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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. Maerz 2003; 18:08
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Krieg und Recht:

> Bush vors UNO-Tribunal?

Wer die Macht hat, hat das Recht

Am 20.3.2003, dem Tag des Angriffs, erschien folgendes Interview mit dem
Voelkerrechtler Walter Kaelin in der WoZ.

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FRAGE: Herr Kaelin, sieht das Voelkerrecht vor, dass ein Staatsoberhaupt ein
anderes per Ultimatum ins Exil zwingen kann?

KAELIN: Nein. Nur der Uno-Sicherheitsrat koennte eine solche Zwangsmassnahme
erlassen. Doch dazu braeuchte es eine Resolution.

FRAGE: Und Sie?

KAELIN: Die Resolution verpflichtet den Irak zur Abruestung und zur
Zusammenarbeit mit den Waffeninspektoren. Bei einem Verstoss gegen diese
Verpflichtungen droht sie mit «schwerwiegenden Konsequenzen». Es war immer
schon klar, dass das ein Euphemismus fuer eine militaerische Aktion ist. Ob
aber ein Verstoss vorliegt und welches die Konsequenzen sind, muss laut
Resolution 1441 im Sicherheitsrat debattiert werden.

FRAGE: Die USA legitimieren den Angriffskrieg auch mit dem in der Uno-Charta
vorgesehenen Selbstverteidigungsrecht.

KAELIN: Seit laengerem ist akzeptiert, dass ein Staat nicht warten muss, bis
er angegriffen wird, sondern einen Angriff abwenden darf, falls dieser
unmittelbar bevorsteht. Das klassische Beispiel ist der Angriff der
israelischen Armee im Sechstagekrieg wenige Stunden vor der geplanten
aegyptischen Attacke. Ein Recht auf praeventive Selbstverteidigung einer
mittelfristigen Bedrohung, wie es die USA fuer sich beanspruchen, ist jedoch
voelkerrechtlich nicht anerkannt.

FRAGE: Aus Ihrer Sicht ist der bevorstehende Krieg also voelkerrechtswidrig?

KAELIN: Ja.

FRAGE: Ist es denn denkbar, dass George W. Bush oder Tony Blair vor den
Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zitiert werden?

KAELIN: Dieser Gerichtshof ist nur fuer Staaten da, die das entsprechende
Statut ratifiziert haben. Die USA gehoeren bekanntlich nicht dazu, der Irak
auch nicht. Grossbritannien hat es ratifiziert, aber da das Statut das
Verbrechen eines Angriffskrieges noch nicht definiert hat, kann man auch
Tony Blair nicht verklagen.

FRAGE: Es gibt noch den Internationalen Gerichtshof (IGH).

KAELIN: Hier koennte der verletzte Staat gegen den Verletzerstaat klagen,
also der Irak gegen die USA oder Grossbritannien. Doch der IGH wird nur
taetig, wenn beide Parteien seine Zustaendigkeit fuer einen solchen Fall
vertraglich anerkannt haben. Ich vermute, dass der Irak das nie gemacht hat.

FRAGE: Ist ein Uno-Tribunal denkbar?

KAELIN: Das muesste ad hoc geschaffen werden. Zustaendig ist dafuer der
Sicherheitsrat, in dem die USA und Grossbritannien mit Vetorecht sitzen.

FRAGE: Warum muss sich Slobodan Milosevic vor einem Uno-Tribunal
verantworten, und warum wird das Bush oder Blair nie passieren?

KAELIN: Im Fall von Milosevic kam eine Mehrheit im Sicherheitsrat ohne Veto
zustande.

FRAGE: Die kleinen Grossen erwischt das Voelkerrecht, die grossen Grossen
laesst es laufen?

KAELIN: Soweit es Entscheide des Sicherheitsrates betrifft, ja, weil die
Grossen dort das Vetorecht haben. In anderen Bereichen, etwa im
Handelsrecht, nicht unbedingt.

FRAGE: Obwohl dieser Krieg gegen das Voelkerrecht verstoesst, kann man ihn
weder stoppen noch jemanden zur Rechenschaft ziehen?

KAELIN: So ist die Situation. Sie ist inhaerent angelegt in der Uno, wie sie
nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde. Also in der Konstruktion der
kollektiven Selbstverteidigung ueber den Sicherheitsrat. Wenn die
Vetomaechte sich nicht an die Regeln halten, gibt es keine
Sanktionsmechanismen.

FRAGE: Fehlt da etwas?

KAELIN: Sie meinen eine Art Weltregierung ueber der Uno? Der Jurist wuenscht
sich natuerlich die umfassende Durchsetzbarkeit des Rechts. Aber in der
Realitaet gibt es immer wieder solche Grenzen. Recht faellt ja nicht vom
Himmel, es ist immer das Ergebnis eines politischen Prozesses.

FRAGE: Wird man das Voelkerrecht nach diesem Krieg neu interpretieren oder
schreiben?

KAELIN: Kurzfristig erwarte ich keine Aenderung. Ob dieser Krieg
laengerfristig als Rechtsverletzung oder Beginn einer Neuregelung eingestuft
wird, wird sich erst im Nachhinein zeigen.

FRAGE: Und wovon haengt es ab?

KAELIN: Vom Konsens der Staaten respektive ihren Regierungen, aber auch
davon, ob die weltweit vernetzte Zivilgesellschaft ihre klare Haltung
aufrechterhalten kann und damit zu einer politischen Kraft wird. Auch die
Dauer des Krieges wird eine grosse Rolle spielen. Nach einem kurzen Krieg
ohne grosses Elend wird man die Verletzung des Voelkerrechts leider schnell
vergessen. Andernfalls wird das derzeitige System der Friedenssicherung in
eine schwere Krise geraten.

FRAGE: Wie meinen Sie das?

KAELIN: Der Sicherheitsrat besitzt heute ein Gewaltmonopol, nur er darf auf
internationaler Ebene ueber kriegerische Massnahmen entscheiden. Wenn nun
die kleineren Staaten nach einem laengeren Krieg zum Schluss kommen, dass
der Sicherheitsrat sich gegen die staerksten Grossmaechte nicht durchsetzen
kann, wird das Vertrauen in ihn ausgehoehlt.

FRAGE: Leistet das Voelkerrecht einen Beitrag zum Weltfrieden?

KAELIN: Das ist sein Ziel. Bis weit in die erste Haelfte des 20.
Jahrhunderts hat das Voelkerrecht den Staaten ein Recht auf Krieg zuerkannt.
Damals haette man nicht einmal die Frage aufwerfen koennen, ob die USA ein
Recht haben, gegen Staaten vorzugehen, deren Regierung ihnen nicht passt.
Von diesen Verhaeltnissen sind wir heute weit weg. Seit 1945 sind klassische
Kriege zwischen Staaten selten geworden. Doch jetzt stehen wir wieder vor
einem.
Interview: Urs Bruderer*


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