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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. April 2003; 20:31
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Krieg/Kommentar:
> DES TEUFELS WOERTERBUCH
Einige Gedanken zum Irakkrieg
# DIE KOALITION. Es koennte keinen passenderen Namen fuer die Zusammenarbeit
zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und dem Vereinigten Koenigreich
Britannien gegen den Irak geben.
In des "Teufels Woerterbuch" des amerikanischen Humoristen Ambrose Bierce,
das vor etwa 100 Jahren veroeffentlich wurde, wird "Koalition"
folgendermassen definiert - ich zitiere aus der Erinnerung - es ist die
Kooperation zwischen zwei Dieben, die ihre Haende so tief in der Tasche des
andern haben, dass es ihnen unmoeglich ist, unabhaengig eine dritte Person
zu bestehlen.
# WIEDERAUFBAUER. Das Problem der Briten und Amerikaner ist, dass sie einen
unstillbaren Durst haben, wieder aufzubauen.
Sie traeumen davon Tag und Nacht. Sie koennen an nichts anderes denken,
ueber nichts anderes reden.
Das Problem ist nur, um etwas wieder aufzubauen, muss man es zuerst
zerstoeren. Keine Zerstoerung - keinen Wiederaufbau.
Deshalb sind die Briten zusammen mit den Amerikanern damit beschaeftigt, den
Irak systematisch zu zerstoeren. Raketen und Bomben, Panzer und Artillerie,
Schiffe und Infanterie - alles wird benuetzt, um den Wiederaufbau des Landes
zu erleichtern.
Das Hauptobjekt des dringenden Wiederaufbaus ist natuerlich Bagdad. Eine
Stadt von fuenf Millionen Einwohnern, kilometerlange Gebaeudereihen und
Strassen, die nach ihrer Zerstoerung wieder aufgebaut werden koennen. Falls
Bagdad tatsaechlich der Ort eines Strassenkampfes nach der Art von
Stalingrad wird, Haus um Haus, Strasse um Strasse, dann wird es dort eine
Menge fuer den Wiederaufbau geben.
# DIE NEUEN MONGOLEN. Der Appetit auf Wiederaufbau trennt die neuen Eroberer
von ihren Vorgaengern, den Mongolen, die Bagdad im Jahre 1258 n.Chr.
eroberten, den Kalifen toeteten( der sich schon ergeben hatte) und die Stadt
vollkommen zerstoerten, nachdem sie die Einwohner, Maenner, Frauen und
Saeuglinge, niedergemetzelt hatten.
Sie hatten keine Wiederaufbaumannschaften mitgebracht, sondern den Irak in
eine Wueste verwandelt. Die Bewaesserungskanaele, die im Laufe von Tausenden
von Jahren der Zivilisation gebaut worden waren, wurden zerstoert. Das, was
hier geschah, ging als eine der groessten Katastrophen in die Geschichte der
arabischen Welt ein.
Uebrigens vernichteten die Muslime zwei Jahre spaeter die Mongolen in der
Schlacht bei Ein-Jalud ( heute der Kibbuz Ein- Harod) - ein wichtiges
Kapitel in der Geschichte Palaestinas. Das war das Ende der Mongolen im
Nahen Osten, aber die Region hat sich nie ganz von der mongolischen
Verwuestung erholt.
# ZERSTOeRE UND PROFITIERE. Abgesehen von dem idealistischen Ziel, dem
irakischen Volk zu helfen, gibt es eine materialistischere Seite des
Wiederaufbaus. Es wird ein grosses Geschaeft sein. Die grossen
amerikanischen Aktiengesellschaften - von denen einige mit den Paladins der
Bush-Verwaltung verbunden sind - streiten sich schon jetzt ueber die
Ausbeute. Sie werden natuerlich keinen Auslaendern gestatten, hier mit ins
Geschaeft zu kommen. Um ein amerikanisches Sprichwort zu zitieren: "Den
Siegern gehoert die Beute."
Es ist ein ziemlich widerwaertiges Schauspiel: noch bevor die irakischen
Staedte zerstoert sind, sind Wirtschaftsriesen dabei, die Profite des
Wiederaufbaus unter sich aufzuteilen.
# MENSCHENFREUNDE. Der unstillbare "Idealismus" der Angloamerikaner findet
auch in dem Drang humanitaerer Hilfe seinen Ausdruck. Dies ist schon zu
einer fixen Idee geworden. Humanitaere Hilfe muss dem irakischen Volk
gebracht werden, ob es diese will oder nicht. Wollen etwa die Einwohner von
Basra diese Hilfe nicht? Ha , wir werden dies schon sehen! Wir werden sie
bombardieren und aushungern - bis sie ihre Tore oeffnen werden und
humanitaere Hilfe hineinlassen. Nach allem kann man dem Volk natuerlich
nicht helfen, solange die Stadt unter der Kontrolle des boesen Saddam ist -
verflucht sei sein Name! - der hat doch nur ein Ziel: zu verhindern, dass
die humanitaere Hilfe das Volk erreicht.
Die Koalition koennte natuerlich anstelle von Bomben Nahrungsmittel und
Wasser aus der Luft abwerfen. Man koennte auch eine kurze Waffenruhe
arrangieren, um der belagerten Stadt humanitaere Hilfe zu bringen. Aber das
ist von Donald Rumsfeld verboten worden, noch einem grossen Menschenfreund.
So gibt es also keine andere Alternative, als sie solange zu bombardieren,
bis sie fuer die Hilfe reif sind.
# DIE KOLONIALHERREN UND DIE EINGEBORENEN. Als Vorschau fuer die humanitaere
Hilfe, die nach der Besetzung von Basra eintreffen wird, haben die Briten
einen Film ueber die Ankunft der Hilfe unterwegs in einem Dorf verbreitet.
Sie waren mit diesem Filmbericht so zufrieden, dass er Dutzende Mal im
Fernsehen gezeigt wurde.
Das sieht folgendermassen aus: ein britischer LKW bringt Nahrungsmittel und
Wasser. Die Dorfbewohner, hauptsaechlich Frauen und Kinder, belagern den
Lastwagen. Sie betteln um Wasser. Die Soldaten verteilen Mineralwasser an
die aufgeregte Menge - eine Flasche pro Kind oder Frau. Nach Tagen von
Durst, ein (ein!) Liter pro Familie.
Die ganze Szene ist ekelhaft. Der Hunger und der Durst der Bevoelkerung, die
sich mitten im Kampfgebiet befindet, wird zur groben Propaganda ausgenuetzt.
Die Briten sehen so aus, wie sie immer im Irak ausgesehen haben, wie
anmassende Kolonialherren, die den Eingeborenen eine Gunst erweisen. Fuer
jeden arabischen Betrachter ist das die aeusserste Demuetigung.
# RAUBEN FUeR DIE AUSGERAUBTEN . Um dies alles zu finanzieren - die
Zerstoerung, den Wiederaufbau, die humanitaere Hilfe und was sonst noch -
ist Geld noetig. Woher soll es kommen ? Vom irakischen Oel natuerlich.
Deshalb ist es die humanitaere Pflicht der Amerikaner, so schnell wie
moeglich die Oelfelder in Besitz zu nehmen. Nicht um ihretwillen - Gott
bewahre! - sondern um der Irakis willen. Um ihnen zu helfen und Gutes fuer
sie zu tun.
Jedes Kind weiss inzwischen, dass es in diesem Krieg um Oel geht. Die US
beabsichtigen, die irakischen Oelreserven - (nach denen der Saudis )die
zweitgroessten der Welt - in Besitz zu nehmen und die benachbarten Reserven
vom Kaspischen Meer, im Iran und am Golf zu kontrollieren. Nun sieht es so
aus, als sei alles zu Gunsten des irakischen Volkes selbst, damit dieses
fuer seine Kinder etwas zu essen und die noetige Medizin hat.
All dies nach den UN-Sanktionen, die auf Wunsch der Amerikaner verhaengt
worden waren und die nach vielen Jahren eine allgemeine Unterernaehrung und
vor Hunger und Krankheiten den Tod von Hunderttausenden von Kindern
verursacht haben, ausserdem die Zerstoerung der irakischen Infrastruktur -
alles im Namen von "Oel fuer Lebensmittel".
# OH, ORWELL, ORWELL! Was wuerde er wohl zu diesem Krieg gesagt haben?
In seinem Buch "1984"hatte er das Wahrheitsministerium Saetze praegen lassen
wie "Krieg ist Frieden", "Freiheit ist Sklaverei" und "Dummheit bedeutet
Macht". Er wuerde sich in diesem Krieg wie zu Hause fuehlen.
Besatzung bedeutet Freiheit; Krieg ist eine menschliche Pflicht; eine
auslaendische Regierung stuerzen bedeutet Regierungswechsel; Hungersnot ist
humanitaere Hilfe; Kampf gegen einen auslaendischen Angreifer bedeutet,
einem Tyrannen dienen; eine Stadt zu bombardieren, ist Dienst am Volk.
Die Wahrheit ist immer das erste Opfer eines jeden Krieges. Aber es scheint,
dass sie in diesem besonderen Krieg noch mehr leidet als sonst.
Verlogenheit, Heuchelei, Desinformation und Gehirnwaesche feiern.
Vier-Sterne-Generaele plappern offenkundig verlogene Slogans nach,
Star-Journalisten aus aller Welt uebernehmen sie eifrig, das
Welt-TV-Netzwerk wiederholt sie fleissig, und die israelischen Medien
verschlingen sie alle.
Bon appetit!
*Uri Avnery, 29.3.03*
*Aus dem Englischen uebersetzt: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert*
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