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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 8. April 2003; 19:58
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Krieg/Folgen:
> Backlash bei den Menschenrechten
amnesty-Bericht gab kürzlich einen Bericht zu den Geschehnissen im Schatten
des Krieges heraus. Das Ergebnis: Da derzeit der Kriegsschauplatz im Zentrum
des Interesses steht, werden im Zuge dessen geschehene
Menschenrechts-Verletzungen weitgehend ignoriert. Hier das Sündenregister:
1) Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Versuche der Behoerden, Menschen von friedlichen oeffentlichen
Demonstrationen abzuhalten, die Behinderung und willkuerliche Verhaftung von
JournalistInnen, RechtsanwaeltInnen, RegierungsgegnerInnen und Anti-
Kriegs-AktivistInnen sowie die Anwendung von Anti-Terror-Gesetzen stellten
in vielen Laendern Angriffe auf die Grundrechte der freien
Meinungsaeusserung, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit dar.
BELGIEN - Seit Anfang Maerz hat die Polizei mehr als 450
Anti-Kriegs-DemonstrantInnen in "Verwaltungshaft" genommen, eine Art
"vorbeugender Haft", die maximal zwoelf Stunden dauern darf. Im
Bundesparlament gab es Anfragen zu der grossen Zahl von Festnahmen und zur
Bedrohung des Rechts auf freie Meinungsaeusserung und Versammlungsfreiheit,
weil viele Menschen festgenommen wurden, waehrend sie friedlich
protestierten, und spaeter ohne Anklage wieder freigelassen wurden.
Menschen, die sich im Dorf Melsele trafen, um Protestaktionen zu
organisieren, wurden ebenfalls in Verwaltungshaft genommen.
AeGYPTEN - Hunderte von Menschen, die mit der Anti-Kriegsbewegung zu tun
haben, darunter RechtsanwaeltInnen, JournalistInnen, Parlamentsabgeordnete,
AkademikerInnen und StudentInnen, wurden seit dem 20. Maerz verhaftet.
Berichten zufolge wurden einige von ihnen gefoltert. Am 21. Maerz besetzen
Sicherheitskraefte mehrere Stunden lang das Gebaeude der Aegyptischen
Rechtsanwaltsvereinigung in Kairo. In den Tagen nach den Demonstrationen
wurden Studierende in oder vor den Gebaeuden der Universitaet festgenommen.
Die Staatssicherheitsanklagebehoerde von Heliopolis ordnete im Zusammenhang
mit den Demonstrationen die Verhaftung von 25 Personen an, darunter zwei
Parlamentsabgeordnete.
JORDANIEN - Fawaz Zurayqat, ein Manager der Fernsehstation Arab Television
und fuehrender Aktivist in einem lokalen Komitee fuer die Verteidigung des
Irak, wurde am 3. April in seinem Buero verhaftet. Ibrahim Alloush, ein
bekannter Anti-Kriegsaktivist, wurde am 24. Maerz verhaftet. Mindestens 15
weitere Anti- Kriegsaktivisten wurden verhaftet, darunter Dr. Issam
Al-Khawaja, ein Mitglied des Vorstands der Volksunionspartei, und Ibrahim
Al-Yamani, Mitglied des Shura-Rats der Islamischen Aktionsfront. Es wird
angenommen, dass sie in Incommunicado-Haft gehalten werden.
TUeRKEI - Um Proteste und Pressestatements gegen den Krieg zu verhindern,
wurde das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit eingeschraenkt.
GROSSBRITANNIEN - Berichten zufolge wurde das Antiterrorgesetz in einigen
Gebieten angewandt. Es raeumt der Polizei spezielle Rechte ein, um Menschen
ohne begruendeten Verdacht anzuhalten und zu durchsuchen. Das hatte zur
Folge, dass Dutzende Personen angehalten und durchsucht wurden. Eine Person
soll festgenommen worden sein, als sie Polizisten dabei filmte, wie sie ein
Kind bei einer Demonstration festhielten. Busse wurden mit der Begruendung,
die Passagiere koennten gewalttaetig werden, daran gehindert, sich einer
US-Airbase zu naehern. Es ist noch immer nicht geklaert, welche
Polizeikraefte eingesetzt wurden, um die Buspassagiere unter Polizeigeleit
nach London zurueckzubringen.
USA - Im Maerz demonstrierten in amerikanischen Staedten Tausende gegen den
Krieg. Dabei kam es zu vielen Festnahmen wegen angeblicher Verletzung der
oeffentlichen Ordnung. In Chicago wurden 500 Personen festgenommen, nachdem
DemonstrantInnen am 20. Maerz eine Hauptverkehrsader blockiert hatten. Laut
Berichten waren darunter auch ZuschauerInnen und DemonstrantInnen, die sich
nicht gesetzwidrig verhalten hatten. Es gab Vorwuerfe, dass einige
DemonstrantInnen, die keinen Widerstand leisteten, von der Polizei
geschlagen wurden.
2) Exzessiver Gewalteinsatz durch die Polizei
Seit 20. Maerz sind weltweit Millionen Menschen auf die Strassen gegangen,
um gegen den Krieg im Irak zu protestieren. Einige Demonstrationen arteten
aus oder haben zu Zusammenstoessen mit der Polizei gefuehrt, andere waren
friedlich. In beiden Situationen und in vielen Laendern hat die Polizei
Berichten zufolge exzessive Gewalt gegen Demonstranten angewendet.
Demonstranten wurden von Sicherheitskraeften geschlagen oder auf andere
Weise taetlich bedroht, und weltweit wurden Tausende Protestierer
willkuerlich festgenommen. Einige der Verhafteten wurden misshandelt oder
gefoltert.
AeGYPTEN - Dutzende Anti-Kriegs-AktivistInnen wurden schwer geschlagen und
Hunderte verletzt, als die Polizei Wasserwerfer, Schlagstoecke und Hunde
gegen DemonstrantInnen einsetzte. Manal Ahmad Mustafa Khalid wurde von
Sicherheitsbeamten schwer geschlagen, als sie von einer Demonstration auf
dem Tahir-Platz im Zentrum Kairos zurueckkam. Sie trug eine schwere
Augenverletzung davon. Unter den von Sicherheitskraeften Verletzten waren
auch JournalistInnen, die ueber die Anti-Kriegsdemonstrationen berichten
wollten. Einer von zwei festgenommenen Parlamentsabgeordneten, Muhammad
Farid Hassanein, wurde ebenfalls vor der aegyptischen
Rechtsanwaltsvereinigung von Maennern in Zivilkleidung mit Schlagstoecken
schwer geschlagen und musste danach im Krankenhaus behandelt werden.
DEUTSCHLAND - Polizisten haben moeglicherweise am 24. Maerz bei einer
Demonstration in Hamburg uebertriebene Gewalt gegen junge
Anti-KriegsdemonstrantInnen eingesetzt. Die Polizei setzte laut Berichten
Wasserwerfer und Schlagstoecke ein, um mehrere Hundert Protestierende vor
dem US-Konsulat zu vertreiben, weil diese sich zu gehen weigerten, nachdem
die Hauptdemonstration beendet war. Die Polizei sagte, die DemonstrantInnen
seien gewalttaetig geworden und haetten Flaschen und Steine auf sie
geworfen. Eine grosse Zahl von DemonstrantInnen wurde festgenommen. Die
meisten von ihnen wurden am spaeten Abend wieder freigelassen. Eine
Sondersitzung des Innenausschusses des Hamburger Stadtrats wollte die
Vorwuerfe am 1. April pruefen.
GRIECHENLAND - Bei massiven Anti-Kriegs-Demonstrationen in verschiedenen
Staedten, einschliesslich in der Naehe von Nato-Militaerbasen wie Souda auf
Kreta, haben Spezialeinheiten der Polizei Berichten zufolge DemonstrantInnen
misshandelt. Am 24. Maerz haben in Thessaloniki Angehoerige dieser
Polizeitruppe den Dekan der Erziehungswissenschaftliche Fakultaet der
Aristoteles Universitaet getreten, nachdem er nach einer Traenengasexplosion
hingefallen war. Am 21. Maerz hat die Polizei 23 DemonstrantInnen
festgenommen, Dutzende weitere wurden kurz festgenommen, als bei Anti-
Kriegsdemonstrationen in Athen Gebaeude beschaedigt worden waren. Nach der
Demonstration sollen Polizisten der Spezialeinheit irakische ImmigrantInnen
geschlagen und 38 von ihnen zur Identitaetsueberpruefung mitgenommen haben.
Alle wurden wieder freigelassen, aber drei kurieren ihre Verletzungen noch
im Spital aus.
SPANIEN - Bis zu 178 Personen sollen bei Friedensmaerschen in Madrid am 21.
und 22. Maerz verletzt worden sein, einige davon schwer. Die Demonstrationen
verliefen im grossen und ganzen friedlich. Allerdings kam es am 21. Maerz zu
gewalttaetigen Zwischenfaellen, nachdem Polizeibeamte Gummigeschosse in die
Luft geschossen hatten, um den Zugang zum Kongressgebaeude zu blockieren.
Danach sollen Polizisten in die Menge geschossen haben. Etwa 40 Menschen
sollen dabei verletzt worden sein, zehn davon mussten im Spital versorgt
werden. Am Tag darauf sollen Polizisten in Spezialausruestung bei grossteils
friedlichen Demonstrationen - mit aelteren Menschen und Familien mit
Kindern - Gummigeschosse eingesetzt haben. Einige DemonstrantInnen sollen
wiederholt mit Gummiknueppeln geschlagen worden sein. Die Polizeiaktionen
wurden von der Presse und von politischen Oppositionsparteien als
uebertrieben und unangemessen kritisiert. DemonstrantInnen haben bei Gericht
bereits mehr als 30 Klagen wegen Misshandlung durch die Polizei eingebracht.
SUDAN - Drei Studenten sollen bei verschiedenen Demonstrationen, von denen
einige gewaltsam verliefen, in Khartoum getoetet worden sein. Die Polizei
uebernahm die Verantwortung fuer den Tod eines 22-jaehrigen demonstrierenden
Studenten am 22. Maerz.
TUeRKEI - Spezialtruppen der Polizei haben Berichten zufolge
DemonstrantInnen bei Anti-Kriegsprotesten, darunter in Nusaybin und Adana
(in dessen Naehe US- Truppen stationiert sind) sowie in Istanbul und Ankara
geschlagen. Sie wendete unangemessene Gewalt an, um etwa 5000 Leute zu
zerstreuen, die sich am 21. Maerz nach dem Freitagsgebet versammelt hatten,
um vor der Beyazit-Moschee in Istanbul gegen den Krieg zu protestieren.
Mindestens vier Menschen wurden festgenommen.
JEMEN - Ein elfjaehriges Kind und zwei Demonstranten wurden am 21. Maerz bei
heftigen Zusammenstoessen zwischen Polizei und Demonstranten in Sana'a
erschossen, als Tausende Menschen gegen den Krieg demonstrierten.
3) Einschraenkung des Asylrechts
In vielen Teilen der Welt wird das Asylrecht von Staaten eingeschraenkt oder
missbraucht, die ihre internationalen Verpflichtungen zum Schutz von
Menschen, die aus Angst um ihr Leben aus ihren Wohnungen fluechten, nicht
erfuellen wollen.
USA - Die "Operation Liberty Shield", die das US-Ministerium fuer Innere
Sicherheit am 17. Maerz ankuendigte und die inzwischen bereits implementiert
ist, schreibt die Inhaftierung von Asylsuchenden aus dem Irak und mindestens
33 anderen, nicht naeher bezeichneten Laendern vor, die in die USA kommen
und am Ankunftsort Asyl beantragen. Die Polizei erlaubt den
Einwanderungsbehoerden, solche AsylwerberInnen "fuer die Dauer ihres
Verfahrens" in Haft zu halten, wenn sie aus Staaten kommen, "in denen Al
Kaida, Al Kaida-SympathisantInnen und andere terroristische Gruppen operiert
haben sollen", wie es in einem Statement des Ministeriums heisst. Diese
Bestimmung macht Menschen aufgrund ihrer Nationalitaet bzw. der
mutmasslichen Zugehoerigkeit zu einer bestimmten Vereinigung automatisch zu
Verdaechtigen.
amnesty international ist der Ueberzeugung, dass die obligatorische
Verhaftung einer Gruppe von Asylsuchenden, wie sie die "Operation Liberty
Shield" vorschreibt, ein klarer Bruch internationaler Rechtsstandards ist,
die eine willkuerliche und gesetzwidrige Verhaftung untersagen. Unter dem
"Operation Liberty Shield" koennten Tausende von Asylsuchenden, die in den
USA Sicherheit suchen, automatisch und ohne Haftpruefung fuer Monate oder
Jahre in Haft kommen, solange ihr Verfahren laeuft.
MEHRERE LAeNDER, darunter Daenemark, Norwegen, Schweden und Grossbritannien,
haben ihre Entscheidungen ueber irakische Asylansuchen eingefroren. Schweden
gibt jedoch unbegleiteten Kindern eine permanente Aufenthaltserlaubnis.
Norwegen und Grossbritannien werden ihre Entscheidungen weiterhin im
Zusammenhang damit treffen, dass Asylsuchende in Uebereinstimmung mit dem
Dubliner Uebereinkommen und nach dem Prinzip des Erstasyllands in andere
Laender geschickt werden. In Grossbritannien wird es keine Interviews mit
irakischen Asylsuchenden geben und keine Entscheidungen.
Bei laufenden Asylantraegen soll eine Vertagung angestrebt werden. ai
vorliegende Informationen weisen darauf hin, dass die Lage weiter
ueberprueft werden soll. amnesty international ist besorgt darueber, dass
sich eine solche Politik infolge der Unsicherheit nachteilig auf die
Asylsuchenden auswirken kann. Die Organisation ist ueberzeugt, dass Staaten
auch weiterhin Entscheidungen ueber noch nicht erledigte
Fluechtlingsantraege treffen sollten. In einer instabilen Situation haben
Asylsuchende das Recht auf Gewissheit ueber ihr Schicksal. Bei der
Bewertung, ob sie begruendete Angst vor Verfolgung haben, sollte man im
Zweifellsfall fuer sie entscheiden. Sie duerfen nicht zur Geisel der von
einigen Aufnahmestaaten gehegten Hoffnung werden, die Lage im Herkunftsland
werde sich bald so aendern, dass die Fluechtlinge heimkehren koennen.
(amnesty/gek.)
Original in Englisch: http://web.amnesty.org/pages/irq-engmde140572003
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