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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 15. April 2003; 12:18
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Kriegsfolgen:

> Kriegswaffe Umwelt

Obwohl vom Voelkerrecht verboten, kam es im Zuge militaerischer
Interventionen immer wieder zu massiven Ein-griffen in Natur und Umwelt

Agent Orange hiess das oekologische Kampfmittel, mit dem die
US-Streitkraefte im Vietnamkrieg (1965-1973) die Mangroven- und Regenwaelder
entlaubten. Diese Herbizidmischung, die ein hoch toxisches Dioxin enthielt,
zerstoerte zum einen die Lebensgrundlage der vietnamesischen
Volksbefreiungsbewegung Vietcong, zum andern gelangten die Herbizide ueber
Umwege in die Nahrungskette. Die rund 72,4 Millionen Liter Herbizide, die
von den USA im Vietnamkrieg eingesetzt wurden, verringerten nachweislich die
Biomasse, vernichteten Pflanzen und toeteten eine Vielzahl von
Kleinlebewesen. In Vietnam wurden 44 Prozent des Waldes und 43 Prozent der
Ackerflaechen durch Herbizide verseucht; weite Teile Suedvietnams sowie das
Aluoi-Tal in Zentralvietnam und die Region um Saigon gelten als besonders
betroffen.

Vernichtungsstrategie im Vietnamkrieg

Auf der ersten Wissenschaftskonferenz zu den Folgen von »Agent Orange« in
Hanoi im Sommer 2002 praesentierten kanadische Wissenschaftler ihre
Ergebnisse: Danach laesst sich selbst bei zwoelfjaehrigen vietnamesischen
Kindern noch eine stark erhoehte Dioxin-Konzentration im Blut feststellen.
In der Region von Bien Hoa etwa, in der die US-Streitkraefte waehrend des
Vietnam-Kriegs stationiert waren, stellten die Forscher einen um den Faktor
zehn erhoehten Dioxin-Wert im Blut von Erwachsenen und Kindern fest.
Ausserdem, so die Forscher, waren die Agrarboeden von Bien Hoa zehn Mal so
verseucht wie die am staerksten belasteten Boeden in Europa. Der
Vietnamkrieg ist aus Sicht der Wissenschaft eine Paradebeispiel dafuer, wie
sich die Umwelt als Waffe einsetzen laesst.

»Im Vietnamkrieg«, meint auch der Umweltexperte Knut Krusewitz, »machte die
kriegsfuehrende Partei USA erstmals in der Militaergeschichte eine
wissenschaftlich angeleitete Manipulation der Natur zum integralen
Bestandteil ihrer Kriegsstrategie«. Zwar waren schon die Roemer davon
ueberzeugt, dass es legitim sei, im Zuge eines als gerecht angesehenen
Krieges (bellum iustum) die Umwelt des Gegners zu zerstoeren, seine Ernte zu
vernichten, seine Obstbaeume zu faellen oder seine Hoefe nieder zu brennen.
Und so haben denn auch schon die Roemer im 3. Punischen Krieg (143-146 v.
Chr.) nicht nur Karthago vollstaendig zerstoert, sondern auch die Aecker des
Feindes mit Salz bestreut, um den Bewohnern der Stadt die Lebensgrundlage zu
entziehen.

Dennoch ist es aus Sicht von Knut Krusewitz nicht haltbar, die von zivilen
Wissenschaftlern akribisch vorbereitete Manipulation der Umwelt mit
den »archaischen« Kriegsmethoden der Roemer zu vergleichen. »Das Neuartige
moderner Umweltkriegsfuehrung besteht darin, dass sich die Wissenschaft in
den Dienst des Militaers stellt. Ohne das Engagement der zivilen Forscher
waere es im Vietnam-Krieg nicht moeglich gewesen, die Umwelt als Waffe
einzusetzen«.

EMNOD - das erste Umweltkriegsverbotsabkommen

Als Reaktion auf die dramatischen Umweltfolgen in Vietnam legte die
Sowjetunion ein Jahr nach Kriegsende der Generalversammlung der Vereinten
Nationen einen Vertragsentwurf vor, der den militaerischen Missbrauch der
Umwelt in Zukunft verbieten sollte. Die von der Abruestungskommission der
UNO erarbeitete Konvention ENMOD (»Umweltkriegsverbotsabkommen«) erklaerte
es 1977 fuer unrechtmaessig, im Zuge einer militaerischen Auseinandersetzung
die Ozonschicht eines Landes zu zerstoeren, Fluesse umzuleiten, Erdbeben
auszuloesen oder gefaehrliche Stoffe in die Nahrungskette einzubringen. Die
Sowjetunion forderte darueber hinaus, die Atombombe als »Umweltwaffe« zu
deklarieren. Doch ihre Forderung scheiterte am Widerstand der USA, die nicht
auf die Atomwaffe verzichten wollte.

Die ENMOD-Konvention wurde von der UN noch im selben Jahr durch das so
genannte Zusatzprotokoll I ergaenzt: Waehrend sich ENMOD auf die Oekologie
bezieht, also auf die natuerliche Umwelt des Menschen, wird im
Zusatzprotokoll I der Umweltbegriff ausgeweitet. Danach gelten auch
Kulturlandschaften, Infrastruktur und Wohnungen als »Umwelt«. Durch das
Umweltabkommen von 1977 wurde Umweltrecht und humanitaeres Voelkerrecht
erstmals miteinander verknuepft.

Doch trotz dieses Umweltabkommens kam es in der Folgezeit immer wieder zu
Militaeraktionen, die mit gravierenden oekologischen Schaeden einhergingen.
NMOD blieb faktisch wirkungslos. Das Problem der ENMOD-Konvention besteht
fuer Knut Krusewitz darin, »dass ENMOD nur die gezielte Manipulation der
Umwelt verbietet, schwere Umweltschaeden als Nebenwirkungen moderner Kriege
aber in Kauf nimmt.« Kollateralschaeden gross angelegter militaerischer
Operationen sind nach Ansicht des Voelkerrechtlers Peter Oerter folglich
denn auch kein Verstoss gegen die Konvention, solange sie »dem
Grunderfordernis der militaerischen Notwendigkeit« unterliegen.

Von Kuwait nach Kosovo ...

So setzten die alliierten Streitkraefte im Golf-Krieg 1991 etwa 340 Tonnen
uranhaltige Munition ein. Und auch im Kosovo-Krieg wurden elf Tonnen davon
angewendet. Nach Meinung von Pekka Haavisto von UNEP, dem Umweltprogramm der
UNO, ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die von der NATO abgefeuerten
Uran-Projektile das Trinkwasser im Kosovo kontaminiert haetten. Dennoch
haben die UN eine sofortige Entfernung aller Projektile angeordnet, um den
Schutz der Bevoelkerung zu gewaehrleisten. Ob uranhaltige Munition ins
Trinkwasser und damit in die Nahrungskette gelangt ist oder nicht, darueber
herrscht unter Wissenschaftlern derzeit keine Einigkeit.

Die NATO als kriegsfuehrende Partei wiegelt ab und bezeichnet die
uranhaltige Munition lakonisch als »legale Waffe«, von der keine groesseren
Schaeden verursacht worden seien. Im Widerspruch dazu steht jedoch der
Befund eines britischen Aerzteteams vom Londoner Imperial College: Der
Forscher Brian Spatt und seine Kollegen verweisen darauf, dass durch den
Einsatzes uranhaltiger Munition bei einigen Soldaten schwere Nierenschaeden
aufgetreten seien. Am Beispiel der uranhaltigen Munition wird deutlich, wie
schwer es ist, die Umweltfolgen einer bestimmten Kriegstechnik
nachzuweisen - insbesondere dann, wenn die NATO als kriegsfuehrende Partei
nicht bereit ist, an der Aufarbeitung mitzuwirken.

... bis zum Irak

Als sicher kann hingegen gelten, dass der irakische Staatspraesident Saddam
Hussein im Golf- Krieg 1991 gegen das ENMOD- Abkommen verstiess, als er 550
der rund 1.200 kuwaitischen Oelfelder in Brand setzte und zirka 1,7
Millionen Tonnen Oel ins Meer pumpen liess. Er setzte die Oelquellen
als »primaere Umweltwaffe« ein, um die Angriffe der alliierten Streitkraefte
zu behindern. Nach Ansicht von Uwe Raffalski von der Firma Cold Lab AB
(Schweden) sollte durch das ins Meer geleitete Oel die Landsetzung der
alliierten Truppen erschwert werden. Doch selbst dieser Verstoss gegen die
ENMOD-Konvention wurde von der Voelkergemeinschaft nicht weiter
sanktioniert, obwohl die oekologischen Folgenschaeden dieses Vorgehens
verheerend waren. So verseuchte das Oel 1.500 Kilometer Strand; dabei
starben fast die gesamte Strandvegetation und Strandfauna wie Krebse und
Krabben, und das auslaufende Oel belastete nicht nur das Meer, sondern auch
den Wuestenboden. Nach Angaben von Bertrand Charrier, dem Direktor des
internationalen Green Cross bildeten sich in Kuwait 246 Oelseen in der
Wueste mit einem Umfang von 49 Quadratkilometern. Ein Teil des Oels
versickerte und verschmutzte 40 Prozent des kuwaitischen Trinkwassers.

Doch nicht nur der irakische Diktator verstiess mit seinem Verhalten gegen
die ENMOD-Konvention. Auch die USA und die Tuerkei nutzten im damaligen
Golf-Krieg die Umwelt als Waffe. Auf Draengen der USA griff die tuerkische
Regierung kurz vor Beginn des Golf-Krieges in das natuerliche Wasserregime
des Iraks ein. Indem die Tuerkei das Wasser des beide Laender durchquerenden
Flusses Tigris aufstaute, verringerte sie die Wasserzufuhr im Irak um 40
Prozent. Der Einsatz dieser Waffe schaedigte die irakische Zivilbevoelkerung
mehrfach. Zum einen erhoehte sich in der Folgezeit die Menge an
kriegsbedingten gefaehrlichen Schadstoffen im Fluss, zum andern konnte das
Agrargebiet an Euphrat und Tigris nicht mehr ausreichend bewaessert werden,
wodurch es zu Ernteausfaellen kam.

Wegen des Staudamm-Projekts der Tuerkei am Oberlauf von Euphrat und Tigris
sind mittlerweile 90 Prozent der irakischen Feuchtgebiete ausgetrocknet. Der
Chef des UN-Umweltprogramms UNEP, Klaus Toepfer, sieht darin »eine grosse
Umweltkatastrophe«. Die strategische Entwaesserung der Euphrat- und
Tigris-Region wurde jedoch nicht nur von der tuerkischen Regierung
betrieben. Auch Saddam Hussein soll nach Auffassung der UNEP daran
mitgewirkt haben, die Feuchtgebiete trocken zu legen. Er sah darin ein
probates Mittel, um die oppositionellen Volksgruppen in der Euphrat-Region
zu schikanieren.

Die ENMOD-Konvention eignet sich nicht dazu, kriegsbedingte Umweltfolgen zu
verhindern. Deshalb fordert UNEP-Chef Klaus Toepfer eine neue und
wirkungsvollere Konvention zum Schutz der Umwelt. Diese neue Konvention
solle, so Toepfer, in Anlehnung an die Genfer Menschenrechtskonvention
formuliert werden. Schon jetzt zeichnet sich ab, wie noetig es waere, ein
neues Umweltabkommen zu verabschieden: Denn bereits drei Wochen nach
Kriegsbeginn im Irak lassen sich oekologische Folgeschaeden nachweisen. Im
Schatt el Arab, der Wasserstrasse zum Persischen Golf, ist nach Angaben der
UNEP die Planktonproduktion gestiegen. Der Grund: Durch die Bombardierungen
wurden die lokalen Klaerwerke beschaedigt, weshalb vermehrt ungefilterte
Abfaelle ins Meer gelangten. (Nikolas Westerhoff, Freitag, 11.04.2003)

Quelle: http://www.freitag.de/2003/16/03161801.php



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