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Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 25. Maerz 2003; 17:45
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Nachruf:
> Zum Tod von Ida Margulies
Sozialistin, Internationalistin, Widerstandskaempferin - ein dramatisches
Leben, ein stilles Ende
Ida, das siebente Kind einer verarmten frommen juedischen Familie, wuchs in
Not und Elend auf. Dennoch wurde in der Familie lieber gehungert, als auf
die Bildung der Kinder zu verzichten. Die Kinder mussten vom fruehen Alter
an durch Heimarbeit dazu verdienen. Diese Erfahrungen und ihr wacher
Verstand brachten sie frueh dazu, sich fuer eine gerechtere Welt einzusetzen
und so trat sie mit 14 in die linkssozialistische juedische
Jugendorganisation Haschomer Hazair ein. 1929 lernte sie dort Moritz
Margulies kennen, der ihr Lebensmensch wurde. Ueberzeugt vom
Internationalismus wechselten beide 1930 zur KP - die Verwirklichung ihrer
Hoffnungen sahen sie in der Sowjetunion.
Nach der Niederwerfung der Arbeiterbewegung durch den Austrofaschismus
wurden sie verhaftet. Ida blieb nur wenige Tage in der Rossauerkaserne, aber
fuer Moritz wurde es ein Jahr. Mit dem Vorwand, dass sie heiraten wollten,
erreichte Ida fuer ihn einen Freigang. Sie fluechteten in die
Tschechoslowakei, Moritz wurde dort von der KP in die Schweiz entsandt, Ida
beendete inzwischen ihr Studium in Geschichte und Franzoesisch. Die
Promotion stellte sie zurueck, sie fuhr lieber zu Moritz. In der Schweiz
lebten sie zusammen, Moritz organisierte den illegalen Grenzuebergang fuer
Spanienkaempfer. Die Schweizer Polizei bekam Wind davon und kam, ihn zu
verhaften, fand aber nur Ida vor und nahm sie mit - in Ermangelung eines
anderen Grundes "wegen Konkubinat", schliesslich lebte sie unverheiratet mit
einem Mann zusammen - in der Schweiz zu dieser Zeit ein Straftatbestand. Im
Gefaengnis sassen ausser ihr nur Prostituierte. Ida galt aber als
"Politische" und erhielt ein Einzelzimmer, "das bisher beste Quartier ihres
Lebens". Sie bestand als einzige auf taeglichen Spaziergang: "So bin ich
dann im Hof meine Runden gegangen, der Waerter hinter mir. Das hat mir
gefallen." Nach Ablauf der Haft musste sie die Schweiz verlassen. Inzwischen
war Ida schwanger: "Wir dachten an die Moeglichkeit, dass einer von uns
diese Zeit nicht ueberleben wuerde. Da haben wir uns entschlossen, das Kind
zu behalten." Jean wurde im April 1939 geboren. Moritz arbeitete inzwischen
in einem Fluechtlingslager in Bruessel. Ida folgte ihm mit dem Saeugling.
Als 1940 die Deutschen in Belgien einmarschierten, liess Moritz sie durch
einen Freund zu einer Besprechung mit dem Kind ins Lager bringen. Ida hatte
nur eine Tasche mit dem Windelbedarf fuer einen Tag mitgenommen, aber es
wurde daraus eine Flucht Hals ueber Kopf, verfolgt von den Deutschen. Der
kleine Jean wurde abwechselnd von den Fluechtenden getragen, immer wieder
warfen sie sich in den Graben, um den Schuessen aus den Flugzeugen der
Deutschen zu entgehen. Viele kamen dabei ums Leben, Ida und Moritz konnten
sich mit dem Kind in einen Viehwaggon retten, der bereits vollbesetzt nach
Frankreich fuhr.
Die weiteren Stationen ihrer Flucht waren nicht weniger dramatisch, sie
lebten in Lagern, in illegalen Unterkuenften, versuchten in die Sowjetunion
auszureisen, erhielten keine Genehmigung und arbeiteten beide im Widerstand.
Geld verdiente Ida zunaechst als Bedienerin. Dabei lernte sie eine Lehrerin
kennen, die 1942, als ganz Frankreich besetzt war, den kleinen Jean bei sich
versteckte. Ida arbeitete mit gefaelschten Papieren in den Renaultwerken in
Nancy, wurde dort von einem der sogenannten "Blitzmaedchen" erkannt,
fluechtete nach Paris und bekam eine neue Identitaet als "Lucienne Raynod",
Tochter eines Algeriers und einer Schweizerin. Das erklaerte ihre guten
Deutschkenntnisse und ihren dunklen Typ. Gut hergerichtet bewarb sie sich um
eine Stelle im Oberfestungspionierstab, einem Teil des Marineministeriums.
Papiere und Geschichte fanden Glauben "und die Deutschen, die behaupteten,
dass sie ,Juden riechen' schoepften keinerlei Verdacht." Ida arbeitete als
Sekretaerin, schmuggelte Flugblaetter in das Ministerium, fertigte
Durchschlaege wichtiger Unterlagen fuer die resistance an und organisierte
unausgefuellte Dienstausweise. Der Maler Sussmann faelschte die noetigen
Stempel, und diese Ausweise retteten viele bei den dauernden Kontrollen der
Deutschen. Alles ging gut, bis ein Widerstandskaempfer mit einem von Ida
organisierten Dienstausweis erwischt wurde. Die Recherchen waren gruendlich
und fuehrten direkt zu Ida. Diese befand sich gerade im Buero und hatte
einen besonders brisanten Bericht ueber den Rueckzugsplan der Deutschen an
sich gebracht, als ein Mann von der Gestapo hereintrat und sagte: "Das Spiel
ist aus, Frau Margulies!"
Die Folgen waren unendlich grausam: "Alle Torturen, die die Nazis angewandt
haben, an den Haenden und den Fuessen aufhaengen, den Kopf in eiskaltes
Wasser tauchen, schlagen usw." Nach diesen Worten hatte sie nicht
weitersprechen koennen. Es war ein Interview zum Anlass des Gedenkjahres
1988 gewesen, das sie mir und Evelin Ernst gegeben hatte, und es war das
erste Mal, dass Ida Margulies diese schrecklichsten Geschehnissen erzaehlte.
Mir ist dieser Augenblick noch voellig gegenwaertig. Es war, als ob der
ganze Raum weiss geworden waere von unseren weissen Gesichtern. Ich fuehlte
eine diffuse aber schmerzhafte Scham als Nichtjuedin und als eine, deren
Leben keiner solchen Unmenschlichkeit ausgesetzt gewesen ist. Hier sass uns
eine schoene alte Dame gegenueber, die uns sachlich und ruhig von den
dramatischsten Erlebnissen erzaehlte und dabei war auch immer wieder ihr
Humor aufgeblitzt.
Ida hat nichts verraten. Knapp bevor sie in ein KZ transportiert werden
sollte, wurde Paris befreit. Ida, Moritz und Jean haben ueberlebt. Sollte
nicht das gluecklich befreite Oesterreich ihren Einsatz wuerdigen? "Sie wird
nicht als Heldin gefeiert sondern eher als Vaterlandsverraeterin betrachtet.
Es war schon schlimm, Juedin zu sein, aber auch noch Widerstandskaempferin,
das war zu viel.", so Jean Margulies in seiner Abschiedsrede.
Ida arbeitete weiter fuer die Partei, hinter deren Fassade sie allmaehlich
sah. 1968 zerstoben ihre Hoffnungen bei der Niederschlagung des Prager
Fruehlings. Sie brach mit der KP, aber nicht mit ihrer Gesinnung. Sie nahm
Anteil an der aktuellen politischen Diskussion, ihr Wissen, ihre Geduld und
ihre Faehigkeit zuzuhoeren wurden sehr geschaetzt. Ein unendlicher Schmerz
fuer Ida war der fruehe Tod von Moritz, der bereits 1954 starb.
Dr. Ida Margulies ist 92jaehrig am 16. Jaenner 2003 in der Wohnung ihrer
Tochter und ihres Schwiegersohnes gestorben - ihr Wunsch, keinesfalls in ein
Heim zu kommen, wurde erfuellt.
"Selbst der Abschied von meiner Mutter ist eine politische Manifestation.
Kein offizieller Repraesentant dieses Staates, dieser Stadt erweist ihr die
Ehre. In jedem anderen Land Europas, das stolz auf seinen antifaschistischen
Kampf ist, waere heute dieses Begraebnis ein Anlass, sich der stillen
Heldinnen des Landes zu erinnern.", so hatte die Abschiedsrede von Jean
Margulies begonnen. Worte einer fortdauernden politischen
Auseinandersetzung, die Idas Leben begleitete und die mit ihrem Tod nicht
beendet ist.
Eva Geber
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OBSTEHENDER TEXT stammt aus der neuesten "AUF - Eine Frauenzeitschrift". Der
Text ist aber eher untypisch fuer das Heft. Schliesslich behandelt es das
Thema "Popkultur". Wir schreiben jetzt hier aber nicht hin, dass es
lesenwert sei, weil wir es naemlich noch nicht gelesen haben -- das waere
schliesslich unserioes. Aber weil die AUF immer aeusserst lesenwert ist,
kann man wohl auch diesmal getrost davon ausgehen. Zu bestellen und zu
abonnieren ist die AUF unter: AUF Eine Frauenzeitschrift - Verein zur
Foerderung feministischer Projekte, Kleeblattgasse 7, A1010 Wien .Tel/Fax
(+43-1) 533 91 64, e-mail: auf@t0.or.at URL: http://www.t0.or.at/~auf
DIE GESCHICHTE VON IDA (JUDITH) MARGULIES ist nachzulesen, so dass ihr Leben
auch fuer jene, die sie nicht gekannt haben, ein ermutigendes Beispiel sein
kann: "Das Spiel ist aus!" von Eva Geber, Evelin Ernst und Marietta
Schneider, in "Die Frauen Wiens", AUFedition Wien 1992
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