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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 1. April 2003; 16:53
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Recht/Behindert:

> "Es war sehr schoen, es hat mich sehr geschuetzt!"

Die Chronik einer Schutzbestimmung fuer behinderte Menschen vor den Tuecken
und Fallen des Geschaeftslebens.


Dass behinderte Menschen vor der "gefaehrlichen und boesen Welt" besonders
zu schuetzen sind, war anno dazumal und ist auch heute eine weit verbreitete
Meinung. In den Augen vieler Menschen galt und gilt aber die Blindheit als
"furchtbarste Behinderung von allen", und so kommt es, dass gerade blinde
Menschen als am schuetzenswertesten angesehen werden.

1871: Das sogenannte Notariatsaktszwangsgesetz der Monarchie wird
kundgemacht, das u.a.folgendes regelt:

"§ 1 (1) Die Giltigkeit der nachbezeichneten Vertraege und Rechtshandlungen
ist durch die Aufnahme eines Notariatsaktes ueber dieselben bedingt: ... e)
alle Urkunden ueber Rechtsgeschaefte unter Lebenden, welche von Blinden,
oder welche von Tauben, die nicht lesen, oder von Stummen, die nicht
schreiben koennen, errichtet werden, sofern dieselben das Rechtsgeschaeft in
eigener Person schliessen."

Maerz 1999: Diese Bestimmung wird von den Interessenvertretungen der
behinderten Menschen als Diskriminierung qualifiziert und von der
Arbeitsgruppe zur Durchforstung des Bundesrechts nach
behindertendiskriminierenden Bestimmungen im
Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst auch in den diesbezueglichen
Durchforstungsbericht aufgenommen.

Oktober 1999: Die Benachteiligung durch die finanzielle Belastung -
Notariatstarife fuer die Errichtung von Notariatsakten - soll durch eine
Sonderbestimmung der Standesrichtlinien fuer Notare entschaerft werden.

2001: Es wird mit einer Novelle zum Notariatstarifgesetz eine
Spezialregelung geschaffen:

"§ 4a. Ergibt sich bei sonst gleichen Voraussetzungen fuer die Erfuellung
eines Auftrages aus der Behinderung einer Partei ein zusaetzliches oder
strengeres Beurkundungserfordernis, ist dieser Umstand bei Berechnung der
tarifmaessigen Gebuehr ausser acht zu lassen."

Auf gut Oesterreichisch: Gratis ist der Notariatsakt also nicht!

Den Bestimmungen von 1871 wird hinzugefuegt: "dies gilt nicht fuer von
Blinden errichtete Urkunden ueber Rechtsgeschaefte, wenn das Rechtsgeschaeft
eine Angelegenheit des taeglichen Lebens betrifft und eine von der blinden
Person beigezogene Vertrauensperson die Urkunde ueber das Rechtsgeschaeft
mit unterfertigt. Gleiches gilt fuer bankuebliche Vertraege ueber die
Eroeffnung von Girokonten."

Zur Intensivierung dieses Schutzes behinderter Menschen vor den Tuecken der
Geschaeftemacher wurde mit derselben Novelle dem § 1 Notariatsaktsgesetz
auch ein Absatz 3 angefuegt:

"(3) Auf die Ungueltigkeit eines Rechtsgeschaeftes wegen Fehlens des nach §
1 Abs. 1 lit. e erforderlichen Notariatsaktes kann sich nur die behinderte
Person berufen."

Nun, damit vermeinte das Justizministerium den Spagat zwischen dem
"unverzichtbaren Schutzbeduerfnis" und unnotwendigen Beschraenkungen
behinderter Menschen geschafft zu haben; doch die Lebensrealitaet belehrt
uns eines besseren. Nun klingt es ja fuers erste ganz annehmbar, dass man
Rechtsgeschaefte des taeglichen Lebens nun auch ohne Notariatsakt schliessen
kann, wenn eine Vertrauensperson des blinden Menschen dieses Rechtsgeschaeft
mitunterzeichnet, doch die Erlaeuterungen zum Gesetz zeigen bereits, dass
das so toll nicht ist, wie es klingt; so heisst es etwa in den
Erlaeuterungen:

"Im Anschluss daran wird nunmehr aber eine Einschraenkung der
Notariatsaktspflicht fuer Rechtsgeschaefte von Blinden normiert. Diese
Einschraenkung ist so ausgestaltet, dass unter Beruecksichtigung des
unverzichtbaren Schutzaspekts lediglich nicht notwendige Beschraenkungen der
Moeglichkeit blinder Personen, rechtsgeschaeftlich zu verfuegen, wegfallen
sollen. Von Blinden errichtete Urkunden ueber Rechtsgeschaefte, die die
Angelegenheiten des taeglichen Lebens betreffen, unterliegen demgemaess
unter der Bedingung nicht mehr der Notariatsaktspflicht, dass eine von der
blinden Person beigezogene Vertrauensperson die Urkunde ueber das
Rechtsgeschaeft mitunterfertigt. Diese Vertrauensperson muss unbefangen
sein, d.h. das beabsichtigte Rechtsgeschaeft darf die wirtschaftlichen oder
sonstigen Interessen der Vertrauensperson nicht betreffen."

Naja, da fragt sich auch, was ist denn, wenn man keine solche
Vertrauensperson hat? Und was, wenn man gar dieser Vertrauensperson mit dem
Rechtsgeschaeft etwas zukommen lassen - schenken oder kaufen - will? Die
Antwort ist einfach; dann bleibt wieder nur ein Notariatsakt. Und der ist,
wie sich gezeigt hat, noch immer nicht gratis; ganz abgesehen von den
zusaetzlichen Wegen, die gerade fuer blinde Menschen nicht wenig erschwerend
wirken.

Es fragt sich aber auch, was unter Rechtsgeschaeften des taeglichen Lebens
ueberhaupt zu verstehen ist; ist das ein Vertrag ueber eine Mietwohnung, ein
Moebelkauf, der Kauf von elektronischen Geraeten, ein Versicherungsvertrag?
Nun, die meisten davon werden wohl nicht als Rechtsgeschaefte des taeglichen
Lebens anzusehen sein. Da jedoch das Gesetz und die Erlaeuterungen dazu
keine naehere Erklaerung geben, wird man sich als blinder Mensch halt immer
wieder der Willkuer der Geschaeftsleute aussetzen muessen und letztlich,
wenn man das Geschaeft machen will oder muss, doch, ob man will oder nicht,
wieder auf den Notariatsakt zurueckkommen muessen.

Und auch der Passus, dass die Eroeffnung von Girokonten nicht mit
Notariatsakt erfolgen muss, gilt nach den Erlaeuterungen zum Gesetz schon
dann nicht mehr, wenn mit diesem Konto ein umfangreicher Ueberziehungsrahmen
verbunden ist:

"Da Vertreter der Behindertenorganisationen die Notariatsaktspflicht
besonders bei der Eroeffnung von Girokonten durch blinde Personen als
unnoetig beschraenkend erachteten, wurde durch eine demonstrative
Hervorhebung ("insbesondere") klargestellt, dass Vertraege ueber die
Eroeffnung von Girokonten grundsaetzlich zu den in der neuen Bestimmung des
§ 1 Abs. 1 lit. e Notariatsaktsgesetz angesprochenen Rechtsgeschaeften ueber
Angelegenheiten des taeglichen Lebens zaehlen; dies gilt jedoch nur fuer
solche Vertraege ueber die Eroeffnung von Girokonten, deren Folgen nicht die
Befriedigung der Lebensbeduerfnisse der blinden Person gefaehrden. Diese
Einschraenkung wird etwa bei im Verhaeltnis zum Einkommen der blinden Person
unverhaeltnismaessig weitreichenden Moeglichkeiten der Kontoueberziehung
Bedeutung haben. Von einer voelligen Beseitigung der Notariatsaktspflicht
fuer Blinde wurde dagegen abgesehen. Damit soll vermieden werden,
tatsaechlich vorhandene Schutzbeduerfnisse behinderter Personen leichtfertig
ausser acht zu lassen."

Naja, damit waere ja alles klar; Sie brauchen sich daher als blinder Mensch,
der mit beiden Beinen im Leben steht, weiterhin nicht zu wundern, wenn eine
Bank Ihnen die Eroeffnung eines Girokontos ohne Notariatsakt verweigert oder
Ihnen nur deshalb, weil Sie blind sind, keine Bankomatkarte geben will.
Alles schon mehrfach da gewesen. Ja und zahlen muessen Sie fuer die Dienste
des Notars natuerlich auch weiterhin, wenn auch vielleicht etwas weniger.

Da kann man nur frei nach Kaiser Franz Joseph sagen: "Es war sehr schoen, es
hat mich sehr geschuetzt!"
*Michael Krispl, Bizeps Homepage*

http://www.bizeps.or.at/news.php?nr=4080


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