren Faellen
festgestellten Menschenrechtsverletzungen vorgegeben wird.

Bislang liegen zwar erst ueber sechs von 32 Beschwerden bzw. ueber 42 von
282 Beschwerdepunkten Entscheidungen vor; weitere und im wesentlichen
gleichlautende werden aber hoffentlich noch folgen. (Aussendung deranwalt.at
6.9.03/bearb.)


Kontakt: RA Dr. Wolfgang RAINER, Roland HERMANN,
Schwedenplatz 2/74, 1010 Wien, Tel. 533 05 90, Fax 533 05 90-11
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