**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. Maerz 2003; 17:56
**********************************************************

Das Letzte:

Nachfolgendes Flugblatt wurde auf einer Berliner SchuelerInnendemo gegen den
Krieg von einer Gruppe "Antideutscher" verteilt. Ueber den Inhalt kann man
eventuell noch streiten. Der Tonfall aber ist wohl wirklich "das Letzte" und
deswegen dokumentieren wir das Flugi auch in dieser Rubrik.

*

> Letzte Warnung

Zu Dingen, von denen man keine Ahnung hat, sollte man lieber den Schnabel
halten. Leute wie Ihr, die sich sonst fuer nichts, aber auch gar nichts
interessieren, ausser fuer die Frage, ob ein Piercing in der Zunge oder in
der Nase schicker ist, sollten daher nicht ploetzlich glauben, sich zur
Weltpolitik aeussern zu muessen. Terroristen steuern vollbesetzte Flugzeuge
in Wolkenkratzer, in Nigeria werden Hunderte massakriert, weil sie sich
einen langweiligen Schoenheitswettbewerb anschauen wollten, im Nahen Osten
traeumen Massenbewegungen davon, die Bevoelkerung Israels auszuloeschen, die
Machthaber in Nordkorea drohen mit ihrer Atombombe - und Euch faellt nichts
besseres ein, als mitten im groessten Chaos zur Gewaltlosigkeit aufzurufen
und fuer "Frieden" zu demonstrieren. Die Welt hat zu ernsthafte Probleme, um
sich Eure kindischen Loesungsvorschlaege anzuhoeren. Normalerweise lasst Ihr
keine Gelegenheit aus, um demonstrativ zu betonen, dass Euch die Politik am
Arsch vorbeigeht, aber ausgerechnet dann, wenn im ganzen Schlamassel einmal
etwas vernuenftiges geschieht und ein antisemitischer Diktator abgesetzt
werden soll, steht ihr auf und ruft ueberzeugt und mutig "Nein!". Und dann
besitzt Ihr, die Ihr auf Euren Partys die Musik so laut aufdrehen muesst,
damit Ihr eine Ausrede habt, um Euch mit Euren angeblichen Freunden nicht
unterhalten zu muessen, denen Ihr nichts zu sagen habt, auch noch die
Schamlosigkeit, zu behaupten, ihr wuerdet Mitleid mit den Menschen im Irak
empfinden. Wahrscheinlich wuerdet ihr das Land noch nicht mal auf der Karte
finden. Klar, die Jugend muss Fehler machen, um aus ihnen zu lernen. Aber
was zu weit geht, geht zu weit.

Anstatt jedoch ihrem Erziehungsauftrag nachzukommen und Euch zur Ordnung zu
rufen, ermutigen Eure werten Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter Euch auch
noch zu Eurem dummdreisten Tun. Es ist ihnen nicht einmal zu peinlich, sich
selber plaerrend in die erste Reihe des Kinderhaufens zu stellen. Und Ihr
lasst es Euch gefallen. Demonstriert eintraechtig mit denjenigen, die Euch
im Alltag mit Strafarbeiten, sinnlosen Leistungsanforderungen und
heulsusigen Moralpredigten piesacken. Wenn ihr spaeter Euren Freunden von
dem ach so tollen Gemeinschaftsgefuehl auf der Friedensdemo erzaehlt, so
offenbart ihr damit Euren Sklavengeist. Eine Jugend, die nur einen Funken
Freiheitsdurst verspuerte, wuerde ihre Gefuehlsbindungen abseits der Masse
und vor allem unter Ausschluss der spiessigen Alten suchen. Hier aber
marschiert der Nachwuchspunker Hand in Hand mit seiner Sozialkundelehrerin -
ein Buendnis wider die Natur. An dieser seltsamen Eintracht der Generationen
zeigt sich im Kleinen, was der "Frieden", fuer den da demonstriert wird, im
Grossen bedeutet. Was um alles in der Welt hat Herr Rumsfeld mit Euren
Beziehungsproblemen oder den Geldsorgen Eurer Eltern zu tun? Waehrend alle
gemeinsam gegen den fernen Bush demonstrieren, kuendigt der Bundeskanzler
Massnahmen zur Senkung des Lohnniveaus in grossem Ausmass an. Anstatt gegen
diese Ausraubung aufzubegehren, halten die Massen auf den Friedensdemos
Plakate hoch mit der Aufschrift: "Durchhalten Gerd!" Anstatt zum Streik
aufzurufen, unterschreiben die Gewerkschaften Petitionen gegen den
amerikanischen Krieg. Die eigenen Alltagsprobleme und mehr noch deren
Ursachen werden aus dem Bewusstsein getilgt, indem man sich einredet, man
muesse sich fuer den Weltfrieden einsetzen. Die Wut ueber die Widrigkeiten,
denen man staendig ausgesetzt ist, wird verdraengt und die angestaute
Aggression entlaedt sich, einstweilen noch verdruckst, in feigen
Gemeinheiten gegen den Klassendeppen oder die unsichere Referendarin, die
sich nicht wehren kann. Dem Schimpfen ueber die arroganten Amis liegt das
selbe Muster zugrunde: weil man den Mut nicht aufbringt, sich gegen die
wirklichen Peiniger - etwa die schikanierende Sachbearbeiterin auf dem
Bafoeg-Amt oder die Schergen von der BVG - zur Wehr zu setzen, erfindet man
sich einen aeusseren Feind, gegen den man gefahrlos die Faeuste ballen und
sich einbilden kann, man sei rebellisch.

Worum es also auf den Friedensdemos geht, ist der "soziale Frieden" - das
Buendnis zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten.
Es geht darum, unter allen Umstaenden friedlich in der Schule oder an
Arbeitsplatz seine Aufgabe zu erfuellen und auch ueber die aergsten
Schikanen niemals zu murren. Friedensbewegungen sind Vorbereitungen auf den
Ernstfall. Indem die Beteiligten sich darauf einschwoeren, friedlich alle
kommenden Entbehrungen zu ertragen, bereiten sie das ruhige Hinterland vor,
das noetig sein wird, wenn wieder einmal drastische Massnahmen gebraucht
werden, um die Herrschaft zu retten. Wenn in der Krise die Masse der
ueberfluessig produzierten Gueter und der nutzlos gemachten Menschen so
gross geworden ist, dass nur mittels Vorbereitung und Durchfuehrung einer
grossangelegten Zerstoerungsaktion der Laden am Laufen gehalten werden kann,
ist absolute Schmiegsamkeit des Menschenmaterials gegenueber den
Befehlshabern erforderlich. Dann kann sich endlich auch Euer verborgenes
Zerstoerungspotential ungehemmt austoben, dessen Ausmass der Amoklauf eines
Eurer Kameraden in Erfurt erahnen liess, ueber den Ihr allesamt nur deshalb
so betroffen wart, um vor Euch selbst zu verbergen, dass Ihr es ihm
insgeheim gerne nachtun wuerdet. Euer Frieden meint die Friedhofruhe einer
Gesellschaft, in der sich nichts mehr regt, weil alle schicksalsergeben dem
Verderben entgegenlaufen. In Deutschland hat der Friedensschluss zwischen
oben und unten historisch besonders reibungslos geklappt. Die Deutschen
taten im Nationalsozialismus willig und beflissen ihre Pflicht, wenn ihre
Arbeit auch bald die des Toetens war. Anders als die Amerikaner heute, deren
Fahnen man zwar verbrennt, denen man aber ansonsten bisher noch wenig
anhaben kann, wurde die Juden als diejenigen, gegen die sich damals die
Aggression richtete, wirklich ermordet. Dieser gemeinsam begangene Mord war
der Grund, warum die deutschen Gesellschaft auch dann noch zusammenhielt,
als laengst klar war, dass die Nazis kein tausendjaehriges Reich errichten,
sondern einen Kontinent in Schutt und Asche legen wuerden. Die Deutschen
waren weder Patrioten, noch hatten sie irgendwelche Ideale zu verteidigen -
aber sie blieben selbst dann noch friedlich gegenueber ihren Herrschenden,
als ihnen die Bomben der englischen und amerikanischen Flieger auf den Kopf
regneten - anders als die Iraker, welche im Golfkrieg 1991 den Aufstand
wagten und die USA als Befreier begruessten. Dieser Durchhaltewillen ist es,
der auf Friedensdemonstrationen eingeuebt wird. Auch nach dem Ende des
Nationalsozialismus blieb der soziale Frieden gewahrt. Die Deutschen waren
stolz auf ihre Truemmerfrauen, die sich fuer den Wiederaufbau des Vaterlands
aufopferten, fuer die eigene Misere machte man die Besatzer oder den Fuehrer
hoechstpersoenlich verantwortlich, ohne daran zu denken, dass man ihm noch
vor kurzem zugejubelt hatte. Erst Ende der 60er Jahre rafften sich einige
Studenten dazu auf, den bleiernen Frieden anzukratzen. Sie empoerten sich
ueber ihre Eltern, die sich am Morden in der Nazizeit beteiligt oder ihm
tatenlos zugeschaut hatten, waren frech zu ihren Professoren und spielten
ein bisschen Barrikadenkampf. Aber bald bekamen sie es mit der Angst zu tun,
wegen der versaeumten Studiensemester bei der anstehenden Postenvergabe im
oeffentlichen Dienst leer auszugehen und beeilten sich daher, ihren Frieden
mit denen zu machen, die sie zuvor veraechtlich das "Establishment" genannt
hatten.

Bei denen, die man sich einen Augenblick lang zu hassen getraut hatte,
biederte man sich jetzt wieder an - die Wut musste heruntergeschluckt
werden. Dies ist ungesund und es bekam den ehemaligen Rebellen schlecht: Sie
wurden mit Fruehvergreisung geschlagen und sind seither so lustlos,
verlottert und unertraeglich, wie Ihr sie aus der Schule, der Politik oder
dem Elternhaus kennt. Ihr dagegen bringt es nicht einmal zu einer
Pseudorebellion. Mit hoher Wahrscheinlichkeit droht Euch daher nicht das
Schicksal Eurer Eltern - verstaubtes Dahinvegetieren in Wohnungen, die wie
die Ausstellungsraeume im Moebelgeschaeft wirken - sondern weit schlimmeres.
Die 68er-Generation durfte, nachdem sie zum bruchlosen Konformismus
zurueckgefunden und ihre ehemaligen Genossen an die Staatsgewalt verraten
hatte, in den 80er Jahren zwar ihren Durchhaltewillen zur Schau stellen,
indem sie fuer den Frieden des deutschen Vaterlands gegen amerikanische und
russische Raketen auf die Strasse ging - gebraucht wurde ihr Untertanengeist
in der noch anhaltenden Schoenwetterperiode der Nachkriegskonjunktur noch
nicht. Diese Schonfrist ist seit 1989 beendet, die Absatzkrisen des Kapitals
verschaerfen sich und der Ernstfall rueckt naeher. Wahrscheinlich wird es
beim Sandsackschleppen an der Elbe nicht bleiben und Ihr koenntet schon bald
das Schicksal Eurer Grosseltern teilen, die in Dresden oder Stalingrad
bluten mussten. Es bleibt der Trost, dass die Amerikaner auch diesmal die
besseren Waffen haben werden. Von Euren kuenftigen Opfern reden wir erst gar
nicht - an Euer Mitgefuehl zu appellieren hat wenig Sinn. Wenn es dann aber
zu spaet ist und Ihr heulend und zaehneklappernd im Schuetzengraben liegt
oder im Luftschutzkeller um Euer Leben zittert, dann behauptet bitte nicht,
Ihr waeret nicht vorher gewarnt worden.

*Antideutsche Kommunisten Berlin*
http://www.antideutsch.de


*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
eMail redaktion und termine: akin.buero@gmx.at
eMail abo: akin.abo@gmx.at
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin