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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 3. Juni 2003; 22:23
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Asyl:

> Die oesterreichische Variante

Stellungnahme des Flughafen-Sozialdienst zur Asylgesetznovelle 2003


Soeben endete die vom BMI festgesetzte Frist zur Stellungnahme zur
AsylG-Novelle 2003. JuristInnen und juristisch versierte ExpertInnen von
UNHCR, NGOs und dem "Netzwerk Asylanwalt" stellen unisono fest, dass der
vorliegende Entwurf nicht nur eine drastische Verschlechterung fuer
Fluechtlinge darstellt, sondern wichtige rechtsstaatliche Prinzipien in
Frage stellt. Die Novelle stellt einen vorsaetzlichen Verstoss des
Innenministers gegen geltendes Recht inklusive des Verfassungsrechts dar.
Seine Implementierung kaeme einer Gesamtaenderung der oesterreichischen
Bundesverfassung gleich, was eigentlich volksabstimmungspflichtig waere.
Die hauptsaechlichen Kritikpunkte:

Die Fluechtlinge sollen in sog. "Erstaufnahmezentren" (EZA) kaserniert
werden, in denen das Verfahren im Blitztempo (maximal 72 Stunden) unter
Ausschluss der Oeffentlichkeit, insbesondere unter Ausschluss von NGOs oder
frei gewaehlten RechtsanwaeltInnen gefuehrt wird. In diesem
"Zulassungsverfahren" soll abgeklaert werden, ob der Asylantrag ueberhaupt
inhaltlich behandelt wird. Wenn nicht, folgt die Ausweisung, Ueberstellung
in die Schubhaft und/oder Abschiebung.

Die einzigen Rechtsbeistaende, die Fluechtlinge in dieser exponierten
Situation in Anspruch nehmen koennen, sind von Strasser persoenlich fuer
diese Aufgabe ausgewaehlte RechtsberaterInnen, "unabhaengige" natuerlich.
Damit soll anscheinend der "Unsitte" ein Ende bereitet werden, dass NGOs
fuer Fluechtlinge Berufung um Berufung in ihren Verfahren schreiben und sich
so fuer das Bleiberecht der Fluechtlinge einsetzen. Ein "Lex-Anti-NGO", wie
es Asyl in Not richtigerweise bezeichnete.

Aktualisiert wird die Regelung betreffend "sichere Drittstaaten": Diese
findet sich zwar schon im gegenwaertigen Gesetz, aber sie ist dank der
eindeutigen Rechtssprechung des Unabhaengigen Bundesasylsenats de facto
totes Recht. Der Zusammenhang mit der Tatsache, dass sich der UBAS die
Freiheit herausnahm, immer wieder zu bestaetigten, dass Ungarn, die Slowakei
oder Tschechien fuer Fluechtlinge nicht sicher sind, sondern dass sie dort
unter Umstaenden in den Verfolgerstaat abgeschoben werden koennen, ist
offensichtlich. Die Liste der "sicheren Drittstaaten" wird einfach ins
Gesetz geschrieben, womit sich der UBAS dann brausen gehen kann, und
Oesterreich dank seiner "gluecklichen" geographischen Lage, umgeben von
lauter "sicheren Drittstaaten", das Fluechtlingsproblem zu einem grossen
Teil los ist.

Drastische Einschraenkung der Rechtsmittel: Einer Berufung gegen einen
negativen Bescheid im Zulassungsverfahren kommt keine aufschiebende Wirkung
mehr zu, und die Abweisung des Asylantrags als "offensichtlich unbegruendet"
ist mit der Ausweisung zu verbinden. Wenn er/sie recht behaelt, dann kann
er/sie seinen/ihren Sieg ja im Gefaengnis in Islamabad feiern.

"Verpolizeilichung des Verfahrens" (Asyl in Not): Die Sicherheitskraefte
sind angehalten, Fluechtlinge beim ersten Kontakt zu durchsuchen und
auftauchende Dokumente zu beschlagnahmen. Eine "Verweigerung der
Mitwirkungspflicht im Verfahren", die z.B. darin besteht, die Kaserne EAZ zu
verlassen, um mit NGOs Kontakt aufzunehmen, wird mit Ueberstellung in die
Schubhaft geahndet.

Damit dieser Angriff auf das Menschenrecht auf Asyl und auf den Rechtsstaat
weniger auffaellt, wurde er in einer Zeit vorgetragen, in der die
Oeffentlichkeit mit anderem beschaeftigt ist, naemlich mit Pensionen und
Streiks. Und damit die Oeffentlichkeit auch keine Chance hat, auf diesen
Angriff zu reagieren, sofern sie ihn zur Kenntnis genommen hat und sich
dafuer interessiert, sollte der Beschluss auch in einem Hoellentempo noch
vor der Sommerpause im Parlament beschlossen werden, sodass er in einem
halben Jahr in Kraft treten kann. Nach der "bewaehrten" Strategie: "Schnell,
schnell, vielleicht faellt's ja niemandem auf?" Und wenn doch: "Na, dann
sollen sie sich halt beim VfGH beschweren" - bis der entschieden hat, dauert
es sowieso Jahre, und bis dahin ist das Ziel der Novelle vielleicht ja schon
erreicht: Die drastische Reduktion der Asylantragszahlen. (In den
Niederlanden fuehrte die Einfuehrung eines solchen Schnellverfahrens im Jahr
1994 zu mehr als einer Halbierung der Antragszahlen innerhalb von zwei
Jahren.)

*Die Schnellverfahren

Die Auswirkungen dieser hinter verschlossenen Tueren durchgefuehrten
Schnellverfahren werden dramatisch sein. Man muss bedenken, dass die meisten
Fluechtlinge, wenn sie die Grenze dieses gastfreundlichen Landes
ueberschreiten, oft Entsetzliches hinter sich haben: Nicht nur die
Verfolgung im Heimatland, die Anlass der Flucht war, sondern auch das
traumatische Erlebnis der Flucht an sich. Diese dauerte oft wochen-, ja
manchmal monatelang und fuehrte sie durch die unterschiedlichsten Laender
und Staedte, deren Namen ihnen oft nicht einmal bekannt sind. Auch das Ziel
der Flucht ist manchmal nicht klar. Es soll halt in die EU gehen, in die
vermeintliche Sicherheit. Dazwischen liegen z.B. ein paar Monate ungewisses
Warten in Moskau, in der Illegalitaet, unter menschenunwuerdigen
Bedingungen. Dazwischen liegt der Grenzuebertritt nach Oesterreich,
vielleicht auch noch im Winter, d.h. bei Minusgraden die March
durchschwimmen. Wenn die Fluechtlinge hier ankommen, sind sie erschoepft,
manchmal krank, auf jeden Fall veraengstigt. Schon jetzt gleichen die
Einvernahmen vor dem Bundesasylamt einem Polizeiverhoer, in dem die
Fluechtlinge unfreundlich bis unverschaemt behandelt werden, in dem ihnen
von vornherein unterstellt wird, zu luegen, in dem man ihnen deutlich zu
verstehen gibt, dass sie hier nicht erwuenscht sind. Dieser Tortur muessen
sie sich nun zu einem Zeitpunkt hoechster psychischer und physischer
Belastung aussetzen, in einer Verfassung, in der "Normalmenschen ", sprich
OesterreicherInnen ein paar Wochen Bettruhe verordnet bekaemen oder an ein
Kriseninterventionszentrum ueberwiesen wuerden. Vom Ausgang dieses
Verfahrens kann im schlimmsten Fall ihr Leben abhaengen, jedenfalls ihre
Zukunft. In dieser Situation koennen sie, die in der Regel nicht der
deutschen Sprache maechtig sind und von den komplizierten Asyl- und
Fremdengesetzen schon gar keine Ahnung haben, nicht einmal auf einen
unabhaengigen Rechtsbeistand zurueckgreifen, sondern muessen sich mit
denjenigen begnuegen, die ihnen der Innenminister genehmigt, dem
gleichzeitig die Behoerde untersteht, die schon jetzt 90% der Asylantraege
negativ bescheinigt. Viel Glueck. Um diese Message "Schleichts euch" zu
untermauern, werden Fluechtlinge in Zukunft von Anfang an wie
StraftaeterInnen behandelt, sprich sofort bei Aufgriff von der Polizei einer
Leibesvisite unterzogen, ihre Dokumente beschlagnahmt, sie selber in eine
Kaserne (EAZ) ueberstellt, die sie nicht verlassen duerfen. Sofern sie das
"Glueck" haben, ueberhaupt in diese Kaserne ueberstellt zu werden: Rund um
Oesterreich verlaeuft dann naemlich ein 10 km breiter Grenzstreifen, quasi
ein exterritoriales Gebiet. Werden Fluechtlinge innerhalb dieses Gebietes
aufgegriffen, dann koennen sie formlos zurueckgeschoben werden. 10 km sind
dehnbar, wenn niemand da ist, der nachmisst.

*Was tun?

Kurzfristig wird diese Novelle nur durch juristische Intervention, sprich
Anfechtung vor dem VfGH, zu Fall zu bringen sein (wenn auch vielleicht zu
spaet fuer die vielen Fluechtlinge, denen durch dieses Gesetz ein Entkommen
aus ihrer Verfolgungssituation verunmoeglicht wird). Langfristig ist der
Bestrebung, Oesterreich "fluechtlingsfrei" zu machen, nur auf politischer
Ebene beizukommen, denn die rechtsstaatliche Verfasstheit einer Gesellschaft
ist nun mal nur ein Ausdruck ihrer sozialen und politischen Verfasstheit,
und Gesetze koennen relativ leicht geaendert werden, wie man sieht. Eine
Auseinandersetzung, die angesichts der Hegemonie der derjenigen Kraefte,
denen Fluechtlinge nur mehr ein Klotz am Bein sind oder die sich "nicht
zustaendig" fuehlen, nicht leicht sein wird.

Uns geht es in dieser politischen Auseinandersetzung darum, die
Fluchtursachen sichtbar zu machen, die - vereinfacht gesagt - in den
verheerenden Auswirkungen des globalisierten Kapitalismus zu finden sind,
also in einem Weltwirtschaftssystem, das von den Staaten des Nordens
dominiert wird und diese bevorzugt. Eine Trennung zwischen politischer,
religioeser, ethnischer und sozialer Verfolgung auf der einen Seite und
oekonomischer auf der anderen, ist zunehmend schwerer zu treffen und
fragwuerdig geworden. ###

Kontakt: Flughafen Sozialdienst Beratungsstelle fuer Fluechtlinge und
MigrantInnen, Oeffnungszeiten: Mo., Di. und Do. 16.00-19.00, Mi. 11-14.00
Tel./Fax: 587 59 99 fsd@no-racism.net Bueroadresse: 1070 Wien, Lindengasse
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