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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 6. Mai 2003; 19:48
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Glosse:

> Politisch Streik -- garstig Streik

Der OeGB unterschaetzt seine eigene Kampfmassnahmen mehr, als er sie
ueberschaetzt.


Wenn diese akin zugestellt wird, ist einer der manifestesten Streikaktionen
der Zweiten Republik schon wieder vorbei. Ob sie etwas genuetzt hat, werden
die naechsten Wochen zeigen, genauso, ob die oesterreichischen
Gewerkschaften etwas nachzusetzen haben, wenn sie nichts nuetzen sollte.
Dieser Streik wird Oesterreich nicht veraendern, aber es ist vielleicht ein
Anfang.

Wobei die Gewerkschaft zwar einerseits diese Kampfmassnahmen als gewaltiger
darstellt, als sie sind -- wer fuerchtet sich wirklich vor einem Tag
partiellen Stillstandes? --, andererseits aber vehement abstreitet, dass es
sich um einen "politischen Streik" handelt.

Warum diese Angst davor, einem unuebersehbar politischen Streik diese
Qualitaet abzuerkennen? Ganz einfach: Weil ein solcher Streik die
buergerliche Demokratie desavouiert. Und das wuerde nicht nur die den Streik
mittragenden Gewerkschaftsfraktionen von Schwarz und Blau verschrecken, es
wuerde auch der Sozialdemokratie, die so gerne wieder in die Regierung
moechte und ohne Frage auch in nicht allzuferner Zeit wieder in einer
solchen vertreten sein wird, die Legitimationsgrundlage entziehen.
Spannenderweise war aber genau diese Infragestellung der buergerlichen
Demokratie nie ein Problem, als die Sozialpartnerschaft noch als
"Nebenregierung" agierte. Auch die Sozialpartnerschaft war nicht durch das
Parlament legitimiert, sondern ein pragmatisches Instrument zum
Interessensausgleich, zur Sicherung des sozialen Friedens durch Abfederung
der Widersprueche zwischen "Kapital" und "Arbeit", zwischen "Arbeitgebern"
und "Arbeitnehmern" oder aber zwischen arm und reich.

Diese Nebenregierung war ein Zugestaendnis an die Ueberzeugung, dass auf
lange Frist ein Wohlfahrtsstaat fuer einen kapitalistischen Industriestaat
die beste Grundlage ist und dass ein solcher nicht alleine durch einfache
Mehrheiten im Parlament durchzusetzen ist. Die Maengel einer Regierungsform,
die den oekonomischen Spielregeln des Kapitalismus (kostspielige
Wahlwerbung, Medieneigentum) und feudaltradierten Mechanismen
("Kanzlerbonus", de facto-Nicht-Trennung der legislativen von der exekutiven
Gewalt) folgte, wurden damit trotz expliziter Leugnung implizit
eingestanden.

Wenn es jetzt aber zu einem politischen Streik kommt, darf man diesen so
nicht nennen, da dies einem sehr wohl expliziten Maengeleingestaendnis nahe
kaeme -- was den gar so oesterreichischen, weil ein bisserl verlogenen
Konsens der zweiten Republik tatsaechlich in Frage stellen wuerde.

Streik? In Österreich???

Aber was soll das ueberhaupt sein, ein Streik in Oesterreich? Die Frage
erscheint legitim, wenn man sich die hiesige Rechtsordnung ansieht, die
immer auch einen Spiegel der Herrschaftsverhaeltnisse, der
gesellschaftlichen Kaempfe und der Geschichte darstellt. Hierzulande ist das
Streikrecht naemlich so gut wie gar nicht geregelt. Grossteils beschraenkt
es sich auf eine allgemeine explizite Zusicherung dieses Rechts in
voelkerrechtlichen Vertraegen sowie implizit durch das Recht, Gewerkschaften
zu bilden, welches bekanntermassen ohne das Recht auf Kampfmassnahmen
ziemlich sinnlos waere. Hierbei ist aber lediglich eindeutig, dass Streik
strafrechtlich nicht verboten werden darf. Ob der Ausschluss einer zivilrech
tlicher Belangung (Nichterfuellung eines Arbeitsvertrages, Haftung fuer
Folgeschaeden) damit gesichert ist, ist nicht ausjudiziert, genausowenig
inwiefern Streik einen Kuendigungsgrund darstellt. Die
Industriellenvereinigung sieht natuerlich sehr wohl Haftungsmoeglichkeiten,
der OeGB genauso natuerlich nicht, unabhaengige Rechtsexperten sehen sich
gezwungen, zu sagen, dass sie es einfach nicht wuessten, weil das in der
Zweiten Republik bislang kein rechtlich relevantes Thema gewesen ist.

Die Tatsache, dass es in Oesterreich weder ein ausformuliertes Streikrecht
noch eine relevante Judikatur dazu gibt, zeigt, dass auch bei seltenen
Streiks eine solche Rechtsgrundlage bislang nicht noetig war, da zur
Abstumpfung der Widersprueche von Unternehmer- und Regierungsseite kaum ein
Bedarf danach angemeldet worden war, also es tunlichst vermieden worden war,
legislative oder juristische Schritte zu unternehmen. Streiks sind seit 1950
etwas, was lediglich quasi als Eiter einer Wunde, die sich die
Sozialpartnerschaft wegen einer gewissen Unachtsamkeit zugezogen hatte,
betrachtet wurde. Selbst vom OeGB wurden und werden sie als etwas Peinliches
angesehen.

Zurück in die 80er

Worum es dem OeGB nicht geht, ist, den Streik wieder als Mittel des
Arbeitskampfes oder gar der Politik salonfaehig zu machen. Es geht den
Fuehrungsgremien der Gewerkschaft lediglich um eine Wiederaufladung jenes
Streikdrohpotentials, das die Sozialpartnerschaft ermoeglichte. Solange die
Unternehmerseite tatsaechlich die Streikfaehigkeit des OeGB fuerchten
musste, der buergerliche Staat mit den Satellitenstaaten der Sowjetunion
die, wenn auch unattraktive, Systemalternative vor der Haustuer hatte und
das Zollrecht einen ausreichende Kaufkraft im Inland fuer die hier
produzierten Waren noetig machte, solange war die Sozialpartnerschaft auch
von Seiten des Kapitals interessant. Die Streikfaehigkeit des OeGB ist schon
lange nicht mehr gegeben -- die letzten grossen Streiks gab es 1962, damals
streikten 4 Tage lang 200.000 Metaller und 18 Tage lang die Exekutive.
Spaetestens mit Antritt der Regierung Kreisky war dieses Drohpotential in
relevantem Ausmass nicht mehr gegeben.

Aber jetzt ist auch die Systemalternative weg und der globalisierte Waren-
und Kapitalverkehr erzeugte in vielen Branchen eine Unabhaengigkeit von der
Kaufkraft. Einem Bruch des Interessensausgleichs-Vertrags zwischen den
"Klassen", "Staenden" oder "Schichten" von Seiten der Reichen stand nichts
mehr entgegen.

Neben einer Reattraktivierung des Gewerkschaftsbundes selbst ist es so vor
allem das Ziel des OeGBs, eben diesen verlorengegangen Sozialpartner-Konsens
zu rekonstruieren. Das erscheint nicht viel, ist aber in Zeiten einer
"Internationalen Gemeinschaft", die den unumschraenkten Herrschaftsanspruch
der alles regulierenden "Unsichtbaren Hand" des Marktes einfordert, schon
eine ganze Menge. Denn wenn es auch den reformistische Ansatz einer Kittung
des Bruchs der oesterreichischen Nachkriegsordnung darstellt, so ist es doch
auch gleichzeitig der Bruch mit der Akzeptanz des neuen Konsenses, dass die
Politik sich unter einen als mittlerweile naturgegeben angesehenen
marktwirtschaftlichen Primat zu stellen habe. Es ist nichts weniger als die
Behauptung, dass Politik die Oekonomie zu bestimmen hat und nicht eine a
priori kapitalistisch zu seiende Wirtschaft die Politik zu einem
Ausfuehrungsinstrument degradieren darf. Wie diese Politik dann auszusehen
hat und wer sie zu betreiben hat, ist dann natuerlich noch auszustreiten,
aber allein die Tatsache, dass hier das essentielle Dogma des
Neoliberalismus als nichtig erklaert wird, hat einen gewissen
revolutionaeren Touch. Gerade in diesem Sinne ist es ein sehr politischer
Streik und er ist gerade deswegen kein Streik gegen die Demokratie. Er ist
ein Streik gegen die Herrschaft des Kapitalismus und daher fuer die
Demokratie. Und so ist er -- bei aller Durchsichtigkeit der Motive mancher
sozialdemokratischer Bonzen und der daraus resultierenden Notwendigkeit von
Wachsamkeit der Linken -- durchaus unterstuetzenswert.

Bernhard Redl

*

Kasten:

> Zum "Verbot" des Politischen Streiks

Durch die Nichtexistenz eines Streikrechts in Oesterreich wird auch die
immer wieder aufgestellte Behauptung, Streiks seien als politisches Mittel
verboten und nur in arbeitsrechtlicher Hinsicht erlaubt, anfechtbar. Zum
einen im konkreten Fall deswegen, weil auch das Arbeits- und Sozialrecht
(und damit auch das Pensionsrecht) Teil des Politischen ist. Somit kann es
nicht illegitim sein, selbst einen Generalstreik zu proklamieren, wenn alle
Branchen betroffen sind, wenn es wohl als legitim angesehen wird, zu
streiken, wenn es nur eine einzige Branche betrifft -- wenn Metaller fuer
einen anderen Kollektivvertrag streiken duerfen, muessen alle
unselbststaendig Erwerbstaetigen auch fuer ein anderes Pensionsrecht in den
Ausstand treten duerfen. Ansonsten koennte der Nationalrat ja jeden Streik
dadurch unterbinden, in dem er die Kollektivvertraege als Gesetz
festschreibt. Derlei Ideen sind ja nicht so voellig realitaetsfern, sondern
bereits von frueheren oesterreichischen Regierungen angedacht worden.

Zum anderen wird ein Verbot des politischen Streiks nur sehr indirekt
abgeleitet und ist nirgendwo explizit definiert. In unserer Rechtsordnung
gilt aber "nullum crimen sine lege" -- was gesetzlich nicht definiert ist,
kann kein Vergehen sein.

Und zum dritten sei festgestellt, dass auch der Vergleich mit anderen
westlichen Industriestaaten weder fuer Oesterreich juristisch bindend sein
kann, noch wirklich als Grundlage einer politischen Ableitung ueberzeugend
ist. Denn viele Staaten definieren zwar den politischen Streik als
rechtswidrig, sehen aber erstens oft auch dafuer Ausnahmen vor und kennen
zweitens den Begriff des "sozio-politischen" Streiks, der zum Beispiel in
Italien, Spanien, Portugal und Holland rechtskonform ist. Damit ist aber in
vergleichbaren EU-Laendern keinerlei ausnahmsloses Verbot eines politischen
Streiks generell zu konstatieren.

Und zuletzt sei angemerkt, dass die Errungenschaften des Arbeits- und
Sozialrechts ohne jene Gewerkschafter, die das Gesetz gebrochen haben, nicht
denkbar gewesen waere. Haette man immer nur das getan, was die Legislative
als Recht definiert, wuerde das gesamte Arbeitsrecht heute nach
buergerlichem Vertragsrecht abgehandelt. -br-


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