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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Juni 2003; 12:43
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Glosse/Religion:

> Kulturelle Gottespest

Der Generalsekretaer der Europaeischen Islamischen Konferenz, Mohammad
Bechari, beschwert sich anlaesslich einer "Standard"-Diskussion darueber,
dass Muslime in Europa unter "extremen Saekularisierungen" zu leiden
haetten. Naja, schon arm -- denn als erste Punkte tauchen im Lexikon beim
Suchbegriff Saekularisierung das Streben nach Autonomie des Denkens, des
Wollens und des Handelns -- und in weiterer Folge emanzipatorische
Entwicklungsprozesse auf, die zur Befreiung von durch Religion und Theologie
begruendeten Ordnungssystemen fuehren. Gilt die Freiheit des Denkens, die
Emanzipation von religioesen Dogmen jeder Bauart wirklich als Gefahr, als
Leidensdruck, dem Muslime permanent ausgesetzt sind?

Es braucht nicht besonders erwaehnt zu werden, dass die Praeferenzen,
Neigungen oder Welterklaerungsmodelle anderer zumindest zu respektieren
sind -- sofern natuerlich das unbekuemmerte Ausleben derselben den wieder
anderen nicht zur Plage wird. Trotz Aufklaerung und der rasanten Entwicklung
der Naturwissenschaften existiert in Europa nach wie vor eine Art
dogmatische Parallelinstitution zur national- oder supranationalen
Staatlichkeit -- das Christentum. Mittels Heranziehung zu
Verwaltungsaufgaben oder den Konkordaten kam es wenigstens zur
fein-saeuberlichen Trennung, wer fuer welche Aufgaben zustaendig sein
sollte. Die in den letzten Jahrzehnten zunehmend entstandene
Saekularisierung -- Polen stellt hier eine Ausnahme -- war marxlob auch der
Abschied vom politischen Christentum. Auch wenn Khol paradoxerweise den
Gottesbegriff in die Verfassung einbauen moechte, nehmen spaetestens die
Kids das nur mehr lustig.

Also, wenn man so will, hat es in Europa durchaus eine Erfolgsgeschichte des
freien und ungehinderten Denkens gegeben, was die allumfassende religioese
Vormachtstellung betraf. Die derzeit praktizierenden Christen besitzen weder
die politische Macht, noch haengen sie irgendwelchen dubiosen Gedanken nach,
mittels Inquisition unbequeme Glaubensfragen zu loesen. Man laesst sie in
Ruhe, unsererseits haben wir auch trotz bloeder Meldungen Khols und
ergreifender Ansprachen Schuessels im Stephansdom zur Pensionsreform
weitgehend Ruhe vor ihnen. Im grossen und ganzen werden europaweit die
Feiertage genossen, die Weihnachtsrituale durchgestanden und kirchliche
Hochzeiten als Traditionsaufputz verstanden. Damit kann man leben und damit
hat es sich meist schon.

Eigentlich ist es voellig schnuppe, ob der gerade anzubetende Gott mit der
Bezeichnung Allah, Gott, Jehova oder Frankenstein versehen wird. Soviele
Goettinnen ausser die ewige Jungfrau Maria stehen ja nicht zur Auswahl. Alle
zeichnet auf jeden Fall ungeheure und auf jeden Fall ueberirdische
Machtfuelle aus - ob sie in ihren jeweiligen Paradiesen die anderen Goetter
als zumindest ebenbuertig wahrnehmen, ob sie mit ihnen plaudern oder Kriege
der etwas anderen Art fuehren, wird so bald nicht geklaert sein. Auf jeden
Fall erscheint mir der Polytheismus der Griechen noch wesentlich
lustbetonter und lebensnaher als der etwas verschwommene katholische
Polytheismus, wobei die Rolle des Heiligen Geistes bis jetzt nicht so
ueberzeugend geklaert ist.

Religionskritik ist auch Gesellschaftskritik, Sozialkritik, politische
Kritik und sozialpsychologische Kritik. Wie bitte, kann jemand kritiklos
religioese Dogmen uebernehmen? Und wenn er es selbst schon tut, wie kann er
das von der Mitwelt verlangen? Ab wann kann man selbst ueber freies Denken
entscheiden? Die Tatsache, dass das Christentum kritisiert wird, muss
zwangslaeufig auch dazu fuehren, dass der Islam kritisiert wird. In dem
erwaehnten "Standard"-Interview wird oefters Klage gefuehrt, dass Muslime
sich immer distanzieren muessten -- von Nigeria, vom extremistischen
Islamismus, von islamistischen Geisteshelden wie dem Imam in Rom, der Allah
um die Zerstoerung der Haeuser der Feinde des Islams anfleht. Im Christentum
entspricht dies punktgenau dem US-amerikanischen Puritanismus, der auch mit
einem Gott in einen Krieg zieht, um uebrigens auch die Feinde zu vernichten.
Besonders intelligent und ueberzeugend scheint mir beides nicht.

Uebrigens -- was ist jetzt wirklich mit Amina Lawal in Nigeria?

*Fritz Pletzl*


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