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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. Mai 2003; 13:54
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Recht/Geschichte/Kommentar:

> Konstitutionelles Wahlkaisertum

Die Andeutungen von Praesident Klestil, er koenne jederzeit die Regierung
entlassen, hat wiedermal die Debatte ueber seine Befugnisse ausgeloest. Dass
darueber ueberhaupt zu diskutieren ist, ist der gar so oesterreichischen
Unterscheidung zwischen offizieller und Real-Verfassung anzulasten.

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Schuld an allem war natuerlich das Kaiserreich. Nach Gegenreformation,
Metternich und einer Reihe oktroyierter und dann wieder sistierter
Verfassungen war die Entwicklung selbstbewusster Citoyens im fin de siecle
nicht unbedingt beguenstigt. Danach sah die Revolution dann auch aus - ein
demokratiebeflissener Nachbau der kaiserlichen Ordnung wurde geschaffen. Da
durch den Wegfall von Herrenhaus und Kaiserreich als einzige demokratisch
legitimierte Institution das Parlament (der Rumpf des altoesterr.
Abgeordnetenhauses, spaeter Nationalversammlung und schliesslich
Nationalrat) uebrigblieb, wurde diesem fast alle Macht im Staat uebertragen.
Statt des Herrenhauses wurde der auch damals machtlose Bundesrat installiert
und der Bundespraesident wurde als Lueckenbuesser fuer einen entmachteten
Kaiser eingesetzt, er war der "goldene Knauf an der Spitze des Staates", wie
es ein Lexikon-Artikel von 1927 formulierte. Seine Aufgaben waren
bescheiden, daher wurde seine Wahl auch nicht dem Bundesvolk uebertragen,
sondern er wurde von der Bundesversammlung bestellt.

Diese weitgehende Macht des Parlaments wurde auch aus dem
Verfassungsschnellschuss von 1920 (zweieinhalb Monate nach Inkrafttreten des
Friedensvertrags von St.Germain, der erst das Bundesgebiet und die
ungeliebte souveraene Eigenstaatlichkeit fixierte) beguenstigt, ueber den
die meisten Verfassungsrechtler nicht sonderlich gluecklich waren.
Andererseits war diese Allmacht des Parlaments sehr praktisch, ermoeglichte
es doch Legislative und Exekutive friktionsfrei zusammenzuarbeiten - eine
Praxis, die auch in vielen anderen europaeischen Laendern nach der Demontage
der Monarchen geuebt wurde, nichtsdestotrotz aber nichts mit einer
Gewaltentrennung zu tun haben kann.

Der lange Weg zur Volkswahl

1929 kam es zu einer Verfassungsreparatur. Diese wird ja von vielen linken
Kritikern (wegen der nicht unproblematischen Rechte des Praesidenten in
Verfassungskrisen) gerne als Vorstufe zur autoritaeren Politik nach 1933
angesehen. Sie wurde aber mit den Stimmen der Sozialdemokraten, die mit 42%
eine klare Verfassungssperrminoritaet hatten, beschlossen. Mit der Reform
wurde nicht nur der Bundespraesident maechtiger, es wurde diese Macht auch
durch die Volkswahl legitimiert. Um dieser Erfordernis einer Volkswahl zu
genuegen, wurde die Amtsperiode des Bundespraesidenten Miklas 1931 vorzeitig
beendet. Doch als es dann zur Wahl kommen sollte, einigte sich eine grosse
Parlamentsmehrheit (wiederum inclusive der Sozialdemokraten) darauf, wegen
der angespannten innenpolitischen Situation (kurz vorher hatte die
NSDAP-nahe steirische Heimwehr einen Putsch versucht) den Bundespraesidenten
doch noch ein letztes Mal durch die Bundesversammlung zu bestellen. Miklas
wurde so ohne Volksbeteiligung wiedergewaehlt, bekam jedoch trotzdem die
vorgesehenen Vollmachten. Ob bei einer Volkswahl ein anderer als der
Christlichsoziale Praesident geworden waere, kann wohl niemals geklaert
werden. Allerdings hat Miklas 1933, der in jenem Moment der
oesterreichischen Geschichte, wo ein Bundespraesident in seiner Rolle als
Verfassungs-Notnagel wohl am ehesten notwendig gewesen waere, sich still
verhalten - ein anderer Amtsinhaber haette vielleicht anders gehandelt.

Nach 1945 wurde die Verfassung von 1929 zwar wiederhergestellt, dennoch aber
die Volkswahl nicht durchgefuehrt. Es dauerte bis 1951, bis sich der
Bundespraesident zum erstenmal auf eine Volkswahl berufen konnte. Das war
der Sozialdemokrat Koerner, der auch prompt sein Amt ernst nahm und den
ersten Versuch einer schwarzblaunen Regierung zum Scheitern brachte, indem
er 1953 Herrn Figl mitteilen liess, dass er ganz sicher keine VdU-Minister
angeloben werde.

Derlei Vorgaenge werden von Partei- und Regierungsspitzen eher als Unfaelle
der Demokratie gesehen, gerne wieder vergessen und in oeffentlichen Debatten
moeglichst nicht erwaehnt, sonst koennte ja ein aktueller Bundespraesident
auf die dumme Idee kommen seine ganz normalen Pflichten ernst zu nehmen.
Wenn Frau Rauch-Kallat sagt, die Aufgabe des Bundespraesidenten sei es
lediglich, zu "vermitteln", so ist das zwar der common sense der politischen
Klasse, doch muss man feststellen, dass auf Kallat das Schuesselwort "Wir
kennen alle die Verfassung" anscheinend nicht zutreffen duerfte.

Der Oberbundeskanzler

Wie sehr jedoch die Verfassung den Bundespraesidenten als eigentlichen
Regierungschef ansieht, zeigen die Details: Er bestellt und entlaesst nicht
nur die Regierung nach eigenem Gutduenken, er hat auch die Oberhoheit ueber
das Heer und die Vertretung nach aussen inne. Beides hat er im operativen
Sinne an die Bundesregierung zu delegieren, aber er bleibt offiziell ein
"Oberbundeskanzler", nicht allzuweit entfernt von dem, was die franzoesische
Verfassung ihrem Praesidenten zugesteht - wenn die Praxis dort auch eine
andere ist. Die Vertretung nach aussen und die Herrschaft ueber das Heer
sind jedenfalls klassische Kennzeichen eines Regierungschefs. Der
Bundespraesident erhielt somit 1929 einen Teil der Rechte des Kaisers
zurueck, was allerdings beim republikanischen Nachfolger dank der Volkswahl
um einiges legitimer sein duerfte als beim Monarchen.

Der Bundeskanzler ist damit nur so etwas wie ein geschaeftsfuehrender
Regierungschef. In der oesterreichischen Realverfassung ist aber der Kanzler
der oberste Vertreter des Volkes - obwohl er nicht durch direkte Wahl
bestimmt wurde. Tatsaechlich bindet das Misstrauens-Vetorecht des Parlaments
gegen einen vom Praesidenten nominierten Kanzler nicht die Regierung ans
Parlament, sondern paradoxerweise das Parlament an die Regierung: Es wird
genau das verhindert, was durch dieses Vetorecht ermoeglich werden soll: Die
Kontrolle der Regierung - denn eine Institution, die eine andere Institution
selbst bestellt hat, kann diese kaum unvoreingenommen kontrollieren. Noch
dazu ist die Problematik gegeben, dass sich immer die Chefs der
Mehrheitsparteien in die Regierung hieven lassen, was zur Folge hat, dass
bei einem dissidenten Verhalten im Parlament die Abtruennigen damit rechnen
muessen, dem naechsten Nationalrat nicht mehr anzugehoeren: Man hat nunmal
nicht die Hand zu beissen, die einen fuettert - und wenn die Regierung
stuerzt, wird ueblicherweise das Parlament neu gewaehlt. So werden zwei der
wichtigsten demokratischen Spielregeln gegeneinander ausgespielt: Per
"Checks and Balances" wird die "Trennung der Gewalten" nicht gefestigt,
sondern ausgehebelt.

Andersrum wird aber auch ein Schuh daraus: Denn nicht nur mit der
Praesidenten-, sondern auch mit der Nationalratswahl wird nur eher wenig
Einfluss auf die Regierung ausgeuebt. Beispiele gefaellig? Nach der Wahl
1999 stellte die drittstaerkste Partei den Kanzler, die groesste Partei ging
in die Opposition. Und heute haben wir nach dem Ruecktritt der Regierung und
der Neuwahl 2002 ein voellig anders zusammengesetztes Parlament, aber immer
noch die fast idente Regierung.

In diesem Zusammenhang sei nochmal Rauch-Kallat und ihr leider
mehrheitsfaehiges Demokratieverstaendnis bemueht: In der Frage nach der
Beteiligung des Parlaments bei Grossbeschaffungen meinte sie kuerzlich, es
koenne doch nicht undemokratisch sein, wenn das Parlament beschloesse, seine
eigenen Rechte zu beschraenken. Das spricht Baende. Denn damit wuerde ein
weiteres politisches Feld der Buehne des Parlaments und so weitgehend einer
oeffentlichen Debatte entzogen - aber das ist in Oesterreich kein Problem.
Ein Parlament, das sich als unabhaengig von der Regierung begriffe, wuerde
mehrheitlich kaum seiner eigenen Entmuendigung zustimmen.

Oesterreich wird nicht nur von der herrschenden Oligarchie, sondern auch von
weiten Kreisen der Bevoelkerung immer noch als konstitutionelles
Wahlkaisertum verstanden. Man braucht jemanden, zu dem man aufschauen darf,
einen weisen und guetigen Herrscher, der aber - man ist ja Demokrat - nix
zum Sagen haben darf. Dass er kein Amtstraeger von Gottes Gnaden mehr ist,
sondern dass man ihn selbst gewaehlt hat, vergessen die Menschen nur gerne
dabei. Und sie vergessen, dass die Regierung die Gesetze auszufuehren hat,
die das Parlament beschliesst. Stattdessen finden sie es voellig logisch,
dass das Parlament jene Gesetze schafft, die die Regierung braucht, um das
zu machen, was diese gerade fuer richtig haelt.

Konsequent waere es daher, man erhebt das Amt des Bundespraesidenten
tatsaechlich zum alleinigen Bestimmer der Bundesregierung. Oder man schafft
dieses Amt ab und laesst den Regierungschef vom Volk waehlen. Auf alle
Faelle muessen damit aber die sonstigen Kontrollrechte von Parlament und
Verfassungsgerichtshof verschaerft werden -- beispielsweise, effektiver
ueberpruefen zu koennen, inwieweit die Regierung die von ihr auszufuehrenden
Gesetze ueberhaupt befolgt. Damit waere zumindest eine kleine Chance
gegeben, die Legislative aus der Diktatur der Exekutive zu befreien. Aber
die Interessenslage in den Parteizentralen und am Ballhausplatz ist eine
andere und "Konsequenz" ist sowieso nicht oesterreichisch.

"Demokratie" und Linke

Natuerlich gibt es auch fortschrittlich intendierte Argumente gegen einen
starken Bundespraesidenten, die aus der Angst vor dem autoritaeren Charakter
des Wahlvolks resultieren -- genauso wie bei der Frage um die direkte
Demokratie traut die Linke, die "das Volk" immer so gerne im Munde fuehrt,
eben diesem Volk so gar nicht. Bei der Auflagenstaerke der Kronenzeitung und
den letzten Wahlergebnissen verstehe ich das ja auch. Aber kann man wirklich
glauben, dass es mehr der Demokratie dient, wenn man sich darauf
beschraenkt, dass Volk alle vier Jahre ein Kreuzerl fuer diese oder jene
politische Clique machen und dieser Clique damit die kaum beschraenkte
legislative und exekutive Entscheidungsgewalt in die Haende legen zu lassen.
Woran man die Frage anschliessen kann, was es die Linke ueberhaupt kuemmern
soll, wenn die buergerliche Demokratie in einem schlimmen Zustand ist, wo
man doch prinzipiell dieses nach den Prinzipien des freien Marktes und des
Eigentums an Medien-Produktionsmitteln funktionierende System ablehnt. Die
Antwort koennte lauten, dass auch die Verwirklichung linker Ideen unter den
Bedingungen eines eben nicht harmonisch regierenden Staates leichter ist.
Denn wuerde das System seine eigenen Sonntagsreden ernst nehmen, bedeutete
das, Sand ins Getriebe eines Staates zu streuen, wo sonst die Zahnraeder von
Buerokratie, Kapital und Parteibonzen allzu friktionsfrei ineinandergreifen.
Eine echte Trennung der Gewalten Exekutive und Legislative waere dafuer ein
Anfang.

Die buergerliche Demokratie muss zuerst einmal verwirklicht werden, um
vielleicht einmal zu einem weiteren Fortschritt hin zu einer demokratischen
Gesellschaft gelangen zu koennen, die diesen Namen verdient.
*Bernhard Redl*


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