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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Juni 2003; 12:48
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Glosse/Streik:
> Oesterreich, Deutschland, Frankreich
Ueber die Kultur der Revolte
Die Sozialreformer kommen! Frueher verstand man darunter etwas anderes,
heute ist das eine Drohung. Heute wird auf dem Gebiet der EU dank
Globalisierung, Euro-Konvergenzkriterien, Militarisierung, Wegfall der
Systemalternative und weitreichender Sozialdemokratisierung der Linken der
Sozialstaat wegreformiert. Allerdings laeuft das in den einzelnen Laendern
sehr unterschiedlich ab. In den letzten Wochen fielen diese Diskrepanzen
besonders auf bei den Auseinandersetzungen in Oesterreich, Deutschland und
Frankreich.
In Oesterreich und Frankreich sind es reaktionaere Regierungen, die mit
gutem Gefuehl reaktionaere Gesetze durchpeitschen. In Deutschland ist es
eine rotgruene Regierung, die dasselbe mit schlechtem Gewissen tut. Von der
Warte der Chicago Boys heisst das, das seien eben die Sachzwaenge, die jeder
Regierung auferlegt sind; von anarchistischer Seite waere anzumerken, dass
man daran die Sinnhaftigkeit von Wahlen auf die politische Gestaltung
ablesen kann. Irgendwie stimmt beides, nur vergessen die Chicago Boys, dass
diese Sachzwaenge erst entstanden sind, als die politischen Parameter dafuer
eingestellt worden waren.
Egal! Fakt ist, dass all diese Regierungen, ob rechts oder halblinks, so
handeln -- der Unterschied ist die Reaktion der Opposition:
In Deutschland wurde die innerparteiliche Opposition ausgeschalten, um die
Regierung von Rot und Gruen zu sichern -- das Ergebnis: Still steht der DGB
und schweiget.
In Oesterreich wurden ein paar Streikerln organisiert. Es ist gerade mal
zwei Wochen her, dass die Zeitungen titelten: "Ueber eine Million
Oesterreicher streiken" oder "Der groesste Streik seit 1950"! Heute kraeht
kein Hahn mehr danach. Und das ist kein Wunder. Andreas Unterberger schreibt
in der "Presse": "Der OeGB wollte es wissen. Jetzt weiss er es. Die
Oesterreicher sind nicht in eine Radikalisierung hinein-treibbar. Damit ist
auch das Gewicht des OeGB -- zum Segen fuer das Land -- reduziert. ... Fast
ueberall (sieht man von OeBB, Lehrern und etlichen Gemeinden ab) haben die
meisten -- wenn ueberhaupt -- nur so getan, als ob sie streikten, haben die
Folgen minimiert." Einmal abgesehen von der demonstrativen Freude des Chefs
der reaktionaeren Tageszeitung, ist genau das der Punkt! Der OeGB erntet
jetzt die Fruechte einer Saat, die er jahrzehntelang betrieben hat: Alles,
nur kein Streik! hiess immer die Devise. Nun haben wir den Salat! Das letzte
Streikerl war in der Bevoelkerung durchaus noch fuer richtig gehalten
worden, aber hinter vorgehaltener Hand hoert man jetzt, dass weitergehende
Aktionen dazu fuehren koennten, dass diese Zustimmung kippt -- also rudert
man zurueck, denn die Oesterreicher, durch Habsburger, Klerikalfaschisten,
Nazis und (kurz Luftholen, damits nicht in einem Atemzug ist)
Sozialpartnerschaft zu Untertanen erzogen, sind nunmal kein Volk der
Strasse.
Die Franzosen sind ein Volk, dessen Nationalstolz viel mit Revolution zu tun
hat. Wenn dort am Sonntag von der Regierung eine groessere Demo gegen die
Streikwelle auf die Beine gebracht worden ist, ist selbst das ein Argument
fuer diese These. Denn erstens sind die Streiks dort schon so, dass sie
wirklich weh tun und zweitens wuerde bei uns die Reaktion nie massenhaft auf
die Strasse gehen. Die Elite der Buergerlichen schaltet schoen brav gesittet
Zeitungs-inserate, sowas wie eine Beteiligung des Fussvolkes an einer Demo
ist voellig unvorstellbar.
Die Widersprueche spitzen sich zu. Wenn oesterreichische resp. deutsche
Oppositionelle glauben, irgendwann wird diese Zuspitzung doch zu mehr
Widerstand fuehren, muss man sagen: Von nix kommt nix -- das muss man
aufbauen. Lampenputzen alleine ist zuwenig. Das bedeutet: Hie und da muss
man auch mit "unvernuenftigen" Mitteln agieren und riskieren, auf die
Goschen resp. die Schnauze zu fallen. Eine Kultur der Revolte muss man sich
erst erarbeiten, sei es auch durch Niederlagen. Ohne eine solche Kultur aber
kann es keinen echten Widerstand geben.
*Bernhard Redl*
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