**********************************************************
akin-Pressedienst.
Elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch
mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein.
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen.
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright
als dem unseren sagt nichts ueber eine
anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.
**********************************************************
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Februar 2003; 17:50
**********************************************************

Ost-West:

> Uebersetzung als politisches Instrument

Der Internetdienst Memri beliefert internationale Medien gratis mit
Uebersetzungen aus der arabischen Presse. Doch der Hintergrund Memris ist
dubios.


Endlich wuerden die sprachlichen Barrieren zwischen der arabischen Welt und
dem Westen ueberwunden, verheisst das Middle East Media and Research
Institute (Memri). Memri bietet auf seiner Website umfangreiche
Uebersetzungen aus arabischen Medien an. Memri arbeitet mit Erfolg: Der
elektronische Memri-Newsletter erreicht JournalistInnen wie PolitikerInnen
zu tausenden. Und auf der Memri-Website steht auch eine laufend
aktualisierte, eindrueckliche Liste der englischsprachigen Medien, die aus
Memri-Uebersetzungen zitieren: CNN, «New Statesman», «Newsweek», «Pakistan
Today», «New York Times» und so weiter.

Doch Memri ist nicht ein neutrales Uebersetzungsbuero oder, wie der Name
suggeriert, ein universitaeres Institut. Brian Whitaker vom britischen
«Guardian» untersuchte die Organisation genauer: 1998 gruendete Yigal Carmon
(vgl. Kasten) den Dienst. Memri, mit Sitz in Washington, habe den Status
einer «unabhaengigen, ueberparteilichen und gemeinnuetzigen» Organisation -
Spenden an Memri seien in den USA also von der Steuer absetzbar. Memri
erwaehnt im Internet aber nur eine Postfachadresse, und Namen von
MitarbeiterInnen werden nicht genannt, angeblich aus Sicherheitsgruenden.
Doch der «Guardian» hat auf einer geloeschten Seite von Memris
Internetauftritt eine Mitarbeiterliste ausfindig gemacht: «Zu drei von den
sechs dort aufgefuehrten Personen - einschliesslich Oberst Carmon - wird
angegeben, dass sie fuer den israelischen Geheimdienst gearbeitet haben. Von
den uebrigen drei Mitarbeitern hat einer im Material- und Logistikcorps des
Oberkommandos Nord der israelischen Armee Dienst getan, ein weiterer hat
einen akademischen Hintergrund, und der sechste ist Alleinunterhalter und
Kabarettist.» Mitbegruenderin vom Memri ist Meyrav Wurmser. Sie gehoert zum
Umfeld von Richard Perle, einem der schaerfsten Kriegstreiber der
US-Politik.

Auslassungen loesen Fehler ab

Zum ersten Mal stiess ich im Februar 2001 auf Memri. Im deutschen
Monatsblatt «Konkret», das zur antiarabischen, deutschzentristischen
«antideutschen» Linken gehoert, tauchten ploetzlich Zitate aus arabischen
Quellen auf. Weil die «antideutschen» Medien bis dahin nicht mit
Arabischkenntnissen brillierten, begann ich mich fuer die Herkunft der
Zitate zu interessieren. Ein, zwei Clicks bei Google, und da war die Seite
memri.org mit der englischen Originaluebersetzung der Zitate. «Konkret»
zitierte aus einem Interview der aegyptischen Zeitung «al-Ahram al-arabi»
mit «dem Mufti von Jerusalem und Palaestina». Dieses Interview liess sich
ueberpruefen, denn «Al-Ahram al-arabi» stellt seine Artikel ins Internet.
Die Memri-Uebersetzung war in einem Punkt grob sinnentstellend: «How do you
feel about the Jews?» («Was halten Sie von den Juden?»), sei der Mufti
gefragt worden, und seine Antwort faellt zutiefst rassistisch aus.
Tatsaechlich lautete die Frage in Arabisch: «Wie begegnen Sie den Juden, die
die Al- Aksa-Moschee belagern und dort herumstehen?» Die Frage galt also den
israelischen Grenzpolizisten im besetzten Ostjerusalem, deren Kontrolle der
Mufti beim Gang zur Moschee passieren muss, und nicht «den Juden».

Die Qualitaet der Uebersetzungen scheint sich seither gebessert zu haben,
auch wenn Whitaker weitere Fehler nachweist. Solch plumpe, ueberpruefbare
Faelschungen beziehungsweise Uebersetzungsfehler gefaehrden die
Glaubwuerdigkeit Memris. Dabei laesst sich die oeffentliche Meinung durch
die Auswahl der uebersetzten Texte viel wirkungsvoller beeinflussen (wobei
sich viele Quellen vom Westen aus nicht ueberpruefen lassen). Memris
Selektion zielt offensichtlich darauf, einen tiefen arabischen Hass auf
Juden und Juedinnen zu dokumentieren. Keine Frage: Solche Stimmen existieren
in der arabischen Welt in nicht geringer Zahl, viele AraberInnen verrennen
sich ob ihrer Verzweiflung an der politischen und wirtschaftlichen Lage im
Nahen Osten in rassistische Ideologie. Doch das selektive Zitieren nur
solcher Stimmen ergibt ein verfaelschtes Bild.

Kritische Medien

An ein Beispiel von Memris Erfolgen moegen sich wohl auch Schweizer
LeserInnen erinnern: Der saudische Botschafter in London schrieb ein Gedicht
ueber eine junge Selbstmordattentaeterin. Memri uebersetzte Auszuege des
Textes als «Loblied auf Selbstmordattentaeter». So ging das Gedicht durch
die westliche Welt. Brian Whitaker hingegen interpretiert den Text eher als
Protest gegen die Ineffizienz fuehrender arabischer Politiker.

Inzwischen hat Memri auch einen deutschsprachigen Dienst aufgebaut, die
Resonanz scheint allerdings noch bescheiden. In der Schweiz beschraenken
sich die Spuren Memris, soweit ueberblickbar, auf Leserbriefe und einige
Zitate in Westschweizer Zeitungen wie «Le Temps», die offensichtlich aus
englischsprachigen Medien uebernommen wurden. Schweizer JournalistInnen
scheinen der Arbeit Memris skeptisch gegenueberzustehen. Die "Neue Zuercher
Zeitung" warnte sogar ziemlich unverhohlen vor Memri: Fuer einen
repraesentativen Ueberblick seien zusaetzliche Dienste unerlaesslich. (Armin
Koehli, WoZ)

Der Original-Artikel im Guardian ist zu finden unter:
http://www.guardian.co.uk/elsewhere/journalist/story/0,7792,773258,00.html




*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43 (0222) 535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
eMail redaktion und termine: akin.buero@gmx.at
eMail abo: akin.abo@gmx.at
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976/00, Zweck: akin